Essen. Empört nehmen Teile der CDU zur Kenntnis, wie Merz die Partei nach rechts verschiebt. In Düsseldorf allerdings dürfte sich einer heimlich freuen.
Es war 9.05 Uhr, da platzte der Versuchsballon mit einem lauten Knall. Niemals, so twitterte CDU-Chef Friedrich Merz jetzt plötzlich, habe er etwas anderes gesagt, als dass es auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit seiner Partei mit der AfD geben werde. Am Vorabend hatte das im ZDF-Sommerinterview mit Merz noch ganz anders geklungen. Da hatte er noch davon gesprochen, dass man, wenn die AfD den Landrat oder Bürgermeister stelle, man nach Wegen suchen müsse, „wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet“. Man muss schon ein spitzfindiger Semantiker sein, um eine relevante Differenz zwischen „gemeinsam gestalten“ und „zusammenarbeiten“ zu entdecken, zumal Merz per Twitter noch nachgeschoben hatte, dass er eine Zusammenarbeit nur in „gesetzgebenden Körperschaften“ ausschließe, also im Europaparlament, im Bundestag und in den Landtagen.
Alles ein großes Missverständnis also? Wollten die bösen Medien wieder nur ein (längst nicht mehr vorhandenes) Sommerloch füllen, wie etwa Gelsenkirchens CDU-Chef Sascha Kurth auf WAZ-Anfrage frech behauptet. Keineswegs!
Von den Paschas bis zu Linnemann
Schon länger ist Friedrich Merz dabei, die Koordinaten der CDU Stück für Stück nach rechts zu verschieben. Arabischstämmige Kinder nennt er „kleine Paschas“, die Grünen erklärt er zum Hauptgegner (obwohl mit Abstand betrachtet jeder zweite Bundesbürger von CDU und Grünen in unterschiedlichen Koalitionen regiert wird); er macht mit Carsten Linnemann einen Konservativen zum neuen CDU-Generalsekretär, und der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, startet eine Debatte zur Abschaffung des grundgesetzlich garantierten individuellen Asylrechts. Schlussendlich die Aussagen im ZDF, die an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig lassen.
Wenn Merz testen wollte, was er mit seiner CDU bei dieser Richtungsveränderung weg von liberalen Positionen der Mitte machen kann und was nicht, dann ist dieser Test innerhalb weniger Stunden krachend gescheitert. Bei der AfD hört der Spaß auf, melden sich prominente Christdemokratinnen und Christdemokraten landauf, landab. Mit Extremisten könne man nicht zusammenarbeiten, in keiner Weise, nirgendwo. Recht haben sie, die Aufgeschreckten und Empörten. Spätestens, nachdem sich auch CSU-Chef Markus Söder klar gegen Merz positioniert hatte, musste dieser zurückrudern.
Ist Söder das Zünglein an der Waage?
Besonders aufmerksam verfolgt man das Schauspiel in Nordrhein-Westfalen. Je weiter Merz nach rechts stolpert, desto mehr Platz macht er seinem (un-) heimlichen Rivalen um die Kanzlerkandidatur der Union, Ministerpräsident Hendrik Wüst. Der liberale Grünen-Versteher in Düsseldorf kann ohnehin vor Kraft kaum laufen. Nicht wenige sehen in ihm inzwischen die zwingende Alternative zum CDU-Bundesvorsitzenden, wenn der alte Satz weiter gilt, dass Wahlen in Deutschland in der Mitte gewonnen werden.
Wüst dürfte auch genüsslich registrieren, dass und wie sich Söder positioniert, denn der CSU-Chef hat ein gewichtiges Wort mitzureden bei der Frage, wer Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beim nächsten Mal herausfordern soll. Einzig das Timing ist etwas ungünstig: Wüst kann kein Interesse daran haben, dass die K-Frage zu früh beantwortet wird. Das ist Kanzlerkandidaten selten gut bekommen.
Schützenhilfe kommt, wie nicht anders zu erwarten war, aus dem Umfeld Wüsts. NRW-Kommunalministerin und CDU-Präsidiumsmitglied Ina Scharrenbach erteilte Gedankenspielen über eine Kooperation ihrer Partei mit der AfD auf Stadt- oder Landkreisebene prompt eine deutliche Absage. „Jeder Extremist ist Mist“, sagte sie unserer Redaktion. Und NRW-Innenminister Herbert Reul gab beim Deutschlandfunk zu Protokoll, Zusammenarbeit komme für ihn nicht in Frage, „egal auf welcher Ebene“. Ob Parteichef Merz nicht auch weitreichendere Kooperation gemeint haben könnte, wollte Reul nicht kommentieren: „Ich weiß nicht, was er genau gesagt hat und gewollt hat, das müsste man ihn wahrscheinlich selber mal fragen.“ Unterstützung für Merz sieht anders aus.
Deutschland ist nicht Spanien
Deutschland, so dürften die Berliner CDU-Strategen im Konrad-Adenauer-Haus in den vergangenen 24 Stunden gelernt haben, ist nicht Spanien, wo sich Konservative den Rechtsradikalen annähern – oder Finnland, Schweden oder Italien, wo Rechtsaußen-Parteien mehr oder weniger mitregieren.
Noch ist es nicht soweit.
Besonders spannend dürften die Landtagswahlen im Osten Deutschlands im kommenden Jahr werden. Die CDU läuft hier in ein Dilemma hinein, wenn sie mit der Linksparteien koalieren müsste, um die AfD zu verhindern. Das könnte aus CDU-Sicht die Wahl zwischen Pest und Cholera sein. Ob die „Brandmauer“ dann noch hält? Sicher ist Wüst der Meinung, dass sich damit noch Merz herumschlagen sollte, weil das kein Gewinnerthema sein dürfte.