Bochum. Expertin: Sprachmodelle wie ChatGPT werden Lehrer nicht ersetzen. Aber KI kann ihnen helfen, besseren Unterricht zu machen. Was dafür nötig ist.

An den Schulen in NRW herrschen Aufregung und nicht selten pure Ratlosigkeit, seit ChatGPT für alle Schülerinnen und Schüler zugänglich ist. Pädagogen sind verunsichert, wie Künstliche Intelligenz den Unterricht verändern wird. Wenn Wissen auf Knopfdruck abrufbar ist – wofür braucht man dann noch Lehrer?

Sprachmodelle wie ChatGPT sind längst im Lernalltag der Schülerinnen und Schüler angekommen, weiß Nikol Rummel. Die Professorin für Pädagogische Psychologie und Bildungstechnologie an der Ruhr-Universität leitet derzeit am „Center for Advanced Internet Studies“ (CAIS) in Bochum das Forschungsprogramm Bildungstechnologien und Künstliche Intelligenz (KI). Im Interview betont sie, dass Verbote keinen Sinn machen, sondern es jetzt darum gehen muss, Konzepte zu erarbeiten, wie KI im Unterricht sinnvoll genutzt und eingesetzt werden kann. Denn ChatGPT sei ja nur eine Form von KI, die in die Schule drängt.

Was macht Künstliche Intelligenz mit Schulen?

Nikol Rummel: Mit der Veröffentlichung von ChatGPT im November 2022 drängt sich die Frage auf, welche Rolle die Nutzung generativer Sprachmodelle in der Schule spielen kann. Nutzungsstatistiken des Entwicklers Open AI zeigen, dass das System längst von Schülerinnen und Schülern genutzt wird. Man muss bedenken, dass dies kein pädagogisches Werkzeug ist. Es bietet aber jetzt die Chance darüber nachzudenken, wie Lernen mit ChatGPT angeleitet werden kann. Dabei steht die Forschung aber noch ganz am Anfang.

Bildungsexperten sagen, ChatGPT bedeute den größten Umbruch in den Klassenzimmern seit Erfindung der Schiefertafel – müssen wir Schule ganz neu denken?

Nun, es bedeutet sicherlich einen Umbruch. Aber solche Debatten gab es immer. Schon Platon regte sich darüber auf, dass die Schrift und das Schreiben das Denken verderben würden. Ähnliche Diskussionen gab es bei der Erfindung des Buchdrucks, des Computers und in jüngerer Zeit des Taschenrechners. Stets war die Bildung in Gefahr.

KI-Expertin Nikol Rummel ist Professorin für Bildungstechnologie an der Ruhr-Uni Bochum.
KI-Expertin Nikol Rummel ist Professorin für Bildungstechnologie an der Ruhr-Uni Bochum. © RUB

Das sehen Sie anders? Kritiker meine, künftig seien Lehrerinnen und Lehrer überflüssig…

Lehrkräfte werden durch KI ja nicht ersetzt. Im Gegenteil: Sie sind unverzichtbar, damit mit KI sinnvoll gelernt werden kann. Und KI-Systeme helfen ihnen, ihre knappe Zeit besser zu nutzen, um mehr für den Lernerfolg ihrer Schülerinnen und Schüler tun zu können.

Und wie kann das aussehen?

Mit KI, wie sie in intelligenten tutoriellen Systemen genutzt wird, können Schülerinnen und Schüler inhaltlich lernen und erhalten dabei individuelle und passgenaue Rückmeldungen zum Lernerfolg. Generative KI, wie sie in ChatGPT zum Einsatz kommt, kann bei Verstehensprozessen durch Erklärungen oder Zusammenfassungen langer Texte helfen. Sie kann die Schreibfähigkeit und das Formulieren unterstützen. Nicht zuletzt schult der Umgang die KI-Kompetenzen selbst, was künftig immer wichtiger werden wird. Insgesamt sehe ich mehr Chancen als Risiken.

Was machen denn Schülerinnen und Schüler heute schon mit ChatGPT?

Sie nutzen das natürlich, um Arbeit zu sparen. Das würde ich auch machen. Sie probieren alles Mögliche damit aus. Sie generieren Folien, fassen für Referate Texte zusammen oder lassen sich Matheaufgaben erläutern. Natürlich muss sich der Schulbetrieb darauf einstellen. Hausarbeiten kann auch die KI schnell erledigen, die muss man künftig sicherlich anders stellen. Aber bei Klausuren, mündlichen Prüfungen oder Klassenarbeiten ändert sich ja nicht unbedingt etwas.

Und wie kann die KI die Lehrkräfte unterstützen?

Etwa über sogenannte Dashboards. Ein Beispiel: Schüler lösen Matheaufgaben in einem Computerprogramm, machen dabei Fortschritte oder Fehler. Eine Lehrkraft kann sich dort einschalten und sehen: Wo stehen meine Schüler, wo gibt es Defizite, woran sind sie gescheitert? Das System gibt einen Überblick über den Leistungsstand jedes einzelnen Schülers. Das gibt den Lehrkräften die Möglichkeit, gezielter zu fördern.

Brauchen Schulen Regeln für den Einsatz von KI?

Das ist zunächst eine Frage des Datenschutzes, die geklärt werden muss. Wichtiger aber ist der pädagogische Aspekt: Wir sollten fragen, wo der Einsatz sinnvoll ist. An solchen pädagogischen Konzepten arbeiten wir derzeit auch am CAIS. Es ist auf keinen Fall sinnvoll, um das Lernen zu ersetzen und Lernprozesse auszulagern.

In Zeiten der Corona-Pandemie gab es an manchen Schulen Widerstände gegen den Einsatz digitaler Medien. Warum sollte das jetzt anders sein?

Lehrkräfte sind ohnehin mit vielen zusätzlichen Aufgaben belastet und blocken weitere Anforderungen natürlich ab. Bisher arbeitet jede Lehrkraft mehr oder weniger auf eigene Faust mit dem System. Die Kollegien brauchen Unterrichtskonzepte und didaktische Fähigkeiten, um KI sinnvoll einzusetzen.

Wie werden Schülerinnen und Schüler künftig lernen?

Sie werden sicher auch mit text- und bildgenerierenden Systemen arbeiten. Sie werden lernen, sinnvolle Anfragen zu stellen, um die gewünschten Ergebnisse zu erhalten. Sie brauchen also ein Grundwissen, um einschätzen zu können, ob die Resultate richtig sein können, und die Fähigkeit, Informationen kritisch zu überprüfen. Dieses Problem begleitet uns schon eine Weile, Stichwort Fakenews. Damit müssen wir uns jetzt besonders dringend auseinandersetzen.

Und wie werden Lehrkräfte in Zukunft unterrichten?

Auf sie kommt die Aufgabe zu, zunächst die Möglichkeiten der KI zu durchdringen, um ihre Schüler dann zu Kritik, Verständnis und zum Selbstlernen anzuleiten. Wenn es gute Konzepte gibt und intelligente Lernsysteme, dann können Schulen ihre Bildungsziele noch besser erreichen. Denn die Technik führt nicht dazu, dass nicht mehr gelernt wird. Aber es wird anders gelernt.

Sie meinen, Schulen werden von KI am Ende profitieren?

Die Frage ist, wie wir Schulen mit Lernkonzepten und digitaler Technik so ausstatten können, dass Lehrkräfte KI im Unterricht gut einsetzen können, ohne sie damit allein zu lassen. Da sehe ich derzeit die größte Gefahr, denn die Bildungspolitik ist oft zu schwerfällig. Aber ich bin überzeugt: Schulen werden davon profitieren. Sie können durch den sinnvollen Einsatz der Technologie zu dem Lernort werden, der sie eigentlich schon immer sein sollten.

>>>> Info-Veranstaltung in Bochum:

„Was macht KI im Klassenzimmer“ ist der Titel einer Diskussionsveranstaltung am Donnerstag, 26. Oktober, 18 Uhr, im Kunstmuseum Bochum, Kortumstraße 147.

Prof. Nikol Rummeldebattiert beim CAIS-Forum über Chancen, Ängste und Risiken mit Bildungsexperten und Lehrkräften über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Klassenzimmer. Infos: www.cais-research.de

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