Berlin. Weniger kann mehr sein: Eine Paartherapeutin erklärt, wie Abstand in der Beziehung das Feuer erhält und ab wann es gefährlich wird.

Gemeinsame Wohnung, gemeinsame Hobbys, gemeinsame Freunde – für einige Paare ist es völlig normal, in der Partnerschaft alles zu teilen und jede freie Sekunde miteinander zu verbringen. Dabei kann zu viel Nähe der Beziehung schaden. Eine Psychologin und Paartherapeutin erklärt, warum Distanz in einer Partnerschaft wichtig ist.

Dass viele Menschen auch oder gerade in einer Partnerschaft das Bedürfnis nach Distanz haben, zeigt eine repräsentative Studie der Partnervermittlungsplattform „Elitepartner“ von 2023. Daraus geht hervor, dass es für 42,4 Prozent der mehr als 6000 befragten Singles und Liierten aus Deutschland ein Trennungsgrund ist, wenn sie in der Partnerschaft zu wenig Freiraum hätten oder sich eingeengt fühlen würden.

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Beziehung: Deshalb ist das Bedürfnis nach Nähe und Distanz so unterschiedlich

Dieser Wunsch nach Freiraum ist Tina Rosenberger zufolge, Psychologin und Paartherapeutin in Berlin, auf die Grundbedürfnissen des Menschen zurückzuführen. „In jedem von uns gibt es zwei Bedürfnisse: das nach Nähe und Bindung und das nach Distanz und Autonomie. Das ist vergleichbar mit zwei Polen, die wir alle versuchen auszubalancieren“, sagt die Paartherapeutin.

Dabei entscheide sich jeder Mensch für einen der beiden Pole ein bisschen mehr als für den anderen. „Das geschieht unterbewusst und hat viel damit zu tun, wie wir als Kinder geprägt wurden und ob wir da viel Nähe erfahren haben“, erklärt Rosenberger. Deshalb seien die Nähe-, und Distanzbedürfnisse mancher Menschen so unterschiedlich.

Wie Freiraum die Beziehung lebendig hält – Das sagt eine Psychologin

Wichtig sei in jedem Fall, einen gesunden Mittelweg zwischen beiden Bedürfnissen zu finden, denn diese seien gleichermaßen relevant – und das Bedürfnis nach einem gewissen Maß an Distanz in einer Partnerschaft somit nicht nur „völlig normal“, sondern sogar notwendig, sagt die Paartherapeutin. „Freiraum macht eine Beziehung lebendig. Er gehört einfach zu jeder gesunden Beziehung dazu“, so Rosenberger.

Meistens seien die Momente, in denen man die größte Liebe für den Partner empfindet, sogar die, in denen dieser gar nicht anwesend ist. Durch den Abstand zueinander würden die Partner sich vermissen, was oft in einem gesteigerten Verlangen aufeinander resultiere. Distanz halte laut der Expertin somit „das Feuer in einer Beziehung am Brennen“.

Außerdem sei Distanz in einer Partnerschaft notwendig, um die eigene Persönlichkeit zu stärken und nicht mit dem Partner zu verschmelzen. Rosenberger erklärt: „Es geht darum, wirklich bei sich selbst zu sein, sich selbst zu spüren und bei sich selbst anzukommen. Dafür braucht man Zeit für sich und somit gelegentlich Distanz zum Partner“. 

Eine Frau umarmt nachdenklichem Mann
Gelegentlicher Abstand zum Partner kann das Verlangen aufeinander steigern (Symbolbild). © dpa-tmn | Albert Martínez

Diese Gefahr droht für die Partnerschaft, wenn ein Partner zu viel Abstand fordert

Unterschieden werden müsse dabei zwischen zwei Arten von Distanz: der emotionalen und der physischen Distanz. Denn wenn ein Paar zum Beispiel eine Fernbeziehung führt, ist es zwar räumlich voneinander getrennt, das impliziere aber nicht, dass die Partner sich auch emotional voneinander distanzieren, sagt Rosenberger. „Andersherum kann es genauso vorkommen, dass man nebeneinander auf dem Sofa sitzt, aber trotzdem das Gefühl hat, man sei auf zwei verschiedenen Sternen“.

Beide Arten von Distanz können in einem gewissen Maße aus den oben genannten Gründen zwar förderlich für die Beziehung sein, hinter zu viel davon lauere jedoch ebenfalls eine Gefahr. „Paare sollten aufpassen, dass nicht jeder in seinen eigenen Trott kommt und man das Distanz-Bedürfnis vorschiebt, um sich auszuweichen“, erklärt Rosenberger. 

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Getrennte Betten, getrennte Wohnungen – Paartherapeutin erklärt, was am besten funktioniert

Wo die Grenze zwischen gesunder und ungesunder Distanz liegt, käme immer auf die individuelle Beziehungsdynamik an. Aus der Erfahrung könne die Paartherapeutin aber sagen, dass viele Paare zeitweise getrennt schlafen, zum Beispiel, wenn einer später nach Hause kommt, früher aufstehen muss oder einfach mal Zeit für sich braucht. 

Laut Rosenberger würden für andere Paare auch getrennte Wohnungen sehr gut funktionieren. „Ein Vorteil hierbei ist, dass wirklich jeder sein eigenes Leben behält. Dadurch stärkt man nicht nur die eigene Persönlichkeit, sondern wird auch für den Partner attraktiver, weil man als Person wahrgenommen wird, die eigene Hobbys, Freunde und Routinen hat“, erklärt die Paartherapeutin.

Welches Modell sich für ein Paar am besten eignet, könne sich – genau wie das Nähe-, und Distanzbedürfnis – im Laufe der Partnerschaft aber auch verändern. So bräuchten Paare am Anfang einer Beziehung meistens nicht viel Distanz, aber wenn man schon Jahre zusammen ist und zum Beispiel Kinder zusammen großgezogen hat, entstünde danach oft ein größeres Bedürfnis nach Freiraum.

Tina Rosenberger, Psychologin und Psychotherapeutin
Tina Rosenberger ist Psychologin und Paartherapeutin in Berlin. © Sara Walker (hfr) | Sara Walker (hfr)

Unterschiedliches Bedürfnis nach Nähe: So sollte ein Paar damit umgehen

Wie aber geht ein Paar damit um, wenn ein Partner sich getrennte Wohnungen oder Betten wünscht, der andere aber nicht? „Es ist erst einmal wichtig zu verstehen, dass es vollkommen normal ist, nicht das gleiche Nähe- und Distanzbedürfnis zu haben“, sagt die Paartherapeutin. Das käme sogar sehr häufig vor, weil die beiden Typen – sprich: jemand, der eher viel Nähe sucht und jemand, der weniger Nähe sucht – sich gegenseitig anziehen würden.

Laut Rosenberger sei deshalb auch die Gefahr groß, dass sich eine „zunehmend ungesunde Dynamik“ entwickelt: Partner A sucht Nähe bei Partner B, der zieht sich zurück, weil er sich bedrängt fühlt, daraufhin bekommt Partner A Angst und geht weiter hinterher, was Partner B wiederum noch mehr einengt. „Wenn das passiert, fängt es an, ungesund zu werden, da steckt man in einem Teufelskreis“, sagt Rosenberger

Sie rät deshalb: „Stellt ein Paar fest, dass es sich in einer solchen Spirale befindet, zum Beispiel weil ein Partner nur noch an dem anderen klebt oder der andere gar keine Nähe mehr zulassen kann, dann macht es Sinn, mal absichtlich den eigenen Standpunkt zu verlassen, um die Situation zu entschärfen“. Die Person, die Nähe sucht, sollte sich also ganz bewusst Raum für sich selbst geben und allein etwas unternehmen, um zu sich selbst zurückzufinden, erklärt die Psychologin. Der anderen Person, die sich eigentlich zurückzieht, rät sie hingegen, die Hürde zu nehmen und bewusst auf den anderen zuzugehen. Das A und O sei außerdem offen miteinander über die Bedürfnisse zu sprechen. So könne man sich nach und nach wieder annähern und „das passende Mittel zwischen Nähe und Distanz“ finden, so Rosenberger.