Berlin. Viele ältere Menschen sterben in den ersten Monaten nach einem Sturz. Doch woran liegt das? Und wie kann man vorbeugen?
Die Angst vor einem Sturz im Alter ist begründet: Schätzungen zufolge stürzen etwa 30 Prozent der über 65-Jährigen, die zuhause leben, einmal im Jahr. In Zahlen bedeutet das nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums: Jährlich werden hierzulande mehr als fünf Millionen Stürze von älteren Menschen gezählt.
Über 400.000 Männer und Frauen erleiden dabei einen Knochenbruch – Arme, Wirbelsäule, Becken, Hüfte. Und oft ist ein Sturz der Beginn einer Pflegebedürftigkeit. Studien zeigen, dass bei Patienten über 75 Jahre auch die Sterblichkeitsrate nach einer hüftnahen Fraktur im Folgejahr bei über 20 Prozent lieg.
„Osteoporotische Wirbel- und Hüftfrakturen gehen häufig mit einer deutlichen Reduktion der Selbstständigkeit der Person einher“, sagt Dr. Christoph Bartl. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie ist Autor mehrerer Fachbücher zu der Knochenkrankheit Osteoporose und als Knochenspezialist im Osteoporosezentrum München tätig.
Sturzrisiko: Auch Medikamente können sich auswirken
Grund für die hohe Sterblichkeitsrate nach hüftnahen Frakturen ist Bartl zufolge die eingeschränkte Mobilität, die viele Grunderkrankungen der Betroffenen verstärke. „Ein Sturz ist oft ein lebensveränderndes Ereignis, das das Aktivitätsniveau stark senkt. Die Menschen können damit auch ihr Herz-Kreislauf-System nicht mehr richtig trainieren“, so Bartl.
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Die Risikofaktoren für Stürze sind meist mit dem fortschreitenden Alter verbunden: Gehirn und Nerven altern, es kommt leichter zu Störungen des Gleichgewichts. „Darüber hinaus lassen Kraft und Koordination nach“, berichtet das Zentrum für Qualität in der Pflege. Auch Schwerhörigkeit, Sehschwäche oder Wechselwirkungen bei der Einnahme verschiedener Medikamente erhöhen die Sturzgefahr.
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Für Betroffene wie Angehörige ist es nicht immer leicht herauszufinden, wie sturzgefährdet ein Mensch ist. Hier kann eine Checkliste helfen, die Experten ausgearbeitet haben. Für sie sind folgende Fragen zu beantworten:
- Ist der ältere Mensch im letzten Jahr bereits gestürzt?
- Fühlt er sich beim Gehen unsicher oder hat er Angst zu stürzen?
- Ist der Gang unregelmäßig und langsam?
- Benötigt der Betroffene eine Gehhilfe?
- Muss sich die Person stark auf das Gehen konzentrieren und verschlechtert sich die Gehleistung?
Sturzrisiko: Dieser Selbsttest kann bei der Einschätzung helfen
Werden mindestens zwei dieser Fragen mit Ja beantwortet, liegt ein erhöhtes Sturzrisiko vor. Darüber hinaus können Angehörige und Betroffene auch zwei Selbsttests machen: Benötigen ältere Menschen mehr als zehn Sekunden, um fünfmal aus einem Stuhl ohne zur Hilfenahme der Arme aufzustehen, ist vermutlich die Muskelleistung gemindert. Ist die Person nicht in der Lage, zehn Sekunden so zu stehen, dass die Füße hintereinander in einer Linie sind (Hacke an Spitze), besteht eine Balancestörung. Muskelschwäche und Balancestörung sind ebenfalls Sturzrisiken.
Besonders gefährlich sind Stürze für Menschen, die an Osteoporose leiden, eine Erkrankung, bei der die Knochen porös werden und leichter brechen. Bei ihnen kann bereits ein Sturz, der einem Niedersinken gleicht, Knochenbrüche auslösen. Experten sprechen hier von „niedrig-traumatischen“ Stürzen aus dem Stand.
„Männer ab 70 und Frauen ab 60 sollten ihre Risikofaktoren für Osteoporose abklären: Liegen bereits Brüche vor, haben meine Mutter oder mein Vater Osteoporose oder besteht eine dauerhafte Einnahme von Kortison aufgrund anderer Erkrankungen, die zu einem verstärkten Knochenabbau führt?“, sagt Christoph Bartl. Bei vorliegenden klinischen Risikofaktoren rät der Experte zu einer Knochendichtemessung, die etwa. 45 Euro kostet. Meist werde diese sinnvolle Präventionsmaßnahme aber nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.
Osteoporose-Therapie stimuliert den Knochenaufbau
Zeigt sich eine deutlich erniedrigte Knochendichte in Kombination mit klinischen Risikofaktoren, sollte Bartl zufolge eine medikamentöse Osteoporose-Therapie eingeleitet werden. Hierbei werden Medikamente angewendet, die den Knochenabbau reduzieren. Alternativ werden Medikamente eingesetzt, die den Knochenaufbau aktiv stimulieren, wenn ein hohes Frakturrisiko vorliegt.
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„Das heißt, dass ich auch dann das Risiko für Brüche noch minimieren kann, wenn bereits eine Osteoporose vorliegt“, sagt Bartl. Vergleichsstudien hätten gezeigt, dass durch die Medikamente die Fraktur-Rate in der Therapiegruppe um bis zu 60 Prozent gesenkt werden kann, im Vergleich zur Patientengruppe, die das Medikament bei gleichem Risikoprofil nicht einnimmt.
Neben Basislaborwerten wie dem Blutbild, Kalzium und Vitamin D, die regelmäßig vom Hausarzt überprüft werden können, sind auch noch weitere Speziallaborwerte wichtig, um das Ausmaß des Knochenschwundes feststellen zu können. Die Bestimmung von Knochenaufbau- und Abbauwerten geben einen Hinweis, wie aktiv die Osteoporose ist und wie ausgeprägt der Knochenmasseverlust ist.
Um Osteoporose vorzubeugen, rät der Mediziner zu einer ausgewogenen Ernährung, zum Verzicht auf Nikotin und einer Kontrolle der Blutzuckerwerte. „Diabetes ist ein Risikofaktor für Osteoporose“, sagt er. Darüber hinaus sei es wichtig, die Koordination und die Muskulatur zu trainieren. „Regelmäßiges Muskelaufbautraining stimuliert ebenfalls den Knochenaufbau“. Studien belegen laut Bartl zudem, dass ein gezieltes Kraft- und Gleichgewichtstraining das Sturzrisiko signifikant senkt.