Düsseldorf. Nach widersprüchlichen Aussagen zu AfD-Kooperationen reagiert die NRW-CDU auf den Parteichef so schroff wie noch nie. War's das?

Hendrik Wüst sei „urlaubsbedingt leider nicht verfügbar“, ließ die Düsseldorfer CDU-Zentrale am Montag ausrichten. Der NRW-Ministerpräsident, sonst virtuos im Umgang mit zwei Handys gleichzeitig und gewöhnlich rund um die Uhr bestens im Stoff, müsste seine Ferien mit Frau und Tochter schon auf einer sehr einsamen Pazifikinsel verbringen, um zu verpassen, was gerade in seiner Partei los ist. Wüst wollte erkennbar nichts beitragen zur Debatte über kommunale Kooperationen mit der AfD, die CDU-Chef Friedrich Merz im ZDF-Sommerinterview losgetreten hatte.

Dass sich der von Wüst geführte größte und einflussreichste Landesverband so hart und klar gegen den eigenen Bundesvorsitzenden positioniert, wie man es seit Jahrzehnten nicht mehr erleben konnte, wurde an diesem denkwürdigen Montag auch ohne frische Wüst-Zitate deutlich. Merz, der als Sauerländer selbst der NRW-CDU entstammt, hatte an Rhein und Ruhr geradezu einen Proteststurm entfacht. Sein Versuch, die bisherige Brandmauer der Union gegen die Rechtspopulisten auf „gesetzgebende Körperschaften“ wie Europaparlament, Bundestag und Landtag zu reduzieren, brachte selbst nüchterne Zeitgenossen auf die Barrikaden.

CDU-Kommunalpolitiker beziehen klar Stellung gegen Merz

„Es kann nur eine klare Haltung geben: Jeder Extremist ist Mist. Eine Zusammenarbeit kann es nicht geben“, sagte etwa NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach, immerhin Präsidiumsmitglied der CDU. Der Chef des größten Parteibezirks Ruhrgebiet, Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen, meldete sich sogar alarmiert aus dem Urlaub: „Für die CDU Ruhr kann ich klipp und klar sagen: es gab, es gibt und es wird keine Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene mit der AfD geben. Wir teilen in politischen Fragen weder gemeinsame Werte, noch kommen wir zu den gleichen Lösungen.“ Und selbst die sonst brave Kommunalpolitische Vereinigung (KPV) nannte die von Merz ausgelöste Debatte „vollkommen unnötig, überflüssig und kontraproduktiv“.

Was die Stunde geschlagen hat, musste dem Parteivorsitzenden spätestens am frühen Montagmorgen klar sein, als er NRW-Innenminister Herbert Reul im „Deutschlandfunk“ hörte. Der 70-Jährige ist nicht nur einer der wichtigsten Law-and-Order-Männer der Union, sondern gilt auch als Vertreter der alten Schulen. Reul mag keinen parteiinternen Streit, schätzt Merz persönlich und findet, dass eine Partei ihrem Vorsitzenden grundsätzlich Loyalität schuldet. Die Aussagen zur AfD-Zusammenarbeit ließen aber auch ihn ratlos zurück: „Ich weiß nicht genau, was er gesagt und gewollt hat.“

Merz rudert zurück - doch der Autoritätsverlust ist nicht zu übersehen

Merz korrigierte sich zwar im Laufe des Tages und erklärte die kommunale AfD-Öffnung zum Missverständnis, doch sein Autoritätsverlust in der NRW-CDU war da schon nicht mehr zu übertünchen. Es gibt dort inzwischen zwei Lesarten: Manche glauben, der Vorsitzende vergaloppierende sich andauernd. Migrantenkinder als „kleine Paschas“ zu bezeichnen, die in Uniform vorgetragenen Plattitüden der ehemaligen Eisschnellläuferin Pechstein als „brillant“ oder die CDU als „Alternative für Deutschland mit Substanz“ – das passiere „dem Friedrich“ halt. Andere fürchten hingegen den Versuch einer bewussten Achsenverschiebung in der Union nach rechts, um das Umfragehoch der AfD zu beenden.

Beide Varianten dürften Hendrik Wüst missfallen. Der NRW-Ministerpräsident versteht sich zum einen auf smarte Fehlerfreiheit. „Ich bin nicht für spannend gewählt, sondern für Machen“, sagte er neulich zum Einjährigen seiner harmonischen schwarz-grünen Koalition. Zum anderen hat er aus Erfahrung gelernt, dass Mehrheiten nur in der liberalen und aufgeschlossenen Mitte der Gesellschaft zu holen sind. Der AfD gräbt man nach seiner Überzeugung nicht das Wasser mit AfD-Annährung ab.

Immer mehr halten Wüst für den aussichtsreicheren Kanzlerkandidaten

Deshalb gibt es immer mehr Leute, die Wüst in seiner Anschlussfähigkeit 2025 für den aussichtsreicheren Kanzlerkandidaten halten als den 20 Jahre älteren Merz, der gerade bei Frauen und Jüngeren nicht ankommt. Doch Wüst könne kein Interesse daran haben, dass der Parteivorsitzende so lange vor den wichtigen Landtagswahlen im nächsten Jahr in Ostdeutschland schon kippt, heißt es. Wüst müsste dann viel zu früh in die Bundespolitik springen, drohe sich am Ende zwischen Düsseldorf und Berlin aufzureiben. Zudem bewegt sich der 48-Jährige seit über 30 Jahren in der CDU und weiß: Eine Partei liebt immer den Verrat, aber nie den Verräter.

Schon jetzt ist es trotz der Ampel-Schwäche ein ziemlich verhagelter Sommer für die Union. „Ich würde mir wünschen, wenn wir weniger über rein taktische Fragen diskutieren und mehr über die Inhalte, mit denen wir die AfD wieder klein bekommen“, schimpft der Landesvorsitzende des CDU-Sozialflügels, Dennis Radtke. „Die Inflation ist längst in der Mittelschicht angekommen, den Menschen brennt finanziell der Kittel. Parallel dazu verlieren wir unsere Schlüsselindustrien. Das muss für uns als CDU im Zentrum der Debatten stehen.“

Am kommenden Montag meldet sich Wüst mit einer Wanderung aus dem Urlaub zurück. Er begleitet Hessens wahlkämpfenden Ministerpräsidenten Boris Rhein auf einem 6-Kilometer-Fußmarsch von Willingen nach Winterberg. Ins Merz-Land.