Berlin. Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei einer privaten Feier unbedachte Äußerungen gemacht, die ihn elf Tage vor der Bundestagswahl einholen.

Olaf Scholz (SPD) steht wegen einer Äußerung über den Berliner CDU-Politiker Joe Chialo in der Kritik. Hintergrund sind Äußerungen des Kanzlers auf einer privaten Geburtstagsfeier, die bereits von zehn Tagen stattgefunden hat. Nach Angaben des Berliner CDU-Landesverbands bezeichnete der Kanzler Chialo dabei als „Hofnarr“. Der „Focus“ sprach gar von einer rassistischen Beleidigung.

Aber was ist eigentlich ein Hofnarr? Zunächst war dieser jahrhundertelang ein fester Bestandteil eines Hofstaates. Im ersten Moment könnte man meinen, um den Herrn und sein Gesinde zu belustigen. Weit gefehlt: Der Hofnarr sollte seinen Fürsten an zwei Dinge erinnern. Erstens, dass auch sein menschliches Dasein vergänglich ist, und zweitens, dass er gewarnt sein muss: Auch er könne jederzeit der Sünde verfallen.

Scholz beleidigt Chialo: Der Hofnarr hatte früher „Narrenfreiheit“

Aus diesem „Auftrag“ zog der Hofnarr seine besondere Bedeutung: Denn nur ihm war es erlaubt, Kritik am Herrscher zu äußern. Er stand sozusagen außerhalb der gesellschaftlichen Norm, außerhalb der ständischen Ordnung und durfte aussprechen, was sonst niemand gewagt hätte. Er hatte die viel zitierte Narrenfreiheit.

Das Mittelalter unterschied zwei Arten von Narren, den künstlichen und den natürlichen. Natürliche waren psychisch Kranke und Behinderte. Die künstlichen Narren gaben vor, dumm oder tölpelhaft zu sein, und machten absichtlich Scherze. Um glaubwürdig in ihre Rolle schlüpfen zu können, mussten sie über ein gewisses Maß an Intelligenz verfügen.

Und wie verhält es sich mit dem Rassismus-Vorwurf?

Tahir Della, Pressesprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), erklärt dazu gegenüber dieser Reaktion: „Der Begriff Hofnarr wird zunächst einmal nicht mit Schwarzen Menschen assoziiert. Man muss sich aber den Kontext der Szene zwischen Chialo und Scholz ansehen, der ist spannend. Der Berliner Kultursenator ist eine Person, die immer wieder von rassistischen Angriffen betroffen ist. Und so ist es auch hier ein Reflex, der immer wieder stattfindet. Die schwarze Person, die sich aus Sicht von Scholz unangemessen oder unpassend äußert, wird ihr Urteilsvermögen abgesprochen, nach dem Motto: Das ist ein Hofnarr, den muss man nicht ernst nehmen. Und so könnte Chialo den verbalen Angriff durchaus als rassistisch empfinden.“

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Meine schwerste Entscheidung

„Hofnarr“: Scholz weist Rassismus-Vorwurf von sich

Und hier landen wir wieder beim mittelalterlichen Hofnarr, denn alles, was er sagte, konnte aufgrund seiner „Narrheit“ als nicht ernst betrachtet werden.

Eine Mitteilung des SPD-Parteivorstands zitiert Scholz zu dem Vorfall folgendermaßen: „Der dabei von mir verwandte Begriff ist im Sprachgebrauch nicht rassistisch konnotiert und war von mir auch nie so intendiert.“ Und weiter: „Der erhobene Vorwurf des Rassismus ist absurd und künstlich konstruiert.“ Chialo selbst wollte sich zu dem Vorfall nicht äußern.

Della ergänzt gegenüber dieser Redaktion: „Herr Scholz weist immer wieder darauf hin, wie wichtig er es findet, dass in der politischen Debatte auf verbale und persönliche Ausfälle zu verzichten ist und dass er nun ausgerechnet in diesem Kontext sich zu der Äußerung hinreißen ließ, ist dann sehr problematisch.“