Berlin. Influencerin Charlotte Weise gibt ihrem fast dreijährigen Kind noch immer die Brust. Doch ist das gut? Eine Kinderärztin klärt auf.
Sieben Monate – so lange wollte Charlotte Weise ihr Kind stillen. Eigentlich. „Doch es kam alles anders“, sagt die 31-Jährige. Aus sieben Monaten wurde schnell ein Jahr, dann zwei. Mittlerweile ist Charlottes Sohn fast drei Jahre alt und wird immer noch jeden Tag gestillt. „Für uns beide fühlt sich das richtig an“, betont die Influencerin. Ihr Sohn kriegt die Brust zum Einschlafen, zum Aufwachen und immer dann „wenn er kränkelt, zahnt oder sich unwohl fühlt.“
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Statistisch gesehen fällt Charlotte mit ihrem Langzeitstillen auf, denn laut einer Erhebung des Robert Koch-Instituts stillen die Mütter in Deutschland ihre Kinder im Durchschnitt bis zum 7. Lebensmonat – die aktuellen Zahlen beziehen sich jedoch auf das Jahr 2018, neue statistische Erhebungen fehlen bislang. Länger als zwölf Monate werden nur 16,5 Prozent gestillt, so die Studie. Wie viele dieser Kinder an ihrem zweiten oder dritten Geburtstag noch gestillt werden, geht aus den Daten nicht hervor.
Die meisten Mütter in Deutschland halten sich also in etwa an die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die besagt, Säuglinge in den ersten sechs Monaten ausschließlich zu stillen. Denn das Baby erhält durch die Muttermilch einen idealen, perfekt temperierten Nährstoffcocktail aus Vitaminen, Mineralstoffen und Enzymen. „Doch die WHO rät auch, das Stillen bis zu zwei Jahre oder länger fortzusetzen – auch nach der Einführung der Beikost. Diese Empfehlung ist den meisten gar nicht bekannt“, sagt Charlotte, die mit ihrem Partner vor mehreren Jahren von Hamburg nach Spanien ausgewandert ist.
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Stillen ist unkompliziert und geht auch im Restaurant oder auf dem Spielplatz
Die 31-Jährige stillt ihr Kind zu Hause, aber auch am Spielplatz, im Restaurant oder am Strand. Sie behandelt das Thema zudem oft auf ihrem Instagram-Kanal, dem fast 180.000 Menschen folgen. Dort postet die Influencerin Videos und Fotos, die sie beim Stillen zeigen. In ihren Beiträgen ermutigt sie auch andere Frauen dazu, ihre Kinder länger zu stillen – falls sich Mutter und Kind dabei wohl fühlen – und betont immer wieder die Vorteile der Muttermilch. „Ich möchte zeigen, dass das Stillen natürlich und daran nichts Verwerfliches ist und dass es normal ist, auch Kleinkinder zu stillen“, begründet die junge Mutter ihre Entscheidung.
Unter Charlottes Beiträgen lassen sich viele Gleichgesinnte finden. Frauen, die ihre Kinder noch mit drei, vier oder fünf Jahren stillen und in Charlotte so etwas wie ein Vorbild sehen und ihre Beiträge als Befreiungsschlag interpretieren.
Doch nicht alle finden die Bilder von Mutter und Sohn an ihrer Brust harmonisch. Immer wieder sind Kommentare zu lesen, in denen der Influencerin seltsames Verhalten unterstellt wird oder fehlende Bereitschaft, sich von ihrem Kind zu lösen. Manche finden es zudem schlicht „eklig“ und „unnatürlich“ ein Kind zu stillen, das bereits so viele Zähne hat und laufen kann.
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„In Deutschland herrscht eine etwas verschobene Vorstellung davon, welche Stilldauer üblich ist“, sagt Charlotte dazu und bezieht sich dabei auf Angaben des Kinderhilfswerks Unicef und der WHO. Demnach werden weltweit rund 44 Prozent aller Kinder noch am zweiten Geburtstag gestillt. „Warum sollte ich meinem Kind also etwas wegnehmen, das es gerne möchte und das ich ihm gerne gebe?“, hinterfragt die 31-Jährige. Wie lange Charlotte ihren Sohn noch stillen wird, weiß sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Nur, dass das Abstillen irgendwann „ganz ohne Druck passieren soll“.
Abstillen nach sechs Monaten? Dafür gibt es keinen Grund
Aus medizinischer Sicht gibt es tatsächlich keinen Grund, die Kinder bereits nach sechs Monaten abzustillen, das bestätigt auch Kinder- und Jugendärztin Tanja Brunnert, die zudem auch Europabeauftragte des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzt*innen. ist. „Es gibt eine empfohlene Mindestdauer vom Stillen, aber nirgends wird eine maximale Stilldauer festgelegt – und das ist auch gut so“, sagt die Kinderärztin. Die Entscheidung, wie lange die Mutter ihrem Kind die Brust geben möchte, solle jede Frau allein treffen, „so lange auch das Kind sich damit wohl fühlt“, betont die Expertin.
Wichtig sei jedoch, dass den Kindern beim Langzeitstillen nicht nur die Muttermilch als Nahrungsquelle angeboten wird. „Spätestens ab dem 7. Lebensmonat sollte man mit der Beikost beginnen, da die Nährstoffe in der Milch für das Kind sonst nicht ausreichen“, warnt die Kinderärztin.
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Ob die Muttermilch im Kleinkindalter das Immunsystem besonders stärkt, so wie Charlotte das betont, ist aus Sicht der Medizinerin jedoch fraglich: „Säuglinge profitieren ganz klar von der Muttermilch, sie verstärkt ihren Immunschutz. Später wird das Immunsystem aber von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst, dazu gehört auch ausgewogene Ernährung und Bewegung.“ Die Muttermilch enthält zudem Milchzucker, der „durch das Dauernuckeln etwa in der Nacht das Kariesrisiko erhöhen kann.“
Zudem gibt Tanja Brunnert zu bedenken, dass das Stilisieren von Langzeitstillen viele Mütter unnötig belasten könnte: „Es gibt viele Frauen, denen das Stillen überhaupt nicht leicht fällt oder Frauen, die schlichtweg nicht stillen wollen.“ In solchen Fällen sollte man die Mütter unterstützen und nicht unter Druck setzen. „Jede Mutter darf ohne schlechtes Gewissen auch zur Säuglingsnahrung greifen“, betont die Kinderärztin.