Berlin. Wie geht es weiter mit der deutschen Migrationspolitik? Vizekanzler Robert Habeck schildert seine Sicht einer historischen Woche.
Die turbulente Sitzungswoche des Bundestages zur Migrationspolitik war wieder Hauptthema beim ZDF-Talk mit Markus Lanz am Dienstag. Dass der grüne Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz einen „historischen Fehler“ und einen Wortbruch vorwirft, weil der bei der Abstimmung über seinen Fünf-Punkteplan die Stimmen der AfD „eingepreist und einkalkuliert“ habe, was faktisch eine „Zusammenarbeit“ gewesen sei, war bekannt.
Neu ist aber Habecks Schilderung darüber, wie Merz mit einem von ihm, Habeck, am vergangenen Dienstag vor den entscheidenden Sitzungen entworfenen Zehn-Punkte-Plan zur Migration umgegangen sei. Dieses Papier hätte unter Umständen zu einem Konsens führen können, aber nach Habecks Darstellung habe Merz es nicht mit ihm erörtern wollen.
Sicherheitsexperten, wie der bei Lanz als Studiogast anwesende Journalist Olaf Sundermeyer (RBB), hatten einige von Habecks Vorschlägen gelobt, beispielsweise den Check auf psychische Erkrankungen bei Asylsuchenden, die engmaschige Überwachung von Top-Gefährdern und die Erhebung von Migrationsabkommen zur Rückführung in den Rang einer „Chefsache“.
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Habeck: „Es gab den Versuch einer Kontaktaufnahme“
Zu einem Gespräch mit Merz über das grüne Papier ist es aber nicht gekommen. „Es gab den Versuch einer Kontaktaufnahme“, berichtete Habeck, und zwar „mehrfach“. „Haben Sie Merz angerufen?“, fragte Moderator Lanz. Das wolle er hier in der Sendung nicht „breit treten“, sagte Habeck. „Mir wurde signalisiert, dass kein Gespräch erforderlich oder erwünscht ist.“ Mit der Zusendung eines Videos habe er Merz schließlich informiert.
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Lanz fragte den Wirtschaftsminister mehrmals, warum Grüne und SPD nicht zumindest am Freitag – als es einen Vorschlag der CDU für ein Gesetz zur Eindämmung der irregulären Migration gab – zugestimmt hätten. Nach der Bluttat von Aschaffenburg wollten die Menschen doch „ein klares Signal“ von der Politik, meinte Lanz: „Die Leute sind müde von den theoretischen Brandmauer-Diskussionen.“ Zumindest zur Aufnahme des Begriffs „Begrenzung“ ins Gesetz, der Beendigung des Familiennachzugs für geduldete Asylbewerber und stärkeren Haftbefugnissen für die Bundespolizei hätten die Grünen nach Lanz Ansicht problemlos zustimmen können.
Habeck antwortete, dass Merz vor der Abstimmung mit einer „Erpressung“ gedroht habe, nämlich, dass das Gesetz auch mit der AfD beschlossen werden könnte. „Nein, bei aller Liebe zum Konsens, so geht es nicht. Demokratische Parteien lassen sich nicht erpressen.“
Beim Punkt Familiennachzug gebe er zu bedenken, dass das Nachholen ihrer Familien sicher einige Flüchtlinge „vom Durchdrehen“ bewahre. Auch die Zurückweisung von Migranten ohne Reisepapiere an der Grenze – was Merz will – lehnt Habeck ab, sie sei europarechtlich nicht machbar und verstoße gegen das Grundgesetz.
Habeck über Debattenkultur: „amerikanische Verhältnisse“
Allgemein hat der Vizekanzler das Gefühl, dass letzte Woche die politische Debattenkultur in Deutschland beschädigt worden sei, wonach man über Streit zum Konsens finde. „Wir hatten da amerikanische Verhältnisse.“ Die Politik sei gespalten in zwei Lager, eins, das mit der AfD stimme und eins, dass dies nicht tue. In der Migrationspolitik sieht der Grüne die Gefahr, dass die ganze Debatte darüber zu Schaden führe. Er höre aus Migranten in den Unternehmen, dass sie schon ans Auswandern dächten und das Gefühl hätten, „hier kann was gegen sie kippen“.
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Dass eine 12-jährige Afghanin bei einer Gedenkfeier in Aschaffenburg sich quasi dafür rechtfertigte, dass sie Afghanin sei, das spreche doch Bände. Er selbst sehe im Fall von Aschaffenburg vor allem ein Vollzugsdefizit, der Täter sei schon auffällig und als solcher identifiziert gewesen, Merz hingegen rede meist über die Begrenzung der Migration, meinte Habeck. „Ich finde es befremdlich, dass er keine Vorschläge zur Sicherheit macht.“
Nach der Rückführung – im Flixbus zurück nach Deutschland
Der Journalist Sudermeyer berichtete, wie schwierig Rückführungen von Ausreisepflichtigen seien – es soll sich um 40.000 handeln. Viele Herkunftsländer verweigerten die Rücknahme. Iran, Somalia und Kamerun stellten keine Reisepapiere aus, auch nach Russland seien Rückführungen derzeit kaum möglich. Mit viel Geld und hohem Aufwand sei jetzt die Rückführung eines intensiven Straftäters über Georgien nach Russland gelungen – ein Einzelfall. „Die Geduldeten leben hier zulasten des Sozialsystems. Die Bürger haben kein Verständnis dafür, dass hier keine Lösung gefunden wird.“
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Oft werde eine Abschiebung sabotiert, indem Abzuschiebende vor der Abholung gewarnt werden. Auch die Rücknahmen in EU-Ländern nach dem Dublin-Abkommen funktioniere nicht. Wer heute nach Bulgarien zurückgeführt werde, setze sich morgen in den Flix-Bus und sei bald wieder in Deutschland.
Die FAZ-Journalistin Julia Löhr bemerkte, dass in der Migrationspolitik derzeit alle Parteien „auf den Bäumen“ säßen und ein Konsens schwierig sei. Der Vorstoß von Merz sei taktisch vielleicht unklug gewesen, „aber er hatte das Gefühl, er müsse etwas machen.“
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