Berlin. Am Mittwoch stellt Olaf Scholz die Vertrauensfrage. Ein Kanzler hat dafür zwei Optionen. Im Bundestag abgestimmt wird aber erst später.
Es ist die wichtigste Frage, die ein Bundeskanzler dem Parlament stellen kann: die nach dem Vertrauen. Nach dem Bruch der Ampel-Koalition soll es vorgezogene Neuwahlen geben. Damit es dazu kommt, stellt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag die Vertrauensfrage – um es nicht ausgesprochen zu bekommen. So laufen die kommenden Tage ab:
Wann stellt Scholz die Vertrauensfrage?
Der Bundeskanzler stellt die Vertrauensfrage am Mittwoch – und zwar schriftlich an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD). Das kann kurz und knapp geschehen. Als SPD-Kanzler Gerhard Schröder 2005 vorgezogene Neuwahlen erreichen wollte, reichte er am 27. Juni einen Antrag ein, der aus zwei Sätzen bestand: „Gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes stelle ich den Antrag, mir das Vertrauen auszusprechen. Ich beabsichtige, vor der Abstimmung am Freitag, dem 1. Juli 2005, hierzu eine Erklärung abzugeben.“
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Was steht in Artikel 68 des Grundgesetzes?
Darin ist das Verfahren der Vertrauensfrage geregelt: „Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag auflösen“, heißt es in dem Artikel. Klargestellt wird außerdem: „Zwischen dem Antrage und der Abstimmung müssen achtundvierzig Stunden liegen.“
Wann findet die Abstimmung statt?
Um die im Grundgesetz vorgeschriebene Frist einzuhalten, stimmen die Bundestagsabgeordneten nicht bereits am Mittwoch ab, nachdem Scholz den Antrag gestellt hat. Das Votum ist für Montag, den 16. Dezember geplant. Die Sitzung des Bundestags beginnt voraussichtlich um 13 Uhr.
Warum stellt ein Bundeskanzler die Vertrauensfrage?
- Option 1: Ein Kanzler kann die Frage stellen, um sich des Rückhalts der Mehrheit der Abgeordneten zu versichern – und um seine Regierung so zu stabilisieren. Der Kanzler hat damit ein Druckmittel in der Hand, da andernfalls der Koalitionsbruch droht. Kanzler Schröder griff im November 2001 dazu, als die Koalition aus SPD und Grünen über Deutschlands Unterstützung für den internationalen Kampf gegen den Terror der USA stritt. Schröder verband seinen Antrag mit der konkreten Sachfrage, ob sich die Bundeswehr an der US-geführten Operation „Enduring Freedom“ in Afghanistan beteiligen soll. Schröder gewann, wie von ihm angestrebt, und regierte weiter.
- Option 2: Vier Jahre später stellte Schröder abermals die Vertrauensfrage, diesmal um zu verlieren. Der Sozialdemokrat stand wegen seiner umstrittenen Hartz-IV-Reform auch in der eigenen Partei unter Druck und sah in vorgezogenen Neuwahlen einen Ausweg. Um eine Bundestagswahl auszulösen, stellte Schröder wie schon seine Vorgänger Willy Brandt (SPD) und Helmut Kohl (CDU) in den Jahren 1972 beziehungsweise 1982 die Vertrauensfrage. Schröder verlor, wie geplant, und es wurde neu gewählt. Brandt und Kohl gewannen die folgenden Wahlen, Schröder nicht. Diese Option 2 wählt auch Scholz. Der Kanzler wird seine Vertrauensfrage nach Angaben aus der SPD-Fraktion nicht mit einer konkreten Sachabstimmung verknüpfen.
Wie kommt Scholz ans Ziel?
Der Bundeskanzler muss in der Abstimmung die absolute Mehrheit erhalten, um das Vertrauen ausgesprochen zu bekommen. Das wären aktuell 367 Stimmen. Die erreicht die Restkoalition nicht mehr, seit die FDP die Regierung verlassen hat. SPD und Grüne kommen gemeinsam auf 334 Abgeordnete: Mit dieser Stimmenzahl verliert Scholz die Abstimmung also, wie von ihm geplant.
Zuletzt gab es allerdings die Überlegung, dass die AfD zumindest mit manchen ihrer 76 Stimmen für den Kanzler votieren könnte, um Chaos zu stiften. Scholz bliebe dann Kanzler. Diese Sorge wird in der SPD-Fraktion allerdings nicht geteilt. Zwar wollen die sozialdemokratischen Abgeordneten für ihren Kanzler stimmen, die Grünen könnten sich aber enthalten oder nur zum Teil für Scholz stimmen. Außerdem wird nicht damit gerechnet, dass die schon lange nach Neuwahlen rufende AfD nun ausgerechnet den Kanzler stützt.
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Wie wird abgestimmt?
Viele Abstimmungen im Bundestag erfolgen durch Handheben. Bei wichtigen Themen wie der Vertrauensfrage finden namentliche Abstimmungen statt. Dabei werfen die Abgeordneten eine Stimmkarte mit ihrem Namen in eine Urne: Blau für Ja, Rot für Nein, Weiß für Enthaltung. Die Karten werden anschließend ausgezählt und das Stimmverhalten aller Parlamentarier veröffentlicht.
Was passiert danach?
Verliert Scholz die Abstimmung, wird der Kanzler Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorschlagen, den Bundestag aufzulösen. Danach ist der Bundestag weiterhin handlungsfähig, aber innerhalb von 60 Tagen muss neu gewählt werden. Als Termin für die vorgezogenen Bundestagwahlen ist der 23. Februar vorgesehen. Der Bundeskanzler und seine Minister bleiben im Amt, bis die Nachfolger nach erfolgreicher Wahl im Bundestag vereidigt und durch den Bundespräsidenten ernannt worden sind. Olaf Scholz bleibt also zumindest noch einige Monate Kanzler – und sollte die SPD die Wahl entgegen den aktuellen Umfragen gewinnen, möglicherweise auch noch deutlich länger.
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