Seoul. Die 4B-Bewegung in Südkorea rät von Intimität mit Männern ab. Mit dem Wahlsieg von Trump ist die Strömung nun weltweit bekannt geworden.
Wenn Baek Gaeul erklären soll, welche vier Prinzipien ihr Denken und Handeln formen, hebt sie die Hand zur Faust. Mit ernster Miene streckt sie einen Finger nach dem anderen aus: „Kein Sex mit Männern. Keine öffentlichen oder heimlichen Beziehungen mit Männern. Keine Kinder zur Welt bringen. Keine Heirat.“ Wer sich so verhalte, sagt die 33-jährige, mache es richtig. Dann werde ihr Heimatland Südkorea ein besseres.
Wüsste man es nicht besser, könnte man Baek Gaeul für eine erzkonservative Nonne halten, die Sex für etwas Böses hält und allen Reizen durch Radikalentzug trotzen will. Aber schon ihr Äußeres sieht wenig heilig aus. Baek Gaeul hat ihr Haar kurzgestutzt, verzichtet auf Makeup und trägt einen weiten Blaumannanzug. Ihre vier Prinzipien begründet sie auch nicht gerade fromm: „Wir wollen das Patriarchat erledigen.“
Baek Gaeul gehört der sogenannten 4B-Bewegung an, die seit dem Sieg des Rechtspopulisten Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl Anfang November auch weltweit zu einem Namen geworden ist. Auf sozialen Medien wurden 4B-Posts millionenfach angesehen, Zeitungen haben drüber berichtet. 4B steht für die vier Gebote, wobei das Präfix „bi“ auf Koreanisch „kein“ bedeutet: bisekseu (kein Sex), biyeonae (keine Beziehungen), bichulsan (keine Geburt), bihon (keine Heirat).
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Wenn es vorerst keinen Sex und keine Liebe mehr gibt – ändert die Gesellschaft ihr Verhalten?
Lässt sich auf diese Weise Sexismus bekämpfen? In den USA, wo der künftige Präsident Trump nicht nur mit frauenverachtenden Äußerungen auffällt („grab ‘em by the pussy“) und für eine Sexualstraftat verurteilt worden ist, sondern auch von zahlreichen Abtreibungsgegnern unterstützt wird, gilt 4B seit kurzem als Hoffnung. Denn wenn es vorerst keinen Sex und keine Liebe mehr gibt – vielleicht lernt die Gesellschaft dazu und passt ihr Verhalten an?
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An einem späten Abend ist Baek Gaeul eilig von ihrem Redaktionsbüro in ein kleines Café am östlichen Zentrum von Seoul gekommen. Es spielt schneller Jazz, die Gäste sind ausschließlich junge Frauen. An der Wand über der Theke, an der die feministische Betreiberin Kuchen in die Vitrine stellt, prangt ein Schild mit Leuchtschrift: „More dignity. Less bullshit“ – mehr Würde, weniger Unsinn. Baek Gaeul, die man hier kennt, greift direkt in eine Bücherwand und kramt einen Stapel rote Hefte hervor.
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„Das hier ist das Magazin, das ich verlege“, sagt sie sichtlich stolz. Radish heißt es, Auflage um die 1000 Stück, gilt als die Speerspitze des radikalen Feminismus in Südkorea, den 4B dominiert. Radish kostet 16.000 Won (rund elf Euro), erscheint zweimal im Jahr, und enthält Essays, Reportagen, Grafiken und Cartoons. „Ich will damit unsere Bewegung abbilden. Wir haben ganz viele Autorinnen, mittlerweile auch einige aus dem Ausland.“ Betonung auf: Autorinnen.
„Genderkrieg“: In kaum einem Land sind Geschlechterbeziehungen so angespannt wie in Südkorea
Ob auch feministisch eingestellte Männer für sie schreiben dürften? Baek Gaeul blickt nur einen kurzen Moment durch das warme Licht dieses Safespace, den das Café bietet. „Nein. Wenn Männer meinen, sie wollen sich äußern, können sie gern ihr eigenes Magazin gründen.“ Außerdem bezweifle die Chefredakteurin, dass sonderlich viele Männer das wollten. „Wir werden doch ständig von ihnen attackiert. Und gerade ich habe ja auch die Männer schon zurück attackiert.“
Baek Gaeul grinst. Diesmal spreizt sie Daumen und Zeigefinger aus, parallel und nah nebeneinander. „In sozialen Medien haben Männer Feministinnen oft gedroht, mit ihren Penissen könnten sie töten.“ Dann lacht Baek auf. „Koreanische Männer haben statistisch die kürzesten Penisse der Welt! 6,9 Zentimeter. Lächerlich!“ Als Baek und andere Feministinnen vor einigen Jahren das Bild einer einen kurzen Penis andeutenden Hand online verbreiteten, habe es mit solchen Drohungen aufgehört. Punktsieg für 4B?
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In kaum einem Land sind die Geschlechterbeziehungen so angespannt wie in Südkorea. Medien schreiben seit Jahren von einem „Genderkrieg.“ Feministische Frauen kritisieren zum Beispiel Diskriminierung: Häufiger als Männer haben Frauen prekäre Teilzeitjobs, obwohl sie kaum schlechter ausgebildet sind. Im Gender Gap Ranking des World Economic Forum, das Länder in den Bereichen Arbeitsmarkt, Bildung, Gesundheit und Politik auf Gleichstellung vergleicht sind, belegt Südkorea von 146 Ländern Platz 94.
0,72 – Südkorea hat die niedrigste Fertilitätsrate weltweit
Maskulinistisch eingestellte Männer halten dagegen, Ungleichbehandlung bestehe ja auch anderswo: Männer müssen zum Militärdienst, im Fall eines Kriegsausbruchs mit dem verfeindeten Nordkorea gar an die Waffe. Und die auf Südkoreas prekärem Arbeitsmarkt raren festen Jobs müssten Männer haben, weil es bei einer Elternschaft eben weiterhin von Männern erwartet werde, für Kind und Frau zu sorgen. Viele Frauen entgegnen dann: Sie wollen ihr eigenes Geld verdienen, finanziell unabhängig sein.
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Und diese ökonomische Ungleichheit äußert sich längst in intimen Sphären. Indem sich Frauen oft zwischen Karriere und Beziehung entscheiden müssen, sind unter den 30- bis 34-jährigen im Land heute vier von fünf unverheiratet. Südkoreas Fertilitätsrate, also die durchschnittliche Zahl Kinder, die Frauen in ihrem Leben zur Welt bringen, ist mit 0,72 derzeit die niedrigste weltweit. Baek Gaeul sagt: „Viele Frauen hätten gerne Kinder. Aber die Gesellschaft ist viel zu misogyn dafür.“ Dann lebe man lieber ohne, komplett.
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Ihren Anfang hat 4B um das Jahr 2016, als im Seouler Stadtviertel Gangnam eine junge Frau von einem Unbekannten ermordet worden war. Der Täter erklärte, Frauen hätten ihn „ignoriert.“ Ein Aufschrei ging durchs Land. Und nicht nur weitere Femizide führten zu der Anspannung, die im Land heute oft „Genderkrieg“ genannt wird. Auch Straftaten kamen hinzu: Von in Hotels installierten Kameras, mit denen Aufnahmen von Frauen online verkauft wurden, zu zahlreichen Fällen von Deepfakepornos. Die Opfer: Frauen.
Kritik: 4B-Bewegung beschränkt sich auf cisgeschlechtliche Frauen
In Onlineforen tauschten Frauen ihre Erfahrungen aus. Baek Gaeul, damals noch Studentin, machte mit. Die Notiz einer Userin, die sie am meisten beeindruckte, könne sie bis heute nicht vergessen. „Jemand glich die Vorurteile gegen Frauen mit der Realität ab. Sie postete: Männer argumentieren nicht emotional. Sie töten einfach.“ Baek Gaeul schluckt. Auch sie fühle sich oft nicht sicher, wenn sie ihre Meinung sage. Für Fotos posiere sie nur mit Gesichtsmaske. „Ich will keinen Deepfakeporno von mir im Internet.“
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Die Mitstreiterinnen von 4B, deren Gebote sich online dezentral durch den Austausch ergeben haben, erfahren aber nicht nur Kritik von Maskulinisten, die sie Männerhasserinnen nennen. Auch im Feminismus ist die Radikalströmung nicht unumstritten. Kim Sono, eine queere Dichterin, findet: „Es ist bedauerlich, dass sich dieses Lager auf cisgeschlechtliche Frauen beschränkt.“
Tatsächlich sagt Baek Gaeul zur Frage, ob man beim Kampf gegen Diskriminierung nicht auch mit Transpersonen zusammenarbeiten müsste: „Transpersonen verfestigen doch Geschlechterklischees. Wenn ich als Mann einen Rock tragen will, muss ich deshalb keine Frau sein. Der Rock gehört nicht zur Identität der Frau.“ Kim Sono, die sich als nicht-binär versteht, fühlt sich dadurch ausgegrenzt. „4B sind die sichtbarste Bewegung, weil sie auf sozialen Medien sehr aktiv ist. Aber es gibt mehr Schattierungen.“
Koreanische Dichterin: „Politisch korrekt zu sein, muss man sich leisten können“
Auch Ha Mina, eine koreanische Dichterin, die in Berlin lebt, wünscht sich mehr Inklusion. „In Deutschland kenne ich den Feminismus als Bewegung, die immer alle Minderheiten und diejenigen, die das Patriarchat kritisieren, einschließt.“ Die 32-jährige hat aber Verständnis dafür, dass 4B-Vertreterin das meist nicht tun: „Das sind häufig Frauen, die nicht aus wohlhabendem Hause kommen und ökonomisch starke Benachteiligung erleben. Politisch korrekt zu sein, muss man sich leisten können.“
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Auf Baek Gaeul, das Sprachrohr der Radikalströmung, trifft das zu. Sie sei in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, sagt sie, komme aber aus einem Elternhaus, wo immer über Politik gesprochen wurde. „Es ging um die Demokratiebewegung der 1980er Jahre und den Übergang in eine Demokratie in den 1990er Jahren.“ Aber die Rolle der Frauen? Die sei im Elternhaus oft vergessen worden. Im 4B-Camp versammeln sich diejenigen, die nicht an Versöhnung denken, sondern die Durchsetzung ihrer Interessen.
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Ha Mina betont dennoch: „Wir Feministinnen unterstützen uns alle. Auch wenn wir unterschiedlich leben.“ Die Buchautorin spielt auf die vier Gebote zum Kontakt mit der Männerwelt an. „Ich fände das sehr hart.“ Im Café, wo an der Wand mehr Würde statt Bullshit gefordert wird, schüttelt Baek Gaeul den Kopf. Sex ist nicht das Wichtigste, wenn die eigene Sicherheit in Gefahr ist.“
Präsident Yoon Suk-yeol: Diskriminierung gegen Frauen gebe es gar nicht
Also übt sie sich in Verzicht? „Ich denke, ich bin bisexuell“, sagt Baek Gaeul. Mit einem Mann habe sie aber schon seit Jahren nichts mehr gehabt. Die politischen Verhältnisse hätten ihr Interesse an Männern praktisch auf null gedrosselt. Zumal Südkorea seit 2022 von Yoon Suk-yeol regiert wird. Der Rechtspopulist wird auch „Südkoreas Trump“ genannt, hat schon den Feminismus für die niedrigen Geburtenrate im Land verantwortlich gemacht und befunden, es gebe gar keine Diskriminierung gegen Frauen.
Zudem kündigte Yoon an, das Ministerium für Geschlechtergleichstellung abzuschaffen, was ihm bisher wegen der Opposition im Parlament aber nicht gelungen ist. Gewählt wurde er vor allem von Männern – von denen viele glauben, Feministinnen hassen Männer. Baek Gaeul würde über die Wähler von Präsident Yoon dann hinzufügen: Personen mit kleinen Penissen.