Düsseldorf. NRW begibt sich nach der aus dem Ruder gelaufenen Pro-Palästina-Demo auf Fehlersuche. Wurden rechtliche Möglichkeiten nicht genutzt?
Nach dem Islamisten-Aufmarsch in Essen am vergangenen Freitag, der als pro-palästinensische Demonstration angemeldet worden war, wird in Düsseldorf über Grenzen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit diskutiert. Es steht die Frage um Raum, ob die Polizei eine Veranstaltung gewähren lassen musste, bei der die Gründung eines islamischen Gottesstaates gefordert wurde und Symbole zu sehen waren, die den Erkennungszeichen der Terrororganisation IS ähnelten.
Warum dürfen Pro-Palästinenser-Aufmärsche, bei denen immer wieder das Existenzrechts Israels in Frage gestellt wird, überhaupt noch in NRW stattfinden?
Nach Artikel 8 des Grundgesetzes ist zunächst einmal jede Versammlung, die sich an Recht und Gesetz hält, geschützt. Die Demonstration muss friedlich und waffenfrei sein und darf keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten. Eine bloße Vermutung, dass es zu volksverhetzenden Parolen kommen könnte, reicht für ein Verbot oft nicht aus. „Polizisten müssen es Tag für Tag ertragen, dass sie Demonstranten schützen, die ganz merkwürdige Sachen vortragen“, hat NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Wochenende noch einmal betont.
Wer entscheidet über ein Versammlungsverbot?
Die Polizei kann Auflagen für Versammlungen machen oder sie ganz verbieten, muss dafür aber eine unmittelbare Gefahr durch die angemeldete Demonstration für die öffentliche Sicherheit nachweisen. Dafür kann sie zum Beispiel konkrete negative Erfahrungen mit bestimmten Personen heranziehen oder belastbare Hinweise auf ein geplantes gewaltsames Auftreten. Das letzte Wort hat meist das Verwaltungsgericht.
Darum verbietet NRW so wenige Palästinenser-Demos
Warum werden Palästinenser-Demos in anderen Bundesländern verboten, nicht aber in NRW?
Die Kölner Polizei hat im Oktober versucht, eine pro-palästinensische Versammlung zu verbieten, scheiterte jedoch vor dem zuständigen Verwaltungsgericht. Die Versammlungsfreiheit als große Errungenschaft des demokratischen Rechtsstaates wird häufig höher gewichtet als die Bedenken der Polizei. In Berlin, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt konnten dagegen auch schon Verbote von Pro-Palästinenser-Demonstrationen gerichtsfest ausgesprochen werden. In Bremen und Hamburg wiederum gab Verbote, die nicht beklagt wurden.
Kann eine ordnungsgemäß angemeldete Versammlung trotzdem aufgelöst werden?
Nur weil eine Versammlung im Vorfeld nicht verboten werden kann, bedeutet das nicht, dass antisemitische Hetze, Vermummung oder das Zeigen verbotener Symbole wie der Hamas-Flagge während der Veranstaltung erlaubt wären. Die Polizei geht in der Regel gegen einzelne Veranstaltungsteilnehmer mit sogenannten Gefährderansprachen vor, leitet Strafverfahren ein und kann die Versammlung in letzter Konsequenz auch komplett auflösen. Wobei immer die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt werden muss.
Auch in NRW hat die Meinungsfreiheit auf Demos Grenzen
Hätte der Islamisten-Aufmarsch in Essen aufgelöst werden müssen?
Die Einsatzkräfte, Staatsschützer, Juristen und Übersetzer, die am Freitagabend auf Essens Straßen unterwegs waren, sahen keine ausreichenden Gründe, die formal friedliche Versammlung zu beenden. Fahnen, Plakate und öffentliche Reden wurden offenbar nicht als eindeutig verboten identifiziert. Erst nachträglich wurde ein Strafverfahren gegen einen Redner eingeleitet. Innenminister Reul kündigte an, Videos auswerten zu lassen, um weitere Anhaltspunkte für den Verdacht der Volksverhetzung zu finden: „Wenn wir einen Nachweis haben, wird zugegriffen. Aber wir müssen es beweisen.“
Darf in NRW wirklich das Kalifat straffrei ausgerufen werden?
SPD-Innenexpertin Christina Kampmann bestreitet, dass es keine rechtliche Handhabe zur Beendigung des Islamisten-Aufmarsches von Essen gegeben habe. „Diese im Kern islamistische Demonstration hätte aufgelöst werden müssen. Wenn das Kalifat ausgerufen wird, islamistische Flaggen geschwenkt werden und der eigentliche Grund der Anmeldung einer Demonstration ad absurdum geführt wird, dann hat diese keine Berechtigung mehr“, sagte Kampmann unserer Redaktion. Sie warf Innenminister Reul, das rechtliche Instrumentarium nicht genutzt zu haben. Der CDU-Politiker forderte wiederum Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auf, mehr islamistische Vereine und Organisationen zu verbieten.
NRW diskutiert strengere Auflagen für Palästina-Demos
Muss das Versammlungsgesetz in NRW schon wieder verschärft werden?
Seit 2022 gibt es in NRW ein neues Versammlungsgesetz, das wegen höherer Auflagen für Demonstrationen umstritten war. Innenminister Reul musste viel Kritik einstecken und den Gesetzestext entschärfen. Versammlungsleitungen müssen seither enger mit der Polizei kooperieren. Zudem wurde das Vermummungsverbot präzisiert. Nach dem Eklat von Essen könnte nun noch einmal nachgebessert werden. Er habe versucht, die Grenzen des Versammlungsgesetzes eng zu fassen, sagte Innenminister Reul im WDR-Fernsehen: „Heute würde ich mir wünschen, ich hätte mich noch ein Stückchen besser durchsetzen können.“ Auch die Grünen signalisieren plötzlich Gesprächsbereitschaft zumindest über die die Anwendungspraxis: „Das Versammlungsgesetz bietet rechtliche Möglichkeiten, dazu gehören strenge Auflagen bei Versammlungen. Es ist gut, wenn das Innenministerium nach den Ereignissen des Wochenendes prüft, ob die Auflagen noch enger gefasst werden müssen“, sagte Grünen-Fraktionschefin Verena Schäffer unserer Redaktion. „Strenge Auflagen und konsequente Strafverfolgung sind jetzt die richtigen Antworten“, betonte auch Grünen-Innenexpertin Julia Höller.