Berlin. Nach der Messerattacke von Aschaffenburg beginnt die politische Debatte. Wir erklären die Begriffe „Dublin“ und „ausreisepflichtig“.

Am Mittwoch soll ein 28-jähriger Afghane in einem Park in der unterfränkischen Stadt Aschaffenburg mit einem Messer zwei Menschen getötet haben, darunter einen zwei Jahre alten Jungen. Drei weitere Menschen wurden verletzt.

Unmittelbar nach der Tat begann eine politische Debatte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einer „unfassbaren Terror-Tat“, FDP-Chef Christian Lindner von „Staatsversagen“. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz forderte gar ein „Einreiseverbot“ für „illegale Einwanderer“. Dabei sind wesentliche Informationen über den Tatverdächtigen und die Hintergründe des Verbrechens noch gar nicht bekannt.

In der nun aufkommenden Debatte geht es zum zwei zentrale Begriffe der Asylgesetzgebung beziehungsweise des Aufenthaltsrechts: Der mutmaßliche Täter war ausreisepflichtig – und das Dublin-Verfahren, das für seine Ausreise hätte sorgen sollen, scheiterte. Was steckt hinter den beiden Worten?

Was bedeutet Dublin-Verfahren?

Nach bisherigen Erkenntnissen ist der Tatverdächtige im November 2022 über die Balkanroute nach Deutschland eingereist. Zum ersten Mal registriert wurde der Mann jedoch im EU-Mitgliedsstaat Bulgarien. Gemäß dem sogenannten Dublin-System, auch bekannt als Dublin-III, wären die bulgarischen Behörden auch für den Fall zuständig gewesen. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) legt fest, dass in der Regel derjenige Vertragsstaat für die Bearbeitung des Asylantrags verantwortlich ist, in den der Asylbewerber zuerst eingereist ist.

Das Verfahren soll sicherstellen, dass jeder Asylantrag innerhalb der Europäischen Union nur einmal geprüft wird. Die „Dublin-III-Verordnung“ (EU-Verordnung Nr. 640/2013) kommt in allen EU-Staaten sowie in der Schweiz, in Norwegen, Liechtenstein und Island zur Anwendung.

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Der afghanische Tatverdächtige reiste nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) allerdings nach Deutschland weiter und stellte Anfang 2023 dort einen Asylantrag. Zuständig wären jedoch die bulgarischen Behörden gewesen.

Wie Bayern Innenminister Joachim Herrmann (CSU) erklärte, sei daraufhin ein sogenanntes Dublin-Verfahren mit dem Ziel der Rücküberstellung eingeleitet worden. Die bulgarischen Behörden sollen der Rückführung auch zugestimmt haben. Die Abschiebung sei aber gescheitert, weil den zuständigen bayerischen Behörden verspätet mitgeteilt worden sei, dass der Mann abzuschieben war, sagte Herrmann am Donnerstag in München.

Damit sei die Frist, innerhalb derer die Abschiebung hätte vollzogen werden müssen, so weit fortgeschritten gewesen, dass eine Abschiebung nicht mehr möglich gewesen sei. Nach Ablauf der Frist wurde Deutschland für den Mann zuständig.

Weitere Entwicklungen nach dem tödlichen Angriff in Aschaffenburg
Ministerpräsident Markus Söder (r, CSU) spricht neben Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bei einer Pressekonferenz zu einem tödlichen Angriff in einem Park in Aschaffenburg. © DPA Images | Lukas Barth

Was bedeutet „ausreisepflichtig“?

Der Begriff „ausreisepflichtig“ kommt aus dem Aufenthaltsrecht. Als ausreisepflichtig gelten demnach Menschen, die über keinen Aufenthaltstitel verfügen. Das ist zum Beispiel auch dann der Fall, wenn ein Visum abgelaufen ist. Ausreisepflichtig ist auch eine Person, deren Asylantrag vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) abgelehnt wurde.

Im Fall des Tatverdächtigen von Aschaffenburg wurde das Asylverfahren beendet, nachdem der Mann angekündigt hatte, freiwillig ausreisen zu wollen. Dazu habe er sich beim afghanischen Generalkonsulat die nötigen Papiere besorgen wollen, heißt es. Das Bamf habe ihn darauf zur Ausreise aufgefordert. Der Mann konnte aber offenbar nicht ausreisen, weil er die Papiere noch nicht bekommen hatte, teilte Innenminister Herrmann mit.

Polizisten im Park Schöntal in Aschaffenburg
Polizisten im Park Schöntal in Aschaffenburg © AFP | PASCAL HOEFIG

Eine Ausreisepflicht bedeutet noch nicht, dass die Person sofort das Land verlassen muss. Auch bei der sogenannten „vollziehbaren Ausreisepflicht“ ist dies nicht der Fall. Sie besagt, dass keine Hindernisse für eine Abschiebung bestehen. Selbst dann steht den Betroffenen aber noch der Rechtsweg offen. Sie können gegen die Ausreisepflicht klagen und etwa einen Asylfolgeantrag oder einen Härtefallantrag stellen.

Zudem gibt es die Möglichkeit der Duldung, also einer „vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung“. Die Zahl der Duldungen ist enorm. Laut des Plenarprotokolls des Deutschen Bundestags vom 27. September 2023 hatten von 261.925 vollziehbar ausreisepflichtigen Menschen 210.528 eine Duldung.

Bei dem Tatverdächtigen aus Afghanistan könnte eine Rückführung auch gescheitert sein, weil er sich in psychiatrischer Behandlung befand. Im Dezember 2024 habe das Amtsgericht Aschaffenburg eine gerichtlich bestellte Betreuung angeordnet. Duldungen können auch aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung erteilt werden. Eine Ärztin oder ein Arzt muss diese bescheinigen. Duldungen sind befristet.

Die Dauer wird von der zuständigen Ausländerbehörde je nach Fall und Belastung der Behörde festgelegt. Nach Ablauf der Duldung kann eine weitere beantragt werden. In diesem Fall spricht man auch von “Kettenduldungen“.