Berlin. Paul Schockemöhle will aus Pferdemist Biogas machen. Doch die Branche ist verunsichert. Sie sagt: Die Politik versagt bei Kontrollen.

Für seinen Plan musste Paul Schockemöhle wissen, wie viel Mist seine Tiere produzieren. Ein Jahr lang lief eine Studentin durch die Ställe und Höfe und wog. Das Ergebnis: 70.000 Tonnen Pferdemist pro Jahr, produziert von rund 5000 Pferden. Paul Schockemöhle, Kürzel „PS“, ausgerechnet, ist nicht nur erfolgreicher Springreiter und Pferdezüchter. Er führt mittlerweile mehrere Unternehmen. Aus dem Pferdemist will er nun Biogas herstellen, Geld verdienen, vor allem aber das Klima schonen. Doch der Plan bekommt Risse. Schockemöhle sagt, dafür sei auch die Politik verantwortlich.

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Aktuell macht eine Nachricht die Runde, die ein Beben in der Branche für Erneuerbare Energien ausgelöst hat. Der Marktführer der Bio-Methan-Versorger in Deutschland meldet Insolvenz an, die Landwärme GmbH. Die Firma geht in die PR-Offensive und prangert an. Nicht schlechtes Wirtschaften sei Grund für die Pleite, sondern „Betrug“ von anderen. Und dieser werde von deutschen Behörden „weder geprüft, verfolgt noch sanktioniert“.

Der Vorwurf: Biodiesel aus China sei mit Palmöl gemischt und für den Import in die EU und nach Deutschland falsch deklariert worden, als besonders wertvoller „fortschrittlicher Biodiesel“. Aber nicht nur das: Ganze Klimaschutzprojekte seien erfunden worden – eingesetzt, um damit Klimaschutzvorgaben in Deutschland zu verfälschen. Verbände der Öko-Firmen sprechen von einem Schaden in Höhe von 4,5 Milliarden Euro. Geld, das zu großen Teilen nach China abgeflossen sei. Geld, mit dem eigentlich der Klimaschutz in Deutschland vorangetrieben werden sollte.

Sorge wächst, dass beim Emissionshandel Betrüger profitieren

Das Branchen-Beben erschüttert auch das Projekt von Schockemöhle. Seine Idee: Pferdemist soll mit modernen Verfahren in Biomethan verwandelt werden. Autos können mit dem Gas klimaschonend tanken. Auch Strom, Wärme und Dünger will er herstellen, und seine Firmen dezentral selbst versorgen.

Paul Schockemöhle wird 75
Pferdezüchter und Unternehmer: Paul Schockemöhle will aus dem Mist seiner Tausenden Pferde klimafreundlichen Biokraftstoff herstellen. © picture alliance/dpa | Bernd Wüstneck

Die Verwertung der Pferdeabfälle galt lange als technisch kaum machbar, weil der Mist schwer verdaulich ist. Aber mithilfe von Wissenschaftlern und Ingenieuren haben Schockemöhle und der Geschäftsführer seiner Bioenergie GmbH, Ulf Wegener, ein Verfahren entwickelt. Drei Jahre arbeiteten sie daran. Bald wollen sie unter anderem fast 14 Millionen Kubikmeter Rohbiogas jährlich herstellen. Doch aktuell ist der Bau der Biogasanlage gestoppt.

Schockemöhle und Wegener brauchen Kredite für weitere Investitionen von den Banken. Und die beiden merken jetzt den vielleicht größten Schaden, den die mutmaßlichen Betrügereien angerichtet haben: Banken und Investoren verlieren das Vertrauen. Nicht in Schockemöhles Unternehmen – aber darin, dass der Staat die Energiewende managen kann. Dass vertragliche Regeln für den Aufbau einer erneuerbaren Mobilität in Deutschland dauerhaft gelten. Und es wächst die Sorge, dass von Lücken bei der Kontrolle des Emissionshandels vor allem die profitieren, die ein falsches Spiel treiben.

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Bauernverband: „Erleben, wie der Markt überschwemmt wird“

Die Folge: Die Preise sind im Keller. „Wir spüren, wie bei den Banken und in der Branche eine starke Unsicherheit herrscht. Viele Investoren verlieren Vertrauen darin, dass die Politik die Energiewende stemmen kann“, sagt Geschäftsleiter Wegener. Er vermisse ein entschiedenes Vorgehen von deutschen Behörden gegen die mutmaßlichen illegalen Geschäfte. „Die jetzige Bundesregierung scheint, um die Klimaziele zu erreichen, auf Betrug basierende Lieferungen von Biodiesel aus China zu akzeptieren.“

Die größte Krise der Biokraftstoff-Wirtschaft zieht Kreise: Der Bauernverband ist alarmiert: „Wir erleben, wie der deutsche Markt mit angeblich fortschrittlichem Biodiesel auf Basis von Altfetten aus China überschwemmt wird, der aber offensichtlich aus umetikettiertem Palmöl stammt“, sagte unlängst der Generalsekretär des Verbands, Bernhard Krüsken. Die Opposition im Bundestag attackiert die Bundesregierung scharf – und die Firmen der Öko-Branche sind verunsichert.

Diese Krise fällt in eine Regierungszeit, in der ausgerechnet die Grünen das Umweltministerium, das Wirtschaftsressort und das Landwirtschaftsministerium stellen. Doch muss man ein paar Jahre zurückgehen, um die Maschen der mutmaßlichen Betrüger zu verstehen.

Biogas plant
Der heimische Markt für Biodiesel könnte großen Schaden nehmen. © Getty Images | ollo

Jedes Jahr steigt der Anteil der Erneuerbaren für die Kraftstoff-Konzerne per Gesetz an

Es war die Vorgänger-Koalition aus Union und SPD, die ein wackeliges System einführte, um den Verkehr in Deutschland klimafreundlicher zu machen: die Treibhausgasminderungsquote, kurz THG-Quote. Mineralölfirmen sind seitdem verpflichtet, ihre fossilen Brennstoffe wie Diesel mit regenerativen Produkten zu ergänzen: etwa mit Biodiesel, Bio-Methan, aber auch mit grünem Wasserstoff oder Strom von Elektrofahrzeugen. Jedes Jahr steigt der Anteil der Erneuerbaren für die Kraftstoff-Konzerne per Gesetz an.

Ein anderer Weg, um die Vorgaben des Staates einzuhalten: Die Unternehmen finanzieren klimafreundliche Projekte im Ausland, sogenannte UER, „Upstream-Emission-Reduction“ – und können damit ihre Öko-Bilanz aufbessern. Nach dem Motto: Dem Klima ist egal, wo Treibhausgase minimiert werden. Ein globales Milliardengeschäft – und eine satte staatliche Förderung für die Bio-Branche. Eigentlich.

Bundesministerin - Steffi Lemke
Unter Druck: Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Britta Pedersen

Denn statt in deutsche Kraftstoff-Produkte investierten multinationale Konzerne in diese „UER“, offenbar gerade in China. Nach einem Tipp vor Ort recherchieren ZDF-Journalisten in China und finden heraus: Projekte, die als klimafreundlich für den deutschen Markt zertifiziert wurden, gibt es gar nicht. Der Vorwurf: Gutachter auch in Deutschland fälschten Prüfung und Abnahme. Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft richten sich gegen Gutachterbüros in Nordrhein-Westfalen und Bayern. 17 Personen sind beschuldigt. Der Schaden in dem Fall: mehr als 1,1 Millionen Euro.

Im August 2023 gab es bei den Behörden erste „vage“ Hinweise. Im Mai, ein Dreivierteljahr später, erstattete das Umweltbundesamt Anzeige – das Amt, das verantwortlich ist für die Kontrolle der UER-Projekt-Anträge.

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Doch damit nicht genug: In der Kraftstoff-Branche wachsen die Hinweise darauf, dass aus China Biodiesel in die EU und damit nach Deutschland importiert wird, der falsch deklariert wurde. Seit Ende 2022 darf Palmöl nicht mehr in Biodiesel gemischt werden. Zum Anbau von Palmöl wird in Asien oft Regenwald abgeholzt. Das wertvolle Öko-Siegel „fortschrittlich“ bekommt nur noch Treibstoff, der aus Abfallprodukten hergestellt wird, so wie etwa Schockemöhles Pferdemist.

Biodiesel aus China bessert die Treibhaus-Bilanzen der Konzerne auf

Doch Marktteilnehmern in Deutschland fällt zu Beginn des Jahres 2023 auf, dass Importe von fortschrittlichem Biodiesel aus China nach Europa dramatisch ansteigen – von 120.000 auf 260.000 Tonnen im Monat innerhalb kürzester Zeit. Eine Menge, die laut Branchen-Kennern kaum produzierbar scheint, und die europäischen Firmen in Bredouille bringt. Der Verdacht: Das billig produzierte Palmöl bleibt im Kraftstoff aus China, bekommt aber das Zertifikat „fortschrittlich“.

China
Biodiesel-Fabrik in China: Das Land investiert massiv in Erneuerbare Energien. Doch es gibt auch scharfe Kritik. © IMAGO | Xinhua

Anfang 2023 laufen erste Warnhinweise auch bei deutschen Behörden und dem Umweltministerium ein. Für die Mineralölfirmen ist der „Biodiesel“ aus China nicht nur günstig – dank einer Verordnung der EU dürfen sie „fortschrittlichen“ Kraftstoff sogar doppelt positiv auf ihre Treibhaus-Bilanzen anrechnen.

Das Problem: Der Betrug lässt sich bisher nicht beweisen. Ist Biodiesel erst mal gemischt, lässt sich der Inhalt nicht nachverfolgen. Die Staatsanwaltschaft Bonn prüfte den Fall – teilt auf Nachfrage mit, es sehe keinen Straftatbestand erfüllt, weil die Unternehmen den Biodiesel in Europa verkaufen konnten und ihnen kein Vermögensschaden entstanden ist, jedenfalls bei den großen Öl-Versorgern. Der Etikettenschwindel sei kein Fall für das Strafrecht, sondern etwa für Bußgeld-Verfahren der verantwortlichen Behörden.

Preis für nachhaltig produzierten Biokraftstoff ist seit 2022 eingebrochen

Die Firmen, die den Kraftstoff aus China kaufen, vertrauen auf die ausgestellten EU-Zertifikate. Zuständig dafür sind private Zertifizierer, auch mit Sitz in Deutschland. Sie prüfen die Angaben der chinesischen Firmen vor Ort, oder schicken lokales Personal zu den Produktionsstätten. Die deutschen Behörden geben an, sie müssen auf die Arbeit vertrauen – denn sie können selbst keine Mitarbeiter nach China schicken, um sich ein Bild zu machen von der Arbeit der Zertifizierer.  

Die offenbar erfundenen UER-Projekte, die mutmaßlich falsch deklarierten Biodiesel-Importe – all das wirkt sich auf Investoren wie Paul Schockemöhle und Ulf Wegener aus. Der Preis für nachhaltig produzierten Biokraftstoff ist seit 2022 eingebrochen, die Anteile, mit denen Produzenten den Markt klimafreundlicher machen wollen, der sogenannten Treibhausgasminimierungs-Quote (THG-Quote), sind von mehr als 400 Euro auf nicht einmal 100 Euro pro CO2-Tonne äquivalent gesunken. Preise, die auch den Marktführer Landwärme GmbH in die Knie zwangen.

Globalisierter Markt: Die hiesigen Behörden wirken bisher oft hilflos

Vorwürfe von Billigimporten, mangelnde staatliche Kontrolle in Deutschland, und eine Wirtschaftsmacht China, die mit Wucht auf einen lukrativen europäischen Markt drängt: Parallelen tun sich auf zu Debatten über das Lieferkettengesetz oder die Nutzung von Huawei-Technik im deutschen Mobilfunknetz. Die chinesische Botschaft reagierte bisher nicht auf Nachfragen unserer Redaktion.

Die hiesigen Behörden wirken bisher oft hilflos, der Zoll verweist auf Nachfrage an das Umweltministerium, Berlin zeigt in vielen Punkten nach Brüssel, zur EU-Kommission, wo nun zusätzliche Zölle gegen chinesische Importe verhängt wurden, nicht wegen Betrugs, sondern wegen „Dumpings“.

Eine Sprecherin von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagt auf Nachfrage unserer Redaktion: „Wir nehmen Berichte über mutmaßliche Betrugsfälle sehr ernst. Mögliche Betrugsfälle mit falsch deklarierten Nachhaltigkeitsnachweisen müssen verhindert werden, um Nachteile auch für deutsche Unternehmen klar zu vermeiden.“

Neuer Betriebshof für Elektro- und Biomethanbusse
Druckgefäße mit Biomethan kontrolliert ein Mitarbeiter auf dem neuen Betriebshof der Rostocker Straßenbahn AG (RSAG). © picture alliance/dpa | Jens Büttner

Im Bundesumweltministerium hält man die Vorwürfe, man habe zu lange zugeschaut, für falsch. Ein Sprecher verweist auf erstattete Anzeigen, nennt „Sonderprüfungen“ der Zertifizierung, die die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung in Auftrag gegeben habe. Doch Beweise für den Betrug fehlen. Die Regierung will die THG-Quote reformieren – und diskutiert dabei auch, die doppelte Anrechnung von „fortschrittlichem“ Biokraftstoff auf die Klimabilanz von Firmen zu streichen.

Auch mit der EU-Kommission stehe man im Austausch, um das Europarecht für die Zertifizierung von Biokraftstoff zu verbessern. Zugleich macht das Ministerium auch andere Faktoren verantwortlich, die den deutschen Biokraftstoff-Markt instabil machen, etwa dass Finnland die Emissionsquoten eingefroren hat und Schweden die Anteile für „Bio“ an Tankstellen deutlich gesenkt hat – und damit mehr Angebot im EU-Markt schafft. Auch das senke die Preise.

„Die Politik muss jetzt handeln“, sagt Pferdezüchter und Unternehmer Paul Schockemöhle

Doch das verlorene Vertrauen in der Branche bleibt trotz dieser Ankündigungen groß. Vertreter von Landwärme GmbH, aber auch Unternehmer wie Schockemöhle fordern, dass Zertifizierungen als nachhaltiger Biokraftstoff für den deutschen Markt nur akzeptiert werden, wenn die Produktion auch von deutschen Behörden überprüft werden kann. Zugleich müsse die Quote für „fortschrittliche Kraftstoffe“ angehoben und große Mineralölfirmen verpflichtet werden, für die aberkannten falschen Zertifikate nun neue, echte am Markt zu kaufen. „Die Politik muss jetzt handeln“, sagt Paul Schockemöhle.

Dann, so hoffen Unternehmer wie er, steige der Preis für Emissionszertifikate, werde Betrug erschwert und der Markt stabilisiert. Das, sagt er, stärke auch den deutschen Wirtschaftsstandort bei der Energiewende. Bis dahin wird der große Teil seines Pferdemists weiterverarbeitet. Nicht zu Kraftstoff, sondern zu Dünger.