Berlin/Baku. „Ein Witz“, „eine klägliche Summe“ – oder doch „ein neues Kapitel“? Was die Einigung von Baku bedeutet und wie es jetzt weitergeht.
Chandni Raina versucht kaum, ihre Wut zu verbergen. Viel zu niedrig, viel zu weit in der Zukunft sei das, was da gerade beschlossen wurde, sagt die Vertreterin der indischen Delegation beim Abschluss der Weltklimakonferenz mit hörbarem Ärger in der Stimme. Das neue Ziel für Klimafinanzierung sei „erbärmlich arm, eine klägliche Summe“. Doch ihre Wortmeldung ändert nichts mehr, die Entscheidungen sind zu diesem Zeitpunkt schon gefallen. Es ist Sonntag, drei Uhr morgens Ortszeit, als in Baku in Aserbaidschan die diesjährige UN-Klimakonferenz mit mehr als einem Tag Überlänge zu Ende geht, und mit ihr ein zweiwöchiger Kampf um Milliarden-Summen.
Dass es überhaupt zu Beschlüssen kommen würde, war lange unsicher – noch kurz vor Ende des Treffens war offen, ob die rund 200 Staaten die nötige Einstimmigkeit erreichen würden, ein Scheitern stand im Raum. Worauf sich die Staaten jetzt geeinigt haben und wie es weitergeht – der Überblick.
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Was hat die Weltklimakonferenz beschlossen?
Es ging in Baku vor allem um eine Sache: Geld. 2025 läuft eine Vereinbarung aus, nach der die Industrieländer ärmere Länder mit jährlich 100 Milliarden US-Dollar unterstützen bei der Einsparung von Emissionen und der Anpassung an den Klimawandel. Denn während viele Entwicklungsländer kaum zum globalen CO2-Ausstoß beitragen, werden sie oft besonders hart getroffen von den Folgen der Klimakrise. Gleichzeitig haben sie kaum Ressourcen, um sich auf Klimakatastrophen vorzubereiten oder Zerstörtes wieder aufzubauen. Aus Sicht der Entwicklungsländer schulden ihnen die Industriestaaten, die mit dem Verbrennen von Kohle, Öl und Gas reich geworden sind und den Klimawandel so angestoßen haben, deshalb Geld, um darauf zu reagieren.
Künftig sollen die Summen dafür höher sein. In Baku einigten sich die Staaten darauf, dass bis 2035 jährlich 300 Milliarden Dollar Klimafinanzierung zusammenkommen sollen. Hinter dem, was nach Ansicht von Entwicklungsländern wirklich nötig wäre, bleibt das allerdings weit zurück: Sie hatten 1,3 Billionen Dollar veranschlagt – und das jedes Jahr. Diese Zahl findet sich zwar ebenfalls im Abschlusstext, aber nur als Ziel, auf das alle Akteure bis 2035 hinarbeiten sollten.
Warum war eine Einigung auf der Klimakonferenz so schwierig?
Ein Konflikt, der seit Langem schwelt, ist die Frage, wer eigentlich zahlen muss. Denn unter dem Dach der Verhandlungen gelten als Industriestaaten nur jene Länder, die diesen Status schon 1992 hatten. Wirtschaftssupermacht China zum Beispiel wird bei den Klimakonferenzen noch als Entwicklungsland betrachtet und kämpft hart darum, dass das so bleibt, um weiterhin lediglich freiwillige Zahlungen an andere Länder zu leisten. Dasselbe gilt für die Golfstaaten.
Die EU und andere Industriestaaten hatten eine stärkere Einbeziehung dieser Länder als Geber gefordert, konnten sich damit aber nur teilweise durchsetzen. Es bleibt im Text bei der Aufforderung, dass auch Entwicklungsländer „ermutigt“ werden, auf freiwilliger Basis einen Beitrag zu leisten.
Die Konferenz fand zudem in einem politischen Umfeld statt, das Einigkeit schwierig macht. Die erneute Wahl Donald Trumps als US-Präsident kurz vor Beginn der Konferenz überschattete die Verhandlungen – es wird erwartet, dass die USA erneut das Pariser Abkommen verlassen werden, sobald er sein Amt antritt.
Gastgeberland Aserbaidschan – ein Staat, dessen wichtigste Einnahmequelle Öl- und Gasexporte sind – war nach Ansicht vieler Teilnehmer nicht ehrgeizig genug, in dieser Situation trotzdem ein gutes Ergebnis der Konferenz zu erreichen. Mohamed Adow, Chef der Denkfabrik Powershift Africa mit Sitz in Nairobi, sprach von dem „am schlechtesten geleiteten Treffen“ in der Geschichte der Klimakonferenzen.
Welche weiteren Beschlüsse gibt es?
Als übrig gebliebene Aufgabe aus dem Pariser Abkommen legten die Staaten neue Regeln fest für den Handel mit Emissionszertifikaten. Ein internationaler Markt für diese Zertifikate soll es möglich machen, dass Emissionsminderung in einem Land auf die Klimaziele eines anderen Landes angerechnet werden – zum Beispiel, wenn ein Industriestaat in einem ärmeren Land Aufforstungsprojekte oder erneuerbare Energie finanziert. Befürworter hoffen dadurch auf mehr Klimaschutzinvestitionen in Entwicklungsländern. Kritiker dagegen fürchten, dass die beschlossenen Regeln zu lax sind und Zertifikate gehandelt werden, hinter denen keine echten Einsparungen von Treibhausgasen stehen.
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Ansonsten war die diesjährige Klimakonferenz an vielen Stellen vor allem ein Abwehrkampf, um zu verhindern, dass bereits erreichte Fortschritte wieder zurückgedreht werden. Vor einem Jahr in Dubai war es als historischer Erfolg gefeiert worden, dass die Welt die Abkehr von fossilen Brennstoffen beschlossen hatte. Aber in Baku gelang es nicht, diese Formulierung zu wiederholen, ein entsprechender Beschluss wurde vertagt. Vor allem Öl-Staat Saudi-Arabien hatte verhindert, dass es an dieser Stelle Fortschritte gibt.
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Wie sind die Reaktionen?
Er hätte sich ein ehrgeizigeres Ergebnis gewünscht, sagte UN-Generalsekretär Antonio Guterres nach dem Ende des Treffens, aber die Einigung sei eine Basis, auf die man aufbauen könne. Sie müsse pünktlich und vollständig erfüllt werden: „Zusagen müssen schnell zu Geld werden“, sagte Guterres.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock räumte ein, dass die Beschlüsse „nicht ausreichen, um alle Bedürfnisse zu erfüllen“. Sie seien nur ein „Startpunkt“. Trotzdem sieht sie in der Einigung von Baku einen Einstieg in ein neues Kapitel der Klimafinanzierung. Manche Entwicklungsländer teilen dagegen die Wut der indischen Delegation: Eine Vertreterin Nigerias nannte die Summe von 300 Milliarden US-Dollar „einen Witz“.
Beobachterinnen und Beobachter von zivilgesellschaftlichen Organisationen sehen in der hart erkämpften Einigung ein Zeichen, dass internationale Kooperation auch in schwierigen Zeiten weiter funktionieren kann. Die tatsächlichen Ergebnisse aber bewerten sie ernüchtert. „Leider haben viele Finanzministerien noch nicht verstanden, dass Klimafinanzierung keine milde Gabe ist“, sagt David Ryfisch, Klimafinanzexperte der Nichtregierungsorganisation Germanwatch. Jeder Euro für Klimaschutz und -anpassung spare ein Vielfaches an Schäden.
Wie geht es jetzt weiter?
Klimadiplomatinnen und -diplomaten blicken jetzt nach vorn: auf die Konferenz im kommenden Jahr im brasilianischen Belém. Nach den Regeln des Pariser Abkommens wird es dann darum gehen, neue, ehrgeizigere Pläne für die Einsparung von Emissionen vorzulegen – das müssen die Staaten alle fünf Jahre tun.
In der Wissenschaft und Zivilgesellschaft werden währenddessen die Stimmen lauter, die eine Reform des Konferenzformats fordern – oder aber kleinere Treffen, bei denen nicht alle Staaten dabei sind. „Der Klimagipfel von Baku war kein Erfolg, sondern allenfalls die Vermeidung eines diplomatischen Desasters“, sagte Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, nach dem Ende der Klimakonferenz. „Es ist jetzt überdeutlich, dass wir für den globalen Kampf gegen die Klimakrise ergänzende Verhandlungsformate brauchen.“