Dortmund. Tamara Degenhardt und ihr Team beraten Prostituierte. Hier erzählt sie von der Not der Frauen und wie sie geschützt werden könnten.

Die Beratungsstelle Kober in der Dortmunder Nordstadt kümmert sich seit vielen Jahren engagiert um Sexarbeiterinnen, Prostituierte und Frauen in prekären Lebenslagen. Die Sozialarbeiterin Tamara Degenhardt leitet die Beratungsstelle und wurde von NRW-Gleichstellungsministerin Josefine Paul (Grüne) zum ersten "Fachforum Prostitution" eingeladen. Mit Matthias Korfmann sprach Degenhardt über die Stärken und Schwächen des Prostituiertenschutzgesetzes und über das Thema Prostitutionsverbot.

Frau Degenhardt, wie hat das Prostituiertenschutzgesetz das Gewerbe verändert?

Degenhardt: Kurz nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zeigte sich, dass viele Betriebe an den Anforderungen scheiterten. Viele Menschen in der Sexarbeit meldeten sich nicht, wie gefordert, an, weil sie das Gesetz zum Beispiel daran hinderte, gemeinsam in einem Apartment zu arbeiten.

Dafür müssen sie ein Betriebskonzept vorlegen. Viele Appartements geben die Anforderungen aber nicht her und es würde erst gar nicht genehmigt werden. Für Frauen aus der Armutsprostitution, die nicht ausreichend alphabetisiert sind stellt dies ohnehin eine Hürde dar.

Ist zu viel Bürokratie das einzige Problem an dem Gesetz?

Degenhardt: Das Gesetz weckt Ängste und Misstrauen, daher gehen Sexarbeiterinnen/ Prostituierte ihm aus dem Weg. Viele fühlen sich stigmatisiert und überfordert wie zum Beispiel beim Thema Steuern.

Ist das Gesetz also gescheitert?

Degenhardt: Ich möchte und kann das pauschal nicht beantworten. Misst man das Gesetz an dem, was es leisten sollte, -- mehr Schutz für Sexarbeitende und Verbesserung der Lebensumstände -- dann scheint es gescheitert. Das Gesetz hat aber durchaus gute Ansätze, die leider nicht genügend an die Lebenswirklichkeit von Prostituierten angepasst wurden. An der einen oder anderen Stelle hat es die Situation sogar verbessert.

Auch viele Prostituierte halten das Prostituiertenschutzgesetz für gescheitert. Lesen Sie dazu:

Sexarbeit: „Ich will unterstützt und nicht gerettet werden“
Wo?

Degenhardt: Zum Beispiel, dass jetzt es in Bordellbetrieben getrennte Toiletten und Aufenthaltsräume geben muss. Wir haben früher bei unserer aufsuchenden Arbeit Betriebe gesehen, die wirklich furchtbar waren. Dunkle Räume, muffiger Geruch, abgewetzte Couchmöbel mit schmutzigen Decken. Die Toilette mussten sich die Frauen mit den Kunden teilen. Diese Betriebe wurden teilweise geschlossen. Es wurden auch Pauschalangebote, so genannter „Flatrate-Sex“, verboten. Früher haben viele Betriebe mit Pauschalangeboten geworben, heute ist das zumindest nicht mehr sichtbar.

Auch die Kondompflicht hat im Ansatz etwas Gutes. In den Betrieben hängen überall Schilder, die eventuell sensibilisieren und auf die die Frauen die Kunden verweisen können.

Sie sagten, man hätte das Gesetz besser an die „Lebenswirklichkeit“ anpassen sollen. Was meinen Sie damit?

Degenhardt: Es sollte in erster Linie ein Schutzgesetz sein, aber eine Prostituierte, die sich nicht anmeldet, macht sich strafbar. Wie wollen wir eine Gruppe Menschen schützen, indem wir sie mit einem Gesetz konfrontieren, das ihnen Strafe androht und das viele, die geschützt werden sollen, nicht verstehen? Ich gehe noch einen Schritt weiter: Man hat ein Gesetz geschaffen, das den Betroffenen viel abverlangt, aber man bietet ihnen auf der anderen Seite viel zu wenig an. Es fehlen zum Beispiel Sozialarbeits-Stellen für die aufsuchende Arbeit. Es gibt viel zu wenig zu wenig Beratung. Das größte Problem ist, das man die Menschen, die es betrifft nicht mit einbezogen hat.

Warum?

Degenhardt: Ich muss als Sozialarbeiterin keinen Berufsausweis mit mir herumtragen, Sexarbeitende/ Prostituierte müssen das. Diese Ausweise können in die falschen Hände gelangen. Man muss sich schon fragen, ob das Gesetz in erster Linie gemacht wurde, um Menschen zu schützen oder um eine bessere Einsicht in die Szene zu erhalten.

Was müsste sich ändern?

Degenhardt: Nach der Pandemie wissen wir leider viel zu wenig darüber, wie es vielen Sexarbeitenden/ Prostituierten aktuell geht, wie sie leben, was sie brauchen. Wir müssen aber zusammen mit den Menschen in der Sexarbeit Ideen entwickeln und nicht über ihre Köpfe hinweg. Der Zugang zu Beratung und Unterstützung müsste daher viel besser werden, denn Schutz für Sexarbeitende/ Prostituierte ist nur möglich, wenn es Menschen in ihrer Nähe gibt, denen sie vertrauen können. Auch das Thema Krankenversicherung muss geklärt werden. Im Moment gibt es nur eine Gesundheitsberatung, Menschen in der Sexarbeit haben aber keinen leichten Zugang zur Krankenversicherung. Das müsste geändert werden.

Es wird in Deutschland und in anderen europäischen Ländern über ein Verbot der Prostitution nachgedacht oder darüber, die Kunden zu bestrafen (Nordisches Modell). Was halten Sie davon?

Degenhardt: Die Erfahrung lehrt: Prostitution lässt sich nicht verbieten. Wir haben während des Prostitutionsverbotes in der Pandemie gesehen, dass sich viele Sexarbeitende dennoch weiter prostituiert haben und zwar vollkommen ohne Schutz und Kontrolle.

Wenn der Kunde bestraft wird, werden Sexarbeitende alles tun um den Kunden und damit ihre Einnahmequelle zu schützen und sich verstecken, obwohl er oder sie selbst keine Strafe befürchten muss. Diese Situation öffnet Tür und Tor für Missbrauch, denn es wird Menschen geben, die diese unsichere Situation ausnutzen, die Betroffenen möglicherweise erpressen.