Berlin. Peter Demirel promoviert noch, doch Miete zahlt er wie ein Topverdiener. Warum er trotzdem froh über seine Wohnung ist – und wütend.
Herd und Spüle fehlen? Und sogar der Boiler für heißes Wasser? Die Miete ist mit 18 Euro pro Quadratmeter trotzdem so hoch wie in einer luxussanierten Vergleichswohnung mit neuer Einbauküche? „Am Ende haben wir alles akzeptiert und im vergangenen Sommer unterschrieben“, sagt Peter Demirel, während er in der schmalen Altbauküche Wasser für den Tee aufsetzt. Der Doktorand an der Freien Universität in Berlin wollte schließlich mit seiner Freundin zusammenziehen. Monatelang hatte das Paar gesucht. Auf Tipps gehofft, Makler kontaktiert, Premium-Zugänge für Immobilienportale gebucht. „Doch der Markt ist völlig überhitzt“, sagt Demirel. „Und das nutzen die Vermieter gnadenlos aus.“
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Tatsächlich fehlen in Deutschland nach einer Analyse vom Bündnis Soziales Wohnen rund 550.000 Wohnungen. Die scheidende Ampel-Regierung hat es in keinem Jahr der Amtszeit geschafft, die versprochenen 400.000 Wohnungen zu bauen. Auch dieses Jahr werden es wohl nicht mehr als 250.000 neue Wohnungen sein. Viel zu wenig, um den Bedarf zu decken, so das Bündnis. Die Folge „Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum ist deutschlandweit hoch“, sagte Christian Bernreiter (CSU), Vorsitzender der Bauministerkonferenz, dieser Redaktion.
Die Auswirkungen bekam auch Demirel zu spüren. „Uns wurde unter der Hand eine Wohnung angeboten für 1400 kalt mit Baumarkt-Küche, einer dunkelbraunen Schrankwand mit Rauchglas-Vitrine samt passendem Esstisch.“ Wenn die Möbel nicht gefallen, könne er sie auch rausnehmen, habe der Vermieter gesagt. Möbliert vermietet – und darum 400 Euro teurer als die Mietpreisbremse erlaubt – werde sie aber trotzdem.
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Demirel hat Vormieter kennengelernt, die 2000 Euro Ablöse verlangten für einen Kühlschrank. Oder 8000 Euro für eine 20 Jahre alte Einbauküche. Er hat eine Wohnung im 4. Stock ohne Aufzug besichtigt, 50 Quadratmeter, nur Dachschrägen, 1000 Euro. Bei der Wohnungsnot gebe es eben immer Leute, die das zahlen, sagt Demirel und erzählt von einem Bekannten, der am Berliner Nollendorfplatz auf 30 Quadratmetern für 1400 Euro kalt wohnt.
Trotz Mietpreisbremse: Die Hälfte des Einkommens geht für das Wohnen drauf
Mit 1350 Euro warm seien sie vergleichsweise gut weggekommen, meint der 33-jährige und führt durch die kleine Küche, das Wohnzimmer, das Schlafzimmer. 58 Quadratmeter im Seitenflügel eines Westberliner Altbaus mit Stuckrosette und Holzboden, die Ringbahn ist fußläufig erreichbar, der Bus ins Zentrum auch, und im Innenhof gibt es einen Springbrunnen, der unter Denkmalschutz steht.
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Demirel verdient als Doktorand etwa 1700 Euro netto. Eigentlich hat er einen Teilzeitvertrag, müsste also nur 20 Stunden pro Woche arbeiten. „Aber es wird erwartet, dass wir Doktoranden Vollzeit verfügbar sind“, sagt er. Mit dem Argument, während der Arbeitszeit ja auch die Doktorarbeit vorantreiben zu können. Seine Freundin promoviert seit diesem Februar auch, ebenfalls mit Teilzeit-Vertrag und Vollzeit-Arbeitszeiten. Laut Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) eine leider übliche Praxis, bestätigt Andreas Keller, stellvertretender Präsident der GEW.
„Als wir die Wohnung suchten, arbeitete meine Freundin noch als Apothekerin“, sagt Demirel. So wie zufälligerweise die Vermieterin, das habe wohl den entscheidenden Ausschlag gegeben. Wäre sie damals schon Doktorandin mit dem Teilzeitvertrag gewesen, „dann hätten wir die Wohnung gar nicht bekommen.“
Nun geht es ihnen wie vielen Menschen in den Ballungsgebieten: Fast die Hälfte ihres Netto-Einkommens geht für die Miete drauf. Dass Peter Demirel und seine Freundin mit ihrem Geld über die Runden kommen, liegt auch daran, dass sie sich mit einer relativ kleinen Wohnung begnügen und auf ein Auto verzichten.
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Die Ersparnisse gehen für Herd, Spüle und Boiler drauf
Und doch ärgert es ihn, dass sie trotz der hohen Miete ihre Ersparnisse in die Wohnung stecken mussten, etwa 4000 Euro. Für den Boiler und den Handwerker, der ihn anschließt, die Spüle, den Herd, die Küchenmöbel vom schwedischen Möbelhaus. „Wir haben alles selbst aufgebaut“, sagt er und zeigt auf die vielen Schubladen. Darauf sei er stolz, schließlich habe er als Chemiker wenig Ahnung von handwerklichen Dingen.
Gerne würde er nun vom Vermieter verlangen, die Mietpreisbremse einzuhalten. „Ich habe nachgeschaut, die Lage berücksichtigt und die Ausstattung. Eigentlich müsste die Miete 300 Euro niedriger sein“. Auf der anderen Seite sei es so ein Kampf gewesen, die Wohnung zu finden. „Wir fühlen uns wohl, da steckt auch viel Arbeit drin und unser Geld.“ Seine Freundin sei ohnehin dagegen, sie wolle das eigentlich gute Verhältnis zum Vermieter nicht beeinträchtigen. Und trotzdem: „Ich habe mich beim Mieterverein angemeldet. Vorsorglich.“
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Schließlich fühle er sich ein wenig, als würde er das Geld zum Fenster rauswerfen. Dabei, sagt er, habe er schnell seine Bafög-Schulden bezahlt und immer sparsam gelebt, auch mit seinem ersten Job, den er als junger Chemiker nach einem Erasmus-Aufenthalt in Schweden bekam. Präklinische Wirkstoffe für Tierversuche hat er damals hergestellt und damit die Vorarbeit für ein Startup-Unternehmen geleistet, erzählt er.
Warum er überhaupt den umständlichen Weg über die Promotion geht und nicht gleich in einem großen Unternehmen anfängt? „Ohne Doktortitel hast du keine Chance bei den großen Konzernen“, sagt er. Aber darum gehe es nicht allein. „Ich forsche gern. Ich liebe es, neues Wissen zu sammeln und Zusammenhänge zu verstehen.“
In seiner Promotion, die kurz vor dem Abschluss steht, geht es um medizinische Forschung, um Wirkstofffindung. Um sogenannte Flaviviren, die Krankheiten wie Zika oder Dengue-Fieber auslösen. Und die Entwicklung neuer Antibiotika gegen resistente Keime.
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Ihm gehe es um den Schutz des Lebens. Das, sagt er, sei auch die wichtigste Aufgabe der Politik. „Der Klimaschutz muss an erster Stelle stehen“ – das sage er auch als Naturwissenschaftler. „Es geht schließlich um die Existenz der Menschheit.“ Ihm seien humanitäre Aspekte wichtig, deshalb müsse auch die Ukraine unterstützt werden. „Und wenn Leute fliehen vor Krieg und Verfolgung, dann müssen wir sie unterstützen und sie nicht ertrinken lassen“.
Er habe eine menschenfreundliche Gesinnung, und deswegen liege ihm auch die Wohnungspolitik am Herzen. Dabei gehe es ihm nicht nur um Studierende und Doktoranden, für die es immer schwieriger werde, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Dass der Staat in den Wohnungsmarkt etwa mit der Mietpreisbremse eingreift, findet er richtig. Ohne Regulierung gehe es nicht, sagt er. „Nur weil eine Ressource knapp ist, kannst du doch nicht mit den Leuten anstellen, was du willst.“
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