Düsseldorf. Massiver Jobabbau in Duisburg und Köln: Arbeitsminister Laumann befürchtet das Schlimmste für den ganzen Industriestandort NRW.
Thyssenkrupp und Ford streichen tausende Arbeitsplätze. Der „Doppelschlag“ von zwei das Land NRW prägenden Konzernen löste am Dienstag im Landtag ein Beben aus. Im Parlament und in den Ministerien reift die bittere Erkenntnis, dass womöglich noch viel mehr auf dem Spiel steht.
Wenn große Konzerne einen Job-Abbau ankündigen, ist erstens die politische Solidaritätsbekundung und zweitens die Schuldzuweisung nicht weit. Man erinnert an die „Verantwortung“ des Managements für die Beschäftigten, dringt auf Sozialverträglichkeit, stellt sich demonstrativ an die Seite der Betroffenen, und die SPD forderte am Dienstag erneut den „Staatseinstieg“ bei Thyssenkrupp.
Nicht nur bei Miele, Thyssenkrupp und Ford droht die Katastrophe
Eine Sondersitzung des Wirtschafts- und des Sozialausschusses zum Arbeitsplatzabbau bei Ford geriet am Dienstagmorgen über diese Rituale hinaus zu einer erschütternden wirtschaftlichen Bestandsaufnahme. Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) weitete den Blick über Duisburg und Köln hinaus:
„Wir haben in NRW und in ganz Deutschland einen erheblichen Abbau von industriellen Arbeitsplätzen. Es sind nicht nur die, die in der Zeitung stehen wie Miele, Ford und Thyssenkrupp. Wir haben darüber hinaus einen erheblichen Arbeitsplatzabbau in den Regionen, in den familiengeführten Unternehmen“, warnte er. Der Industrie in NRW drohe in den kommenden zwei Jahren eine „Personalabbau-Welle“.
Drei große Probleme: Teure Energie, zu viel Bürokratie, unsichere Stromversorgung
Die Investitionsschwäche in der Industrie schlage nun mit etwa dreijähriger Verzögerung auf die Arbeitsplätze durch. Jobs würden ins Ausland verlagert, die Automobilindustrie komme mit dem Wechsel zur E-Mobilität noch nicht zurecht, die Chemieindustrie sei zum Teil nur zu 30 Prozent ausgelastet.
Die Möglichkeiten des Landes NRW, hier korrigierend einzugreifen, seien begrenzt, betonte Laumann. In diesem Herbst habe er bei all seinen Unternehmensbesuchen Klagen über hohe Energiepreise, die ausufernde Bürokratie sowie Ängste vor einer unsicheren Energieversorgung gehört. Diese Entscheidungen würden allerdings nicht in NRW getroffen, sondern in Berlin und Brüssel.
Grüne Wirtschaftsministerin setzt weiter auf den klimaneutralen Umbau der Stahlindustrie
„Bitter und bedrückend“ nannte NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) die Nachrichten über den bevorstehenden Arbeitsplatzabbau bei Ford und Thyssenkrupp. Den eingeschlagenen Weg hin zum klimaneutralen Umbau der Stahlproduktion hält sie nach wie vor für richtig. Langfristig könne NRW nur so das „Herz der deutschen Stahlindustrie“ bleiben. „Die Transformation ist nicht nur eine ökologische Verpflichtung, sondern auch der Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit“, meint Neubaur.
Jobverluste bei Ford und Thyssenkrupp
Bei Ford ist in Deutschland bis 2027 mit einem Abbau von 2900 Arbeitsplätzen zu rechnen, fast ausschließlich in Köln. Dort beschäftigt das Unternehmen rund 12.000 Menschen. In Großbritannien sollen 800 Stellen wegfallen, in anderen EU-Ländern 300. Das Ziel: Kostensenkung und mehr Wettbewerbsfähigkeit.
Deutschlands größte Stahlfirma Thyssenkrupp Steel Europe will mehrere tausend Stellen abbauen. Die Zahl der Arbeitsplätze soll in sechs Jahren von rund 27.000 auf 16.000 schrumpfen, wie das Unternehmen mitteilte.
RWI-Konjunkturbericht: Kein Licht am Emde des Tunnels
Laut dem neuen Konjunkturbericht des RWI-Leibniz-Institutes sind die Aussichten für die Wirtschaft in NRW insgesamt nicht ganz so düster, aber von einem Aufschwung scheint sie so weit entfernt zu sein wie die Erde vom Mars. Für dieses Jahr rechnet das Institut mit einem leichten Wachstum von 0,2 Prozent. Für das kommende Jahr 2025 sagt das RWI ein Wachstum von 0,7 Prozent voraus, aber diese sich andeutende schwache Erholung sei „keineswegs gefestigt“. Die schwächelnde Industrie leide unter teurer Energie, zu viel Bürokratie und der chinesischen Konkurrenz. Chemiekonzerne, Autohersteller und Autozulieferer seien besonders betroffen, gerade hier stünden Arbeitsplätze auf der Kippe.
Stefan Hagen, Vize-Präsident der Industrie- und Handelskammern in NRW, sagte, die Wirtschaft in NRW drohe noch tiefer in die Krise zu rutschen. „Die jüngsten Meldungen und leider auch unsere Konjunkturumfrage zeigen, dass zeitnah kein Licht am Ende des Tunnels ist. Die Betriebe brauchen den Rückenwind durch eine belastbare Wirtschaftspolitik, um Vertrauen zu fassen und wieder Schwung aufnehmen zu können“, so Hagen.
Wirtschaftsministerin Mona Neubaur kündigte bei der Vorstellung des Konjunkturberichts neue Flächen für die Ansiedelung von Unternehmen in Köln und im Münsterland an und stellte schnellere Genehmigungsverfahren in Aussicht. Außerdem senke der Ausbau der erneuerbaren Energien die Stromkosten, und davon werde die Wirtschaft in NRW profitieren.
Fords Fehler? E-Autos die keiner will, und Abschied von einem Modell, das viele wollten
Am kriselnden Autobauer Ford schieden zuvor sich in der Ausschuss-Sondersitzung im Landtag die Geister. Jan Matzoll (Grüne) glaubt, der Niedergang des Konzerns sei nicht allein der wirtschaftlichen Lage geschuldet. Er wirft dem Management Fehler vor: Die neuen SUV-ähnlichen E-Modelle „Explorer“ und Capri“ gingen am Markt vorbei, gleichzeitig profitierten andere Hersteller vom Aus des beliebten „Fiesta“.
André Stinka (SPD) sprach vom „Versagen der kompletten Führungsriege der deutschen Autoindustrie“. Es fehlten preisgünstige Autos aus Deutschland. Dietmar Brockes (FDP) möchte nicht, dass die Politik den Menschen vorgibt, welche Autos sie fahren sollen. Viele Bürgerinnen und Bürger entschieden sich gegen E-Autos, weil sie von der Technik nicht überzeugt und die Fahrzeuge zu teuer seien. Die AfD kritisiert das „Verbrennerverbot“ und spricht generell von „Klimawahnsinn“.
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