Berlin/Karlsruhe. Immer häufiger wollen Paare trotz Beziehung nicht zusammen wohnen – so wie Sofie und Daniel. Funktioniert das? Eine Psychologin ordnet ein.
Zu mir oder zu Dir? Eine Frage, die sich für Sofie und ihren Freund Daniel auch nach rund vier Jahren Beziehung noch immer stellt. Denn die beiden 28-Jährigen wohnen nicht zusammen. Weil sie es so wollen. „Unser Beziehungsziel war es nie, diesen Meilenstein so schnell wie möglich erreichen zu wollen“, sagt Daniel. Die beiden Karlsruher wollen sich trotz fester Beziehung ihre Unabhängigkeit bewahren. Kann das auf Dauer funktionieren?
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Wie Daniel und Sofie geht es immer mehr Paaren in Deutschland. Das Beziehungsmodell nennt sich „Living Apart Together“, kurz „LAT“. Die Paare entscheiden sich bewusst gegen gemeinsame vier Wände, auch auf lange Sicht. Laut einer Erhebung des Statistischen Bundesamts wohnten im vergangenen Jahr noch 60 Prozent der Erwachsenen in Deutschland mit ihrem Partner oder Partnerin zusammen. Zum Vergleich: 1996 hatten noch 66 Prozent der Menschen als Paar zusammengelebt.
Getrennte Wohnung trotz Beziehung: „Das ist die Veränderung, die wir jetzt brauchen“
Sofie und Daniel kennen sich schon seit der Schulzeit. Klick gemacht hat es dann aber während der Corona-Pandemie. „Meine Mitbewohnerin ist für ein halbes Jahr nach Hamburg gezogen. Und für diese Zeit ist Daniel bei mir eingezogen“, erzählt Sofie. „Da haben wir dann nochmal gemerkt, wie gut wir uns verstehen.“ Obwohl die beiden Studenten die ersten Monate ihrer Beziehung zusammengewohnt haben, entschieden sie sich nach der Rückkehr der Mitbewohnerin wieder für getrennte Wohnungen.
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Anouk Algermissen weiß, dass das für Paare oft keine einfache Situation ist. Die Psychologin, Bestseller-Autorin und Paartherapeutin erklärt, dass mit einer räumlichen Trennung auch der soziale Druck steigen kann. „Das sieht für Außenstehende vielleicht nach einer ‚richtigen‘ Trennung aus“, sagt sie. Ihr Rat in diesem Fall: „Das kann trotzdem klappen, wenn man als Paar glücklich mit der Entscheidung ist. Wenn man ehrlich sagt: Das ist die Veränderung, die wir jetzt brauchen.“
„Living Apart Together“: Unabhängigkeit steht im Mittelpunkt
Für Sofie und Daniel war die Entscheidung einfach. „Wir haben uns beide gedacht, dass es noch zu früh ist, zusammenzuziehen“, sagt Sofie. Und auch als die Mitbewohnerin nach einem halben Jahr endgültig auszieht, entscheiden sich die beiden Badener gegen eine gemeinsame Wohnung. „Für mich war schon immer klar, dass ich mal eine längere Zeit alleine leben möchte“, erzählt Sofie. Sie sagt, sie wollte so auch noch mehr zu sich selbst finden. „Wie will ich meine Wohnung einrichten? Wie bekomme ich die Finanzierung alleine hin? Und auch: Wer bin ich neben der Beziehung?“
Für Daniel war seine Unabhängigkeit der ausschlaggebende Punkt, sich gegen gemeinsame vier Wände zu entscheiden. „Ich will flexibel bleiben. Ich will nochmal ein Praktikum außerhalb von Karlsruhe machen und in eine andere Stadt ziehen. Dann will ich Sofie nicht mit einer gemeinsamen Wohnung alleine lassen“, erklärt er. Er sagt, er habe Angst gehabt, dass eine gemeinsame Wohnung ihn zu sehr an Karlsruhe binden könnte. „Und dass es dann, wenn ich mir meine Wünsche und Träume nicht erfüllen kann, vielleicht zu einem Bruch in der Beziehung gekommen wäre.“ Diese Angst habe er Sofie erklärt, sagt Daniel. Und so sei es für beide noch verständlicher gewesen, warum eine gemeinsame Wohnung vorerst nicht infrage kommt.
Paartherapeutin erklärt: So klappt Beziehung trotz getrennter Wohnung
Am Ende stand die gemeinsame Entscheidung gegen das Zusammenziehen. Laut Algermissen die beste Voraussetzung, dass „LAT“ funktioniert. „Wenn das nur eine Person will oder nur eine Person gut findet, dann kann das schwierig werden“, erklärt die Psychologin. Und warnt: „Eine Red Flag wäre, wenn man durch getrennte Wohnungen seinen Problemen nur aus dem Weg gehen will. Dann ist die Gefahr ziemlich groß, dass man nicht weiß, wie man wieder aufeinander zugehen, wie man miteinander kommunizieren soll. Man muss aufpassen, dass man nicht weniger miteinander kommuniziert und sich nicht mehr und mehr voneinander distanziert.“
Zudem sollte man vorab klar über die Erwartungen sprechen, entscheidet man sich für getrennte Wohnungen. Zu den wichtigsten Fragen gehören laut Algermissen:
- Wie häufig sehen wir uns?
- Wie stellen wir sicher, dass wir uns trotzdem nahe sind?
- Wie kann man als Paar feststellen, dass man nicht in eine Situation kommt, wo eine Person ein ganz anderes Bild davon hatte und es darüber zu Streitigkeiten kommt?
- Wie kann ein Paar die Verbundenheit aufrechterhalten, so dass die Nähe zwischen den beiden durch die räumliche Trennung nicht abnimmt?
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Offene und ehrliche Gespräche hätten ihnen als Paar erst erlaubt, sich gegen eine gemeinsame Wohnung zu entscheiden, ist sich Sofie sicher. So habe Daniel zwar eine eigene Schublade in Sofies Wohnung, um seinen Kulturbeutel oder Wechselwäsche nicht immer mitschleppen zu müssen – aber keinen Haustürschlüssel. „Wir wussten, dass wir gut kommunizieren können, weshalb wir das Thema ‚LAT‘ so offen besprechen konnten. Auch ist das gegenseitige Vertrauen eine Voraussetzung gewesen, unsere Beziehung unabhängig von gesellschaftlichen Erwartungen gestalten zu können.“
Und auch Daniel sagt, dass die getrennten Wohnungen ihn und Sofie näher zusammengebracht hätten. „Ich habe gemerkt, dass wir über alles reden können – und dass wir gute Kompromisse finden können. Meine Bedürfnisse werden in dieser Beziehung gehört und verstanden.“ Es sei für beide wichtig gewesen, nicht aus finanziellen Gründen oder wegen des gesellschaftlichen Drucks zusammenziehen zu wollen. „Wir wollten beide nicht irgendjemandem beweisen, dass unsere Beziehung stabil und belastbar ist, indem wir zusammenziehen“, sagt Daniel. „Wir wollen uns ganz bewusst dafür entscheiden.“ Und diese Entscheidung steht nun kurz bevor.
Psychologin verrät Erfolgsrezept: Flexibel bleiben
„Bedürfnisse können sich verändern“, weiß auch Paartherapeutin Algermissen. „Das Bedürfnis nach Autonomie kann sich beispielsweise mit den Jahren verändern. Und wenn man irgendwann ein höheres Bedürfnis nach Zweisamkeit und Nähe und gemeinsamen Räumlichkeiten verspürt, dann kann man ja durchaus auch zusammenziehen. Als Paar ist es grundsätzlich immer wichtig, flexibel zu bleiben.“
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Für Sofie und Daniel steht dieser nächste Schritt nun an. Sie ziehen gemeinsam für ein paar Monate nach Erfurt – in eine gemeinsame Wohnung. Danach wollen sie zusammen in Karlsruhe nach einer Bleibe suchen. Doch nicht klassisch nur als Paar, sondern zu viert mit einer Freundin und ihrem Kind. Und am liebsten auch mit einem eigenen Zimmer für jeden. „So haben wir einen Raum für uns, wann immer wir es wollen“, freut sich Sofie.