Berlin. Die Auslöser von Migräne sind rätselhaft. Jetzt gibt es neue Forschungsergebnisse, die einer bestimmten Patientengruppe Hoffnung machen.

Forscherinnen und Forscher aus Dänemark haben einen bisher unbekannten Mechanismus entschlüsselt, durch den Migräneanfälle ausgelöst werden. Dies könnte den Weg für neue Therapien ebnen, berichten sie im Fachjournal „Science“. Vor allem eine Gruppe von Patientinnen und Patienten könnte profitieren.

Bei etwa 15 Prozent aller Migränepatienten geht den Kopfschmerzattacken eine Seh- oder Empfindungsstörung voraus, eine sogenannte Aura. Das heißt, dass Betroffene Flimmern oder Flackern sehen oder Taubheitsgefühle im Gesicht verspüren. Die Symptome können fünf bis 60 Minuten dauern, danach folgt der Migränekopfschmerz.

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Während die Wissenschaft mit einiger Sicherheit erklären kann, warum Patienten eine Aura erleben, war es bisher ein Rätsel, wie die Kopfschmerzen entstehen und warum diese meist einseitig sind. Eine neue Studie von Forschern der Universität Kopenhagen, des Rigshospitalet und des Bispebjerg-Krankenhauses in Dänemark liefert jetzt erstmals eine mögliche Erklärung.

Migräne: Proteine aktivieren Nervenzellen

Mithilfe modernster Techniken wie der Massenspektrometrie wiesen die Autoren nach, dass Proteine, die während einer Migräne mit Aura aus dem Gehirn freigesetzt werden, mit dem Nervenwasser zu den für die Kopfschmerzen verantwortlichen Schmerzsignalnerven transportiert werden. „Diese Proteine aktivieren eine Gruppe von Nervenzellen an der Schädelbasis, die man als Tor zum peripheren sensorischen Nervensystem des Schädels bezeichnen kann“, sagt Martin Kaag Rasmussen vom Zentrum für Neuromedizin an der Universität Kopenhagen laut Mitteilung. An der Wurzel der Schädelbasis, des sogenannten Trigeminusganglions, fehle die Barriere, die das Eindringen von Substanzen in die peripheren Nerven verhindert.

„Unsere Ergebnisse legen nahe, dass wir den primären Kommunikationskanal zwischen dem Gehirn und dem peripheren sensorischen Nervensystem identifiziert haben“, sagt die Erstautorin der Studie, Professorin Maiken Nedergaard. Es handele sich um einen bisher unbekannten Signalweg, der für die Entstehung von Migränekopfschmerzen wichtig sei und möglicherweise auch bei anderen Kopfschmerzerkrankungen eine Rolle spiele.

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Das periphere Nervensystem besteht aus allen Nervenfasern, die für die Kommunikation zwischen dem zentralen Nervensystem – Gehirn und Rückenmark – und der Haut, Organen und den Muskeln zuständig sind. Das sensorische Nervensystem, das Teil des peripheren Nervensystems ist, ist für die Weiterleitung von Informationen über Berührung, Juckreiz oder Schmerz an das Gehirn verantwortlich.

Kopfschmerzen: Substanzen gelangen nicht in den gesamten Hirnraum

Die Ergebnisse der Studie geben auch darüber Aufschluss, warum Migräne oft einseitig auftritt. Kaag Rasmussen: „Unsere Studie über den Transport von Proteinen aus dem Gehirn zeigt, dass die Substanzen nicht in den gesamten Hirnraum gelangen, sondern vor allem in das sensorische System einer Seite.“

Dagny Holle-Lee
Dagny Holle-Lee, Leiterin des Westdeutschen Kopfschmerzzentrums der Universitätsmedizin Essen. © Universitätsmedizin Essen | Universitätsmedizin Essen

Zwar ist die Untersuchung aus Dänemark eine Studie an Mäusen, sie umfasste den Angaben zufolge aber auch MRT-Scans des menschlichen Trigeminalganglions. Nach Ansicht der Wissenschaftler deute alles darauf hin, dass die Funktion des Signalwegs bei Mäusen und Menschen identisch ist und dass die Proteine auch beim Menschen mit dem Nervenwasser transportiert würden.

Zu der von den Forschern identifizierten Gruppe von „Schmerzproteinen“ gehörte neben CGRP, einem Eiweiß, das bereits mit Migräne in Verbindung gebracht und bei bestehenden Behandlungen eingesetzt wird, auch eine Reihe anderer Proteine. „Wir hoffen, dass die von uns identifizierten Proteine – abgesehen von CGRP – bei der Entwicklung neuer präventiver Behandlungen verwendet werden können. Für uns besteht der nächste Schritt darin, das Protein mit dem größten Potenzial zu identifizieren“, so Kaag Rasmussen.

Auch andere Botenstoffe könnten bei Migräne eine Rolle spielen

Laut Einschätzung von Prof. Dagny Holle-Lee, Leiterin des Westdeutschen Kopfschmerzzentrums der Universitätsmedizin Essen, und eine der bekanntesten Kopfschmerzexpertinnen in Deutschland, müssten die Erkenntnisse aus Dänemark zwar noch auf den Menschen übertragen werden, „sie sind dennoch vielversprechend“. Dies gelte vor allem für jene Menschen, die nicht auf CGRP-Medikamente ansprechen. „Es gibt schon immer die Hypothese, dass neben der CGRP-dominierten Migräne möglicherweise auch andere Botenstoffe hier eine Rolle spielen“, so Holle-Lee.

Für die Neurologin aus Essen könnte die Studie aus Kopenhagen den Auftakt für intensive Forschung bilden, um neue Antikörper oder Wirkstoffe gegen Migräne an die Hand zu bekommen. „Hier muss man aber ehrlicherweise sagen, dass wir über einen Zeitraum von zehn bis 15 Jahren reden.“