Köln. Seit es das Prostituiertenschutzgesetz gibt, trägt Nicole Schulze ihren „Hurenschein“ brav bei sich. Geschützt fühlt sie sich dadurch aber nicht.

Mit manchen Kunden trinkt Nicole Schulze nur Kaffee, mit manchen schmust sie, mit anderen hat sie Sex. Der Grund, weshalb Männer das Wohnmobil der Prostituierten aufsuchen, ist meist derselbe: Weil sie sich einsam fühlen und auf der Suche nach Zuneigung und Nähe sind. „Freiwillige Sexarbeit ist sinnvoll und wichtig“, sagt die 43-Jährige. Als Landessprecherin des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. (DesD) kämpft sie deshalb dafür, dass Prostituierte vom Staat besser unterstützt und weniger stigmatisiert werden.

Sexarbeit in NRW: Vom Schuldenloch zum Straßenstrich

Angefangen hat alles vor knapp 20 Jahren auf der Geestemünder Straße in Köln. Die damals 24-Jährige versank in Schulden und musste sich und ihre zwei Kleinkinder irgendwie durchboxen. In ihrer Not entschied sie sich dazu, in die Straßenprostitution einzusteigen. An der Geestemünder Straße fand die junge Mutter nicht nur Arbeit, sondern auch eine Gemeinschaft, in der sie herzlich aufgenommen und beraten wurde. Heute, mit 43 Jahren, sind die Schulden beglichen und die Kinder groß. Schulze ist bei der Sexarbeit geblieben, weil sie, wie sie sagt, Gefallen daran gefunden habe. Neben Witwern und Senioren gehören zu ihren Stammkunden auch Menschen mit Behinderungen.

Sexarbeit wird als Gewerbe oft nicht ernst genommen

„In meinem Alltag dreht sich längst nicht alles nur um Sex“, erklärt Schulze. Es falle auch jede Menge Büroarbeit an, zum Beispiel für die Buchhaltung, Terminplanung oder telefonische Vorgespräche. „Ich führe ein ganz normales Gewerbe, mit dem Unterschied, dass ich oft nicht als gewerbetreibende Person ernst genommen werde“, so die Sexarbeiterin. Es habe zum Beispiel drei Jahre gedauert, bis sie ein Geschäftskonto bei der Bank eröffnen konnte und auch im Großmarkt Metro musste Schulze erst Überzeugungsarbeit leisten, bis sie einen Ausweis erhielt. „Was Sie denn so Dringendes aus der Metro für ihren Job bräuchte“, habe man sie nur gefragt.

Prostituiertenschutzgesetz: Der „Hurenschein“ ist Pflicht

Dabei soll das Prostituiertenschutzgesetz, das seit dem 1. Juli 2017 in Kraft ist, eigentlich Gegenteiliges bewirken: Es soll die Rechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern stärken und sie vor Ausbeutung und Zwang schützen. „Das ist absolut nicht gelungen“, findet Schulze. Das Gesetz sehe unter anderem eine Meldepflicht für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter vor, wobei ihnen im Anschluss eine Bescheinigung ausgehändigt wird.

Ihr „Hurenschein“ – wie Schulze ihn selbst bezeichnet – muss regelmäßig verlängert werden und ist mit Namen, Meldeadresse und einem Foto versehen. „Für mich ist das in Ordnung, weil ich ohnehin offen mit meiner Berufung umgehe“, sagt die 43-Jährige. „Aber nicht jede Sexarbeiterin möchte oder kann ihre Anonymität aufgeben, weil sie zum Beispiel ihre Kinder vor Mobbing schützen will oder Angst vor negativen Reaktionen hat“, betont sie.

Und was ist mit dem Schutz? Davon fehlt laut Schulze jede Spur. Stattdessen berge das Gesetz sogar mehr Gefahren – auch für diejenigen, die sich freiwillig prostituieren lassen. „Früher habe ich mir zum Beispiel eine Unterkunft mit Kolleginnen geteilt, wodurch wir uns gegenseitig schützen konnten“, erklärt sie. „Heute muss ich allein bleiben, weil ich sonst eine Betreibergenehmigung bräuchte, die an Voraussetzungen und vor allem Kosten gebunden ist.“

Auch für Frauen, die im Bordell arbeiten, habe das Gesetz große Nachteile, weil sie seither nicht mehr in ihren Arbeitszimmern übernachten dürften. „Manche haben aber keine andere Wahl, weil sie zum Beispiel von weiter herkommen“, erklärt Schulze. Die Kosten für ein Hotelzimmer müssten sie selbst tragen. Letztendlich werde für alle Sexarbeiterinnen der Druck größer: Man müsse mehr Freier empfangen, weil man viel höhere Ausgaben habe.

Sechs Jahre nach seinem Inkrafttreten wird die Kritik am Prostituiertenschutzgesetz lauter. „Das Prostituiertenschutzgesetz weckt Ängste und Misstrauen, daher gehen Sexarbeiterinnen und Prostituierte ihm aus dem Weg. Viele fühlen sich stigmatisiert und überfordert, zum Beispiel beim Thema Steuern“, sagte Tamara Degenhardt, Leiterin der Dortmunder Beratungsstelle „Kober“, dieser Redaktion. Lesen Sie dazu:

Schutzgesetz soll Zwangsprostitution verhindern

Anders als Schulze und ihre Kolleginnen, gibt es allerdings auch nicht wenige Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden. Nach Schätzungen von Elke Bartels, die über zehn Jahre lang Chefin der Duisburger Polizei war, sollen im Duisburger Rotlichtviertel zum Beispiel nur zehn bis 20 Prozent aller Prostituierten ihre Arbeit freiwillig ausüben. Auch hier bezweifelt die Sexarbeiterin, dass das Prostituiertenschutzgesetz eine Hilfe bietet. „Es hat lediglich dazu geführt, dass die Betroffenen noch mehr Angst davor haben, sich bei der Polizei zu melden“, so die 43-Jährige.

„Ich würde mir wünschen, dass es sowohl in der Stadt als auch auf dem Land viel mehr Beratungsstellen gibt und dass an alle Formen der Prostitution gleichermaßen gedacht wird“, sagt sie. Dabei müsse Zwangsprostitution klar von freiwilliger Prostitution unterschieden werden. Das eine sei ein schlimmer, krimineller Akt, der ganz klar bestraft und verboten werden müsse. Das andere sei ein normaler Beruf, der es verdient habe, unterstützt zu werden. Beides könne nicht unter einem Gesetz geregelt werden. „Die Politik sollte eher dazu beitragen, gegen das negative Stigma anzukämpfen, anstatt uns das Berufsleben zu erschweren“, fordert die Sexarbeiterin.

„Sexkaufverbot ergibt überhaupt keinen Sinn“

Von dem Vorschlag, ein Sexkaufverbot nach dem schwedischen Modell einzuführen, hält sie nichts. „Das würde die Zwangsprostitution nur verschlimmern“, meint Schulze. Die Betroffenen müssten noch verdeckter arbeiten, als sie es ohnehin schon tun, weil sie ihre Kunden schützen müssten. Und ihr eigenes Geschäft? Das würde in dem Fall zerbrechen. „Den Sexkauf zu verbieten, ergibt überhaupt kein Sinn! Man kann schließlich auch nicht zum Bäcker sagen: ‚Deine Brötchen darfst du backen, aber kein Kunde darf sie kaufen‘.“ Und man sehe auch in Schweden: „Die Sexarbeit gibt es weiterhin, nur eben illegal.“

Josefine Paul (Grüne): „Der Gesprächbedarf ist groß“

NRW-Gleichstellungsministerin Josefine Paul (Grüne) lud am Montag Expertinnen aus Beratungsstellen, den Berufsverband BesD, Landtagsabgeordnete und Vertreter von Städten zum ersten „Fachforum Prostitution“ ein. „Ich möchte besprechen, wie wir die Arbeitsbedingungen für Menschen in der Sexarbeit besser und sicherer machen können“, sagte Paul vor dem nichtöffentlichen Treffen. Das Forum knüpft an den „Runden Tisch Prostitution NRW“ an, der von Ex-NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) geleitet wurde. „Es wäre gut, wenn das Fachforum zu einer Neuauflage des Runden Tisches führen würde“, sagte Heike Köttner von der Bochumer Beratungsstelle „Madonna“.

Auch Köttner fordert Nachbesserungen. „Wichtig wäre zum Beispiel eine Vereinheitlichung der Standards in den Gesundheits- und Ordnungsämtern. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort sollten besser für den Umgang mit Prostituierten geschult werden, zum Beispiel, indem sie an Fortbildungen und Veranstaltungen teilnehmen. Wenn der Staat schon Wert auf Zwangsberatung legt, dann sollte diese Beratung auch überall gut sein.“

Angemeldet waren in NRW Ende 2021 etwa 6700 Prostituierte, rund 40 Prozent von ihnen hatten die rumänische Staatsangehörigkeit, 20 Prozent die deutsche. Die Dunkelziffer ist hoch. Schätzungen zufolge prostituieren sich in NRW bis zu 40.000 Menschen. „Nach der Pandemie wissen wir leider viel zu wenig darüber, wie es diesen Menschen geht, wie sie leben, was sie brauchen“, erklärt Degenhardt.