Berlin. Merz wird der nächste Kanzler – oder doch nicht? Ein Gedankenspiel zeigt, wie Scholz im Amt bleiben könnte. Ohne eigene Mehrheit.
In Umfragen sieht es gut aus für Friedrich Merz. Der Kanzlerkandidat der Union blickt auf etwa 30 Prozent und spricht schon wie selbstverständlich davon, was er als Wahlsieger und Nachfolger von Olaf Scholz anders machen will. Doch angesichts der komplizierten Konstellation im Parteiensystem und so manchen politischen Gräben macht im Regierungsviertel ein anderes Gedankenspiel die Runde: Scholz könnte erneut zum Kanzler gewählt werden, obwohl die Union die Wahl gewinnt.
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Wie wäre das möglich? Die Ausgangslage: In den letzten Umfragen liegt die Union stabil vor AfD (etwa 20 Prozent), SPD (etwa 15 Prozent) und den Grünen (etwa 14 Prozent). Mit ausschlaggebend für die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag ist, ob und welche weiteren Parteien im Parlament sitzen werden. Die Linke kann auf ein Comeback hoffen (etwa sechs Prozent), muss aber wie BSW und FDP (jeweils etwa vier Prozent) befürchten, es nicht in den Bundestag zu schaffen.
Koalition: Scheitert Merz, kann die große Stunde von Scholz schlagen
Ein Bündnis mit der AfD schließt Merz aus. Je weniger Parteien im Bundestag vertreten sein werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es für Union und SPD oder Union und Grüne rechnerisch zu einer Regierungsmehrheit reicht. Das dürfte vermutlich der Fall sein, wenn beispielsweise FDP und BSW nicht in den Bundestag einziehen, die Linke aber knapp schon. Wenn aber zusätzlich zur Linken nur FDP oder BSW die Fünf-Prozent-Hürde überspringt, könnte es für Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün schon nicht mehr reichen.
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Das bedeutet: Merz müsste eine Dreierkoalition schmieden, damit steigt das Konfliktpotenzial. Das gilt ohnehin schon besonders für eine Zusammenarbeit von Union und Grünen. Sollte der Kanzlerkandidat von CDU und CSU also an der Regierungsbildung scheitern, könnte zumindest theoretisch die große Stunde von Scholz schlagen – und eine in vergangenen Zeiten diskutierte Bündnisoption eine Renaissance erleben: Rot-Grün-Rot.
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Minderheitsregierung: FDP-Politiker warnt vor Scholz-Wahl durch SPD, Grüne und Linke
Davor warnte kürzlich FDP-Generalsekretär Marco Buschmann, um seiner Partei Stimmen zu verschaffen: „Für die Wahl des Bundeskanzlers genügt im dritten Wahlgang eine ‚einfache‘ Mehrheit“, schrieb Buschmann auf X. „Wäre die FDP nicht dabei, wären SPD, Grüne und Linke nach allen Umfragen zusammen stärker als die Union. Scholz konnte wiedergewählt werden und eine linke Minderheitsregierung bilden.“ In den ersten beiden Wahlgängen muss ein Kanzler im Bundestag mehr als die Hälfte der Stimmen bekommen. Im dritten Wahlgang ist gewählt, wer am meisten Stimmen erhält.
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Soweit die Theorie. Und in der Praxis? Ist das Szenario wohl wirklich nur ein Gedankenspiel. Besonders in der Außenpolitik liegen Scholz und seine SPD sowie die Grünen weit von der Linken entfernt. Für das BSW von Sahra Wagenknecht gilt das umso mehr, sollte die Partei es in den Bundestag schaffen. Auf Landesebene war die SPD zwar zuletzt in Brandenburg und Thüringen Koalitionen mit dem BSW eingegangen. Dass Scholz aber mit Wagenknecht eine gemeinsame Position zur Ukraine aushandelt, scheint extrem unwahrscheinlich.
Damit SPD, Grüne und Linke rechnerisch sogar auf eine gemeinsame Mehrheit kommen, müssten die drei Parteien gegenüber der letzten Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen am kommenden Sonntag zusammen um etwa 13 Prozentpunkte stärker abschneiden – vorausgesetzt BSW und FDP verpassen den Einzug in den Bundestag.