Berlin. Das Eskalationsrisiko im Ukraine-Krieg war nie größer. Planspiele für eine „Koalition der Willigen“ gegen Putin schließen Bodentruppen ein.

Dmitri Medwedew ist ein Serienalarmist. Immer wieder hat Russlands früherer Präsident dem Westen mit dem „Dritten Weltkrieg“ gedroht, selbstredend auch nachdem die USA der Ukraine erlaubt haben, mit ATACMS-Raketen Militärziele in Russland anzugreifen. Die Kriegsrhetorik hat sich zuletzt zusehends verschärft. Aber: Nicht nur sie und nicht allein in Russland. Der Konflikt eskaliert und wird mehr denn je internationalisiert:

  • Auf russischer Seite kämpfen Nordkoreaner.
  • Die USA erhöhen mit Waffenhilfen ihren Einsatz.
  • In Ost- und Nordeuropa bildet sich eine Koalition der Willigen.
  • Szenarien für Bodentruppen machen die Runde.

Putin: „Elemente eines globalen Charakters“

Kremlchef Wladimir Putin beobachtet das genau. Seit einiger Zeit schon stellt er die „militärische Spezialoperation“ ohnehin in einem größeren Zusammenhang dar: als Abwehrkampf gegen den Westen.

Als er in dieser Woche den Einsatz einer neuen Rakete gegen die Ukraine in einer Ansprache verteidigte, machte er im Ukraine-Krieg „Elemente eines globalen Charakters“ aus. Der frühere ukrainische Generalstabschef Walerij Saluschnyj hat nicht viel mit Putin gemeinsam, aber in diesem Punkt gibt es keine Differenzen.

Bei einer Preisverleihung der „Ukrainska Pravda“ sagte er „ich glaube, dass wir im Jahr 2024 mit absoluter Sicherheit davon ausgehen können, dass der Dritte Weltkrieg begonnen hat.“ Auf X kann man seine Kernargumentation verfolgen. Die Ukraine stehe nicht mehr nur Russland gegenüber. Er verwies auf die Soldaten aus Nordkorea, auf Shahed-Drohnen aus dem Iran und auf chinesische Waffenkomponenten.

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Tusk will Allianz schmieden

Weil die Ukraine unter Druck ist und der anstehende Machtwechsel in den USA für Verunsicherung sorgt, kündigte Polens Regierungschef Donald Tusk Anfang des Monats eine Offensive an. Interessant ist, wen er ausklammerte, Deutschland, und auf wen er zugehen will: Großbritannien, Frankreich, das Baltikum und die skandinavischen Länder.

Polens Regierungschef Donald Tusk
Polens Regierungschef Donald Tusk sucht nach einer Koalition der Willigen, um die Ukraine zu verteidigen. © DPA Images | Michael Kappeler

Dass sein Ziel eine Koalition der Willigen ist, wurde sogleich verstanden, wie ein offener Brief vom 19. November zeigt, der in Europa für Wirbel sorgt. Titel: „Eine Koalition der Willigen muss die Ukraine sichern.“ Unterzeichnet wurde er von 79 Personen.

Offener Brief für Koalition der Willigen

Darunter sind übliche Verdächtige wie der frühere Schachweltmeister Garry Kasparov, ein Intimfeind Putins, aber eben auch der frühere britische Außenminister Ben Wallace, der ehemalige estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves und der pensionierte Kommandant der US-Army in Europa, Ben Hodges. Aus Deutschland hat der Experte Carlo Masala unterzeichnet, aus Österreich Gustav Gressel, Militäranalyst bei der Denkfabrik European Council on Foreign Relations in Berlin.

Treffen von Trump und Selenskyj in New York
Die große Unsicherheit: Wie wird sich der designierte US-Präsident Donald Trump gegenüber der Ukraine und ihren Präsidenten Wolodymyr Selenskyj verhalten? © DPA Images | Julia Demaree Nikhinson

„Anstatt sich über Donald Trump zu sorgen, sollten Europäer und Kanadier dem Beispiel von Donald Tusk folgen“, beginnt der Brief. Er dreht sich darum, dass die Europäer ihre Interessen verteidigen, „unabhängig davon, was die USA tun“. Und die Unterzeichner schlagen deshalb fünf Punkte vor:

  • Die Ukraine mit den Waffen zu versorgen, die sie „für den Sieg braucht“.
  • Zur Finanzierung würden sie eingefrorene russische Vermögenswerte einziehen.
  • Die Bildung eines Schutzschildes über der Westukraine zur Deckung von Koalitionstruppen am Boden.
  • Sicherheitsgarantien bis zur Aufnahme der Ukraine in die Nato.
  • Verteidigungsausgaben in Höhe von drei Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP).

Macron: „Wenn die Ukraine bittet“

Spurenelemente von diesem Geist findet man in der Erklärung der Außenminister von Deutschland, Frankreich, Polen, Italien, Spanien und Großbritannien letzte Woche in Warschau. Man sei entschlossen, heißt es dort, „in Bezug auf die europäische Sicherheit im Schulterschluss mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern in großen Maßstäben zu denken und zu handeln.“ Auf Europa müsse „eine noch bedeutendere Rolle bei der Gewährleistung unserer eigenen Sicherheit“ zukommen.

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Am brisantesten ist der Vorschlag von Bodentruppen. Das brachte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schon zweimal ins Gespräch, im Februar bei einer Ukraine-Konferenz und nochmal im Mai in einem Interview. „Falls die Russen die Frontlinien durchbrechen und falls die Ukraine darum bittet – was bislang nicht der Fall ist –, dann müssten wir uns zu Recht diese Frage stellen“, sagte Macron in einem Interview mit der britischen Zeitschrift „The Economist“. Macron wollte und will bis heute nichts ausschließen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron: Nie nie sagen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron: Nie nie sagen. © AFP | Ludovic Marin

In Großbritannien läuft die Diskussion. In Deutschland wird gar nicht erst nach Willigen gesucht. Die ablehnende Haltung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist bekannt, schon die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern ist für ihn ausgeschlossen. Bis zur Neuwahl in Berlin ist kein Kurswechsel der Bundesregierung zu erwarten.

Luftabwehr und Bodentruppen

Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter hatte parallel zu Macron dafür plädiert, dass westliche Staaten zumindest die Luftabwehr über dem Westen der Ukraine übernehmen, „in einem Korridor von 70 bis 100 Kilometern“. Beides, Luftabwehr wie Bodentruppen, würde das kriegsgeschundene Land entlasten.

Unter diesem Luftschirm könnte westliche Truppen in die Ukraine einrücken, um zunächst logistische Aufträge zu übernehmen. Einen Schritt in diese Richtung hat der US-Präsident Joe Biden in diesem Monat beschlossen: die Entsendung von Miliärhelfern in die Ukraine. Danach hat er noch einmal mit den ATACMS-Raketen und mit der Lieferung von Antipersonenminen nachgelegt.

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Johnson setzt auf Trump

Im Kern geht es darum, keinen Sieg Russlands zu akzeptieren, der Ukraine einen Diktatfrieden zu ersparen und einen Verlust der USA zu kompensieren, sollte Trump die Unterstützung für die Ukraine kappen. So wie Schweden und Finnland Garantien bis zum endgültigen Nato-Beitritt bekamen, soll auch die Ukraine geschützt werden.

Der frühere britische Premier Boris Johnson mag nach eigenen Worten „nicht glauben, dass ein Mann, der so leidenschaftlich für sein Land eintritt, seine Präsidentschaft damit beginnen möchte, dem Sowjetimperium im Grunde zu erlauben, wieder groß zu werden“, wie er in Anspielung auf Trumps Motto „Make America Great Again“ sagte. Das Risiko einer direkten Konfrontation mit Russland in diesem Krieg war nie größer.

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