Berlin. Die Ampel zofft sich weiter und trifft sich zu zwei Industriegipfeln – nur nicht gemeinsam. Was Scholz, Habeck und Lindner wollen.
Vorhang auf für das nächste Ampel-Theater? Während Deutschland in die große Konjunkturkrise schlittert, steckt die Koalition aus SPD, Grünen und FDP in der Kommunikationskrise. Einig ist man sich vor allem darin, sich uneinig zu sein. Besonders in der Frage, wie die Wirtschaft wieder in Schwung zu bekommen sein könnte, prallen unterschiedliche Lösungskonzepte aufeinander.
Die FDP will bei Sozialausgaben sparen, um Spielräume für wirtschaftliche Entlastungen zu schaffen. Die Grünen und die SPD wollen mehr investieren und dafür die Schuldenbremse lockern. Das aber ist mit der FDP nicht zu machen.
Ampel lädt zu zwei Gipfeln – Experte mit deutlicher Meinung
Es droht nun erneut Ampel-Ärger auf offener Bühne. Heute haben sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zu Industrie- und Wirtschaftsgipfeln eingeladen. Besprechen will man ein und dasselbe Problem – nur eben nicht gemeinsam.
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Scholz, der am Sonntag von den Regierungsberatungen aus Indien zurückgekehrt ist und dort Wirtschaftswachstumsraten von um die sieben Prozent beobachten konnte, mahnte die Koalitionspartner zuvor noch aus der Ferne, an einem Strang zu ziehen. „Wir müssen wegkommen von den Theaterbühnen. Wir müssen wegkommen davon, dass irgendetwas präsentiert und vorgeschlagen wird, was dann gar nicht von allen akzeptiert und angenommen wird.“ Es dürfe nicht darum gehen, sich gegenseitig vorzuführen, sondern man müsse gemeinsam nach einem Konsens suchen, sagte Scholz. Er wolle etwas erreichen, „worauf man sich unterhaken kann“.
Ampel-Zusammenarbeit: Union fordert Bundespräsident zum Eingreifen aus
Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel glaubt hingegen nicht mehr an die große Trendwende mit Blick auf die Zusammenarbeit innerhalb der Koalition. „Der Auftritt der Ampel gleicht einer Tragödie. SPD, Grüne und FDP waren als Fortschrittskoalition gestartet. Man wollte es besser machen als die erstarrte große Koalition zuvor. Das, was wir jetzt erleben, ist jedoch ein Zustand kompletter Zerrüttung, Kommunikationsunfähigkeit und eines Vorgehens, bei dem jeder nur noch schaut, wie er für sich selbst am besten aus dieser Konstellation herauskommen kann“, sagte Schroeder unserer Redaktion.
Die Union forderte am Sonntag bereits ein Einschalten von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. „Wenn die Chaos-Ampel dazu nicht in der Lage ist, sollte der Bundespräsident den drei Ampel-Parteien in einem Gespräch die Möglichkeiten zur Trennung aufzeigen“, betonte Alexander Dobrindt in der „Bild am Sonntag“.
SPD-Chefin Saskia Esken fordert neues 600-Milliarden-Paket
Unterdessen macht man innerhalb der Ampel weiter unabgestimmte Vorschläge. SPD-Chefin Saskia Esken warb am Wochenende für staatliche Investitionen in Höhe von bis zu 600 Milliarden Euro. „Jetzt ist nicht die Zeit zu sparen. Jetzt muss investiert werden, damit wir auch in Zukunft stolz auf ‚Made in Germany‘ sein können“, sagte Esken unserer Redaktion. Gleichzeitig kritisierte sie Lindners „kompromissloses Festhalten an der Schuldenbremse“, die sich „mehr und mehr als Zukunftsbremse“ erweise.
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Anders als die FPD ist Esken aber davon überzeugt, dass man wirtschaftliche Zuversicht nicht dadurch schafft, dass man den Sozialstaat zusammenkürzt. Stattdessen spricht sie sich für Rahmenbedingungen aus, die Zukunftsinvestitionen ermöglichen. „Wir brauchen mutige Entscheidungen und massive Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Wohnungsbau und Klimaschutz“, so Esken. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte zuvor einen – ebenfalls – schuldenfinanzierten „Deutschlandfonds“ vorgeschlagen. Unternehmen, die investieren, sollen Geld zurückbekommen. „Zehn Prozent auf alles“, witzeln einige bei der FDP. Sicher ist, dass auch dafür eine dreistellige Milliardensumme nötig wäre.
Lindner greift Kollegen an – BDI fordert gemeinsame Strategie
Bundesfinanzminister Christian Lindner weilte in Washington, als er nach der neuen Steuerschätzung den Handlungsbedarf beim Aufstellen des Haushalts umriss – und frontal angriff. „Die Finanzpolitik kann nicht reparieren, was die Wirtschaftspolitik versäumt“, sagte er im „heute journal“ des ZDF in Richtung seines Kabinettskollegen Habeck. Und da man nicht mehr Geld ausgeben könne, müssten vorhandene Mittel anders eingesetzt werden.
Lindner will daher beim Sozialstaat sparen, vor allem beim Bürgergeld. Firmen will er bei Steuern und Bürokratie entlasten. Vom Lieferkettengesetz zum Beispiel war auch Kanzler Scholz in der vergangenen Woche abgerückt.
In Sachen Haushalt und Wege aus der Wirtschaftsflaute müssen jetzt alle irgendwie zusammenfinden. Vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hieß es am Sonntag, es sei gut, dass nun unterschiedliche Handlungsoptionen geprüft würden. „Statt unterschiedlicher Thesenpapiere und Gesprächsformate sollten diese in einer gemeinsamen wirtschaftspolitischen Strategie der Bundesregierung münden, die Wachstumskräfte stärkt“, ließ der Verband auf Anfrage unserer Redaktion wissen.
Wohl und Wehe der Ampel – welches Datum jetzt als entscheidend gilt
Aber gelingt das noch? Politikbeobachter Wolfgang Schroeder jedenfalls erkennt „kein gemeinsames Regierungshandeln“ mehr, sondern vielmehr „drei Partner mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen, die sich nicht aufeinander zubewegen, sondern ihre Eigenständigkeit und Beharrlichkeit unterstreichen und ihren Unwillen, diese Regierung zu einem positiven Ende führen zu wollen“. Bundeskanzler Scholz wirke „sehr hilflos und durchsetzungsschwach“. Er werde „durch das illoyale Verhalten der Koalitionspartner regelrecht vorgeführt“.
Nicht nur für Scholz dürfte nun der 14. November als entscheidender Tag gelten. Dann ist die sogenannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses des Bundestags, bis dahin muss die Finanzplanung für 2025 final stehen. Nach der Steuerschätzung bezifferte Lindner den Handlungsbedarf im Haushalt noch auf gut 13,5 Milliarden Euro. Soll es weitergehen, müsse jeder Abstriche machen, so Experte Schroeder. Unklar, ob das gelingt. Parlamentarier von SPD, Grünen und FDP jedenfalls schließen einen Bruch der Koalition längst nicht mehr aus. Und so besteht durchaus auch die Option, dass sich der Vorhang für die Ampel bald für immer schließt.
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