Rees-Haldern. . 60 Bands an drei Tagen: Auf der Hauptbühne gefielen Father John Misty, The Slow Show und The War on Drugs. Olli Schulz lieferte das Konsensprogramm.
Da muss man Musik schon richtig gern haben: nachts um zwei Uhr in Flipp-Flops im niederrheinischen Landregen. Der Plastikponcho durchnässt, die Füße bis zu den Knöcheln im Schlamm versunken. Trotzdem harren in der Nacht zum Sonntag beim 32. Haldern Pop-Festival in Rees zahlreiche Zuschauer bis zum letzten Akkord der Band „The War on Drugs“ aus.
Schließlich sind Haldern-Tickets rar und kostbar. Sämtliche Karten für das Festival wären beim Start des Vorverkaufs im Oktober binnen 15 Minuten ausverkauft gewesen, wenn der Server nicht unter dem Ansturm der Anfragen den Dienst quittiert hätte. Ohne dass eine einzige Band schon bekannt gewesen wäre.
Selbst wenn: Die Namen der mittlerweile rund 60 Gruppen an sechs Spielstätten des Haldern Pop sind ohnehin nur eingefleischten Kennern bekannt. Der Rest darf darauf hoffen, künftige Stars zu entdecken. Wie zum Beispiel Sam Smith und die Band „Hozier“, die im vergangen Jahr auf dem Reithof gespielt und später zusammen sechs Grammys kassiert hatten.
Ältestes Open Air Deutschlands
Der Ruf des Festivals hat sich inzwischen weit herumgesprochen. Sogar bis nach New York. So war in diesem Jahr unter anderem Seymour Stein zu Gast. Das ist der Mann, der Madonna, die „The Ramones“ und die „Talking Heads“ zu Weltstars gemacht hat. Mittlerweile ist Haldern Pop das älteste, kontinuierlich stattfindende Open Air-Festival in Deutschland. Und immer noch wird es von rund 400 Helfern, die aus einer Messdienergruppe hervorgegangen sind, weitgehend ehrenamtlich organisiert.
Musikalisch sorgte der Hamburger Entertainer Olli Schulz für den erwartet bunten Abend am Freitag. Er startete mit Schüssen aus der Konfettikanone, schoss luftgefüllte Bälle zu „Spielerfrau“ ins Publikum und durfte mit seinem alten Kumpel und Haldern-Veteran Bernd Begemann „Verhaftet wegen sexy“ spielen.
Das Publikum bedankt sich für das Konsensprogramm mit Wunderkerzen zu „Als Musik noch richtig groß war“. Der lange Hamburger versteht es durchaus, jenseits aller Blödelei anständige Songs zu schreiben, doch musikalisch ist er trotz erstklassiger Unterstützung - Gisbert zu Knyphausen am Bass und Kat Frankie als Sängerin - Welten von der Bundesligareife eines Marcus Wiebusch („Kettcar“) entfernt, der am Samstag zur besten Anstoßzeit antrat.
Ebenfalls nett, aber weitgehend harmlos war der Auftritt der amerikanischen Band „Family of the Year“, die mit „Hero“ immerhin schon einen veritablen Radiohit vorzuweisen hatte. Für eine Überraschung sorgte die Londoner Hiphopperin Kate Tempest. Eine Klangfarbe, die man bisher in Haldern Pop vernachlässigt hat. Ebenfalls in die Abteilung „Wütende Frauen“ gehört die Band „Savages“ um Sängerin Jehnny Beth, die am Freitagabend mindestens so ordentlich abrotzte wie die belgische Band „dEUS“ einen Tag später.
Bittere Ironie
Ein Festival-Höhepunkt war der Auftritt von Father John Misty. Hinter diesem Pseudonym steckt Joshua Tillmann, ehemaliger Schlagzeuger der „Fleet Foxes“, die ebenfalls schon auf dem Haldern Pop zu Gast waren. Der vollbärtige Waldschrat legte einen Auftritt jenseits aller Folk-Weinerlichkeit hin und unterhielt das Publikum mit bestem Americana-Rock. Hörtipp: „Bored in the USA“,ein vor bitterer Ironie triefender Kommentar zur Lage der Nation.
Eine große Schau lieferte auch die Band „The Slow Show“ ab, die begleitet vom Haldern-Hausorchester „Stargaze“ und dem Chor „Cantus Domus“ auftrat. Der tieftönende Sänger Rob Goodwin grummelte sich irgendwo zwischen Matt Berninger („The National“) und Nick Cave in die Herzen und Gehörgänge des Publikums. Unglaublich bewegend.
So war der erste Tag bei Haldern Pop
Den Titel „Pechvogel des Festivals“ hatte der „The War on Drugs“-Frontmann Adam Granduciel verdient. Erst gab seine Effektkonsole den Geist auf, dann stürzte er beim Gang auf die Bühne und zu schlechter Letzt riss auch noch der Gitarrengurt. Irgendwann feuerte der Mann aus Philadelphia seine Fender Jaguar-Gitarre einfach frustriert in die Ecke. Trotzdem spielte er mit seiner Band trotz aller Widrigkeiten einen famosen Auftritt, der das Publikum am frühen Sonntagmorgen im strömenden niederrheinischen Landregen zum Schlammtanz einlud.