Tiraspol. Die Region im Osten von Moldau steht fest zu Russland. Doch seit Wochen herrscht Kälte und Dunkelheit. Nun hilft ausgerechnet die EU.

Stanislav „Stas“ Korzun empfängt in diesen Tagen nur wenige Besucher in seinem Flaschenmuseum, das die transnistrische Regierung als eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten in der Region anpreist. Nebel hängt über den kleinen Häusern von Tirnauca. Drinnen ist es kalt, gerade einmal sechs Grad. Ob das Gas wieder fließen wird? Korzun zuckt mit den Schultern. Niemand weiß, wann die Krise enden wird. Seit Anfang Januar friert Transnistrien. Der Krieg in der Ukraine wirkt sich jetzt auch auf eine Region aus, die treu zu Moskau steht. Noch.

Transnistrien ist ein schmaler Landstrich im Osten der Republik Moldau an der Grenze zur Ukraine, getrennt vom Rest des Landes durch den Fluss Dniester. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erklärten prorussische Separatisten 1990 die Unabhängigkeit, die allerdings nicht einmal Moskau anerkannt hat. Seit einem blutigen Waffengang im Jahr 1992 ist der Konflikt eingefroren. Auf offiziellen Gebäuden weht neben der transnistrischen die russische Fahne, es sind russische Soldaten in der Region stationiert, bezahlt wird mit transnistrischen Rubeln.

Ukraine-Krieg: Noch steht Transnistrien treu zu Russland

In Tiraspol, der Hauptstadt der abtrünnigen Republik, rattern vor vielen Geschäften und Restaurants in diesen Tagen neue Generatoren. In dieser Stadt scheint die Zeit seit den neunziger Jahren stillgestanden zu sein. Hammer und Sichel an der Gedenkstätte für die Toten der sowjetischen Kriege und des Bürgerkriegs, an Wänden Plaketten, die an Helden der Sowjetunion erinnern, eine Leninstatue vor dem Regierungssitz. „Zurück in die UdSSR“, heißt ein Café, in dem Büsten von Stalin und Lenin stehen. Man kokettiert mit der Vergangenheit.

In der Sowjetunion, sagt eine Verkäuferin, die auf dem Markt eingelegtes Obst und Gemüse verkauft, sei alles besser gewesen. Über die aktuelle Politik reden die Menschen nicht gerne. Nicht die alten Frauen, die in der Markthalle Eier verkaufen und zur Beleuchtung Powerbanks nutzen. Nicht die Verkäuferinnen im „Haus des Buches“, in dem es Sowjet-Literatur zu kaufen gibt. Es herrscht ein restriktives Klima in Transnistrien. Die Krise macht ihnen aber allen zu schaffen.

Russland: Anfang des Jahres stoppte Gazprom die Gaslieferung

Fast drei Jahre nach der russischen Invasion im Nachbarland hat die abtrünnige Region ein großes Problem. Anfang des Jahres stoppte der russische Energiekonzern Gazprom die Lieferung von Gas in die Republik Moldau und damit auch in die mit Moskau verbündete abtrünnige Region. Offiziell begründet wird das mit offenen Gasrechnungen in Höhe von umgerechnet 709 Millionen Dollar. Die proeuropäische Regierung in der moldawischen Hauptstadt Chisinau bezeichnet das als Desinformation. Die Außenstände betrügen lediglich 8,6 Millionen Dollar.

Transnistrien
In Transnistrien lebt der Kult um Lenin, Stalin und Marx. © Jan Jessen | Jan Jessen

Kurz darauf unterbindet die Ukraine den Durchfluss von russischem Gas über ihr Territorium, eine länger angekündigte Maßnahme. Kiew will Einnahmequellen Moskaus austrocknen. Betroffen sind neben der Republik Moldau auch andere mitteleuropäische Staaten. Besonders hart trifft der Stopp der Lieferungen aber ausgerechnet Transistrien.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Die Separatisten-Regierung in Tiraspol musste bislang so gut wie nichts für das russische Gas zahlen und verdiente üppig an dem Strom, der mit Hilfe des Gases im Kraftwerk Cuciurgan produziert und nach Moldau verkauft wurde. Jetzt ist damit vorerst Schluss.

Die Republik Moldau hat in den vergangenen Jahren versucht, ihre Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren und Gasvorräte angelegt. Strom kommt alternativ über Rumänien. Die Menschen auf der westlichen Seite des Dniester sitzen noch im Warmen und haben Licht. Die auf der anderen Seite des Flusses nicht.

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Alles liegt im Dunkeln, nur ein Fenster ist beleuchtet: Seit Anfang des Jahres haben etwa ein Dutzend Dörfer in Transnistrien mit Gas- oder Stromproblemen zu kämpfen. © AFP via Getty Images | DANIEL MIHAILESCU

In diesen Tagen ist es für diese Jahreszeit ungewöhnlich mild in Transnistrien, die Temperaturen liegen noch einstellig über dem Gefrierpunkt. Es ist ein Glück für die etwa 350.000 Menschen, die noch in der Region leben. Viele, erzählt Stanislav Korzun, der junge Mann, der im Dorf Tirnauca die Flaschensammlung seines Vaters ausstellt, hätten „europäisch saniert“. Sie haben die alten Holzöfen gegen Gasheizungen ausgetauscht, weil das Gas lange Zeit so günstig war.

Ohne das russische Gas kann das Kraftwerk Cuciurgan nur noch mit Kohle Strom produzieren. Das reicht nicht für den Bedarf. Das Stahlwerk in Ribnita, einer der größten Arbeitgeber und wichtigsten Devisenbringer Transnistriens, hat die Produktion eingestellt. In den Dörfern und Städten wird der Strom jeden Tag in Intervallen für fünf Stunden abgestellt. Jetzt setzen viele Menschen auf elektrische Heizgeräte. Das belastet das Netz zusätzlich.

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Im Krisenmodus

In den nächsten Tagen sollen die Temperaturen drastisch sinken. Um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, liefert die moldawische Regierung mit Hilfe der EU jetzt drei Millionen Kubikmeter Gas in die abtrünnige Region. Mit dem Gas kann der Druck in den Leitungen aufrechterhalten werden. „Das Not-Erdgas ist nur für Haushalte, Schulen, Kindertagesstätten und kleine Unternehmen“, sagt ein Regierungssprecher. Großunternehmen wie das Stahlwerk werden weiter dicht bleiben. Die Maßnahme wird bis zum 10. Februar reichen.

Die Russen könnten helfen - machen es aber nicht

„Wir kaufen etwas Zeit“, sagt ein Regierungsmitglied im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Russen, kritisiert er, hätten statt der ukrainischen Pipeline-Route eine alternative über den Balkan nutzen können, um Gas zu liefern. Für die moldawische Regierung ist der russische Gasliefer-Stopp daher ein Versuch, das kleine Land zu destabilisieren und es von seinem proeuropäischen Kurs abzubringen. Andererseits könnte Russland an Popularität in Transnistrien verlieren, hofft der Mann. „Die Menschen sehen, dass wir sie unterstützen. Das wird einen positiven Einfluss haben.“

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