Düsseldorf. Peter Biesenbach (CDU) und zwei weitere frühere Spitzenpolitiker warnen vor faulen Kompromissen im Kampf gegen die Cum-Ex-Betrüger.

Zwei Ex-Landesminister werfen NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) vor, Probleme bei der Aufklärung des Cum-Ex-Skandals und Chaos in der für die Ermittlungen hauptsachlich zuständigen Staatsanwaltschaft in Köln zu dulden. Die Gefahr, dass Täter ungeschoren davonkommen könnten, sei groß.

Wirbel um personelle Ausstattung der Staatsanwaltschaft Köln?

„Ich befürchte, dass für Limbach die Strafverfolgung in diesen Fällen keine große Bedeutung hat“, sagte Ex-NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) dieser Redaktion. „Wir benötigen zur Bewältigung der Cum-Ex-Verfahren eine verstärkte personelle Ausstattung der Hauptabteilung H bei der Kölner Staatsanwaltschaft. Sie muss zudem mit einer beachtlichen Zahl erfahrener Kriminalbeamter sowie mit sachkundigen Wirtschaftsfachleute und den erforderlichen Sachmitteln unterstützt werden.“

Auch der frühere NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) schlägt Alarm: „Der Stand der Ermittlungen in den Cum-Ex-Fällen ist erschütternd“, sagt er. Ein Minister dürfe den Clinch mit seiner Behörde nicht scheuen. Cum Ex müsse „Chefsache“ sein.

Größter Steuerraub in der Geschichte der Bundesrepublik

Cum-Ex steht für den größten Steuerraub in der Geschichte der Bundesrepublik. Dutzende Finanzunternehmen haben sich über ein ausgeklügeltes System Steuern erstatten lassen, die sie nie gezahlt hatten. Die Beute: ein zweistelliger Milliardenbetrag. Bei der Staatsanwaltschaft Köln sind 120 Cum-Ex-Verfahren gegen rund 1700 Beschuldigte anhängig. Bisher wurden acht Anklagen erhoben und fünf Urteile gesprochen. Laut dem NRW-Justizministerium könnten in diesem Jahr drei weitere Anklagen folgen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, in seiner Zeit als Erster Bürgermeister Hamburgs in die Cum-Ex-Ermittlungen gegen die Warburg Bank eingegriffen zu haben, und zwar zugunsten der Bank. Der Prozess gegen den Warburg-Banker Christian Olearius, der Scholz besuchte, als die Steuerbetrugsvorwürfe im Raum standen, begann vor wenigen Tagen in Bonn. Olearius‘ „Gegnerin“ ist Deutschlands erfahrenste Cum-Ex-Jägerin: die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker. Im Fall der Warbung Bank und Olearius geht es um 280 Millionen Euro. Eine Haftstrafe ist möglich. Bisher wurden in Cum-Ex-Verfahren sowohl Haft- als auch Bewährungsstrafen verhängt.

Reibung zwischen Justizministerium und Staatsanwaltschaft

Zwischen der Kölner Staatsanwaltschaft und dem NRW-Justizministerium kam es zuletzt zu Streit im Zuge der Cum-Ex-Aufklärung, weil Dokumente, die der Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss in NRW anforderte, verspätet oder gar nicht geliefert wurden. Der Leiter der Staatsanwaltschaft, Joachim Roth, warf nach einem Streit mit Limbach frustriert hin.

Das Ministerium versichert auf Nachfrage dieser Redaktion, dass ihm die effiziente staatsanwaltliche Behandlung der Cum-Ex-Verfahren „ein herausragend wichtiges Anliegen“ sei. Es habe die neue Leitung der Kölner Staatsanwaltschaft um Prüfung gebeten, ob „Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz“ erforderlich seien. Im Landtag hatte Limbach geschildert, wie zögerlich die Staatsanwaltschaft auf Aufforderungen reagiert habe, Dokumente für den U-Ausschuss herauszugeben.

Biesenbachs Warnung: "Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen"

Der frühere NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) könnte sich zurücklehnen und seinen Ruhestand genießen. Stattdessen ist er ein unruhiger Mahner. Er warnt davor, dass der größte Steuerraub in der bundesdeutschen Geschichte für viele der Täter mit komfortablen „Deals“ enden könne. Biesenbach setzt bei diesem Thema sogar seinen Nachfolger Benjamin Limbach (Grüne) unter Druck. Das ist ungewöhnlich. Ex-Minister fahren ihren Nachfolgern selten in die Parade.

Cum-Ex lässt dem Juristen aus Hückeswagen aber keine Ruhe. Biesenbach hatte einst die für diese Ermittlungen hauptsächlich zuständige Staatsanwaltschaft Köln personell aufgerüstet, von drei auf 36 Stellen. Seit einiger Zeit sieht er die Gefahr, dass die Ermittlungen ins Stocken geraten und die Behörde im Kampf gegen die mächtigen Steuerbetrüger unterliegen könnte. Er stellte im Frühjahr sogar eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den damaligen Leiter der Staatsanwaltschaft.

Seine Motivation beschreibt der 75-Jährige so: „Der kleine, private Steuerzahler hat keine Chance, wenn auffällt, dass er eine fehlerhafte Steuererklärung abgegeben hat. Dann holt der Staat gleich die große Keule heraus. Bei Cum-Ex drohen Verfahrenseinstellungen, obwohl hier im großen Stil und mit massiver krimineller Energie systematisch Milliarden Euro hinterzogen wurden“, sagt Biesenbach. Es dürfe nicht nach dem Motto zugehen: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. „Ich möchte verhindern, dass diese Verfahren irgendwann eingestellt werden. Hier geht es um die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats.“

Es knirscht seit einiger Zeit in der Kölner Behörde. 34 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sind hier aktuell mit Cum-Ex-Verfahren beschäftigt, darunter eine besonders Erfahrene: Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, die Leiterin der Hauptabteilung H.

Nur unter Druck wurden Dokumente herausgegeben

Laut WDR und „Manager Magazin“ soll es interne Machtkämpfe geben, die auf Brorhilker persönlich zielen. Kein Gerücht ist, dass die Staatsanwaltschaft monatelang nicht auf Aufforderungen des Cum-Ex-Untersuchungsausschusses in Hamburg, wichtige Dokumente herauszugeben, reagieren konnte oder wollte. Erst als die Hamburger mit Klage vorm Bundesverfassungsgericht drohten und NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) massiv angingen, wurden die Dokumente gegen heftigsten Widerstand in der Staatsanwaltschaft vom Ministerium eingefordert.

Im Justizausschuss des Landtags berichtete Limbach von ernsten Konflikten: „Es war gegenüber dem U-Ausschuss nicht darstellbar, dass die größte Staatsanwaltschaft des Landes nach Monaten nicht wenigstens zu einer Teillieferung von Unterlagen oder auch zu einer nachvollziehbaren Erklärung für das Ausbleiben der Lieferung in der Lage war.“

Grünen-Politiker: "Die Staatsanwaltschaft Hamburg ist bei Cum-Ex ein Totalausfall"

Man muss wohl dankbar dafür sein, dass in Köln überhaupt Spezialisten in diese komplizierte Ermittlungsarbeit eintauchen. Der frühere finanzpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Gerhard Schick, sagt sogar, die Kölner leisteten „heroische“ Arbeit.

„Die Staatsanwaltschaft Hamburg ist bei Cum-Ex ein Totalausfall. Die wollte nicht ermitteln. Bisher kam auch in Stuttgart und in München keine Anklage zustande. Die Konzentration auf Köln ist der Tatsache geschuldet, dass andere Staatsanwaltschaften ihre Arbeit nicht gemacht haben“, sagt Schick. Er leitet den Verein „Bürgerbewegung Finanzwende“, eine Kampagnenorganisation, die sich als Gegengewicht zur Finanzlobby versteht und in der sich auch Peter Biesenbach und der frühere NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) engagieren.

Die Arbeitsbedingungen der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sind unbekannt

Unbekannt ist, wie intensiv sich die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Köln um die Cum-Ex-Ermittlungen kümmern können. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das NRW-Justizministerium machen daraus ein Geheimnis.

Peter Biesenbach befürchtet Schlimmes. „Cum-Ex-Ermittlungen macht man nicht mal eben nebenbei. Das ist ein Fulltime-Job. Das schafft man nicht mit Berufsanfängern und Teilzeitkräften. Man braucht dazu erfahrene Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die nicht das Gefühl haben dürfen, beruflich auf einem Abstellgleis zu sein. Bedauerlicherweise gibt es keine Anreize für Staatsanwälte, sich um Cum-Ex-Ermittlungen zu kümmern.“ Bei den Ermittlungen zu den „Panama Papers“ sei dies anders gewesen. „Nach den mir zugetragenen Informationen wurden dort alle Staatsanwälte befördert“, so Biesenbach.

Wenn Geld in Strömen aus dem Steuersäckel fließt

Norbert Walter-Borjans, der als Finanzminister einst mit dem Ankauf von Steuer-CDs Schlagzeilen machte, beschreibt das Cum-Ex-Problem so: „Stellen wir uns das Steuersäckel als prall gefüllten Sack mit kleineren und großen Löchern vor. Jedes davon ist eines zu viel. Aber auf die kleinen sichtbaren Schlupflöcher gucken im Zweifel fünf Finanzbeamte. Auf der Rückseite des Sacks ist aber ein riesiges Loch, aus dem das Geld in Strömen fließt, und es fehlen die Mittel, um dagegen wirkungsvoll vorzugehen.“ Das sei wie die Rückseite des Mondes, die von der Erde aus keiner sehen könne.

„Finanzwende“-Chef Schick befürchtet faule Kompromisse. Es gebe „Kräfte“, die auch bei Cum Ex so vorgehen wollten, wie es früher in Fällen von Wirtschaftskriminalität üblich gewesen sei: „Man macht einen Deal, zahlt ein bisschen Geld, und dann wird das Verfahren eingestellt. Sollte es bei Cum-Ex auch so kommen, wäre das ein Freifahrtschein für Finanzkriminalität der Zukunft.“

Kampagne gegen Scholz: "Transparenz statt Erinnerungslücken"

Schick meint, die Staatsanwaltschaft Köln benötige erstens mehr Personal für Cum Ex, zweitens die komplette Freistellung dieser Ermittler von anderen Aufgaben und drittens die volle politische Unterstützung. Im Grunde fehle aber in Deutschland für solche komplexen Steuerdelikte eine Bundesbehörde, vergleichbar mit dem Bundeskriminalamt, die solche Ermittlungen an sich ziehen könne.

"Finanzwende" appelliert übrigens in einer Kampagne an Bundeskanzler Olaf Scholz, sich in Sachen Cum-Ex nicht hinter Erinnerungslücken zu verstecken: "Vor allem Ihr mangelnder Wille, Transparenz über die Vorwürfe zu schaffen und Konsequenzen daraus zu ziehen, nähren seit Jahren Politikverdrossenheit. Sie sollten einer lückenlosen Aufklärung der politischen Einflussnahme im Cum-Ex-Skandal nicht länger im Weg stehen", steht dort.