Berlin. Der Bund wird im kommenden Jahr weniger Steuern einnehmen als erwartet. Damit wächst das Loch im Haushalt. Für die Ampel geht es um alles.
Den „Herbst der Entscheidung“ hat Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nach den für seine Partei verkorksten Landtagswahlen ausgerufen. Die wohl wichtigste Entscheidung dürfte nach Donnerstag ein ganzes Stück schwerer werden: Halten die drei Koalitionspartner die Ampel am Leuchten oder lassen sie das Regierungsbündnis zerbrechen?
Der Haushaltsstreit, den SPD, Grüne und FDP schon im Sommer an den Rand des Abgrunds geführt hatte, droht wieder aufzuflammen. In Washington, wo er sich anlässlich der Tagung des Internationalen Währungsfonds aufhielt, musste Lindner verkünden, womit viele bereits gerechnet hatten: Die Steuereinnahmen werden in diesem und im kommenden Jahr geringer ausfallen als zunächst geplant.
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Steuerschätzung: 8,7 Milliarden Euro weniger Einnahmen als noch im Mai erwartet
Wie Lindner am Donnerstag mitteilte, sind nach dem Ergebnis der jüngsten Steuerschätzung für 2024 insgesamt 941,6 Milliarden Euro an Steuereinnahmen zu erwarten. Das sind 8,7 Milliarden weniger als noch bei der vergangenen Schätzung im Mai, 3,4 Milliarden Euro fallen als Einnahmen für den Bund weg. Auch für 2025 wurde die Schätzung deutlich nach unten korrigiert, von 995,2 Milliarden Euro insgesamt auf 982,4 Milliarden Euro.
Noch gar nicht berücksichtigt ist dabei der Abbau der Kalten Progression. Diese steuerliche Anpassung soll schleichende Steuererhöhungen verhindern. Viele Beschäftigten haben zuletzt im Zuge der hohen Inflation Gehaltserhöhungen erhalten. Weil der Einkommenssteuertarif aber ansteigend ist – je höher das Gehalt, desto höher die Steuerlast – frisst die Steuer diese Erhöhung mitunter auf, sodass im Zuge der Teuerung manche Menschen sich unter dem Strich weniger leisten können. Mit zwei Gesetzesvorhaben will Lindner Steuerzahlerinnen und Steuerzahler um 23 Milliarden Euro entlasten. Werden die Gesetze verabschiedet, würden sich die Steuereinnahmen also weiter reduzieren.
Lindner hält an Entlastung für Steuerzahler fest
Er erwarte, dass der Abbau der Kalten Progression in der politischen Debatte nun infrage gestellt werde, sagte Lindner bei der Vorstellung der Zahlen. Sein Ministerium halte aber daran fest. „Es ist ein Gebot der Fairness“, sagte er.
Für die Ampel-Koalition wird damit ein bereits bestehendes Problem noch größer: Denn schon im Regierungsentwurf für den Haushalt 2025, der aktuell im Bundestag beraten wird, klafft eine Lücke von 12 Milliarden Euro. Einen großen Teil davon möchte die Ampel über die globale Minderausgabe herausholen. Das bedeutet: Es wird darauf spekuliert, dass bereitgestellte Mittel nicht abfließen, weil zum Beispiel Förderprogramme weniger stark oder gar nicht in Anspruch genommen werden. Das ist zwar gängige Haushaltspraxis – für gewöhnlich aber in viel geringeren Umfängen. Das Finanzministeriums taxiert die globale Minderausgabe auf derzeit 9,6 Milliarden Euro.
Hilfreich beim Versuch, die Lücke zu schließen, ist eine Art Krisenmechanismus in der Schuldenbremse: Weil es wirtschaftlich schädlich ist, in Zeiten des Abschwungs auch die Investitionen zurückzuschrauben, erlaubt diese einen sogenannten Konjunkturaufschlag. Läuft die Konjunktur – wie aktuell – schlecht, dürfen also dadurch Schulden gemacht werden. Rund 5 Milliarden Euro stehen Lindner so zusätzlich zur Verfügung.
Lindner sieht die Milliardenlücke „näher bei zehn als bei eins“
Dem gegenüber stehen aber auch Mehrausgaben, die im Haushaltsentwurf noch nicht berücksichtigt sind, etwa für die Förderung Erneuerbarer Energie-Anlagen nach dem EEG oder beim Bürgergeld.
Wie hoch das Loch für den kommenden Bundeshaushalt konkret sein wird, wird sich laut Lindner in den kommenden Tagen zeigen. Er geht einem Handlungsbedarf in Höhe eines einstelligen Milliardenbetrags aus, „der aber näher bei zehn als bei eins ist“.
Finanzminister auf Kollisionskurs mit Habeck und Heil
Dabei fest eingerechnet ist auch Geld, das eigentlich schon verplant war: Die Milliardensubvention für Intel, mit dem die Ansiedlung des Konzerns in Magdeburg gefördert werden sollte. Dieses Projekt verzögert sich auf unbekannte Zeit. Die insgesamt sieben Milliarden Euro Subventionen, die für dieses und nächstes Jahr im Klima- und Transformationsfonds (KTF) eingeplant waren, fließen damit vorerst nicht.
Möglichen anderen Ideen, was man mit dem Geld machen könnte, erteilte Lindner am Donnerstag eine deutliche Absage. „Diese Mittel werden zurück in den Bundeshaushalt fließen müssen“, sagte er, „für andere Vorhaben steht dieses Geld nicht zur Verfügung“. Eine Botschaft vor allem in Richtung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der das Geld gern im KTF halten würde – und bereits rechtliche Zweifel angemeldet hat, ob sich die Gelder einfach für den Kernhaushalt umwidmen lassen.
Bis Ende November muss der Haushalt stehen
Und auch beim anderen Koalitionspartner SPD scheint der FDP-Chef auf Kollisionskurs zu gehen. Durch die Steuerschätzung, sagte Lindner, wachse der Handlungsdruck bei ineffizienten Subventionen und der „mangelnden Treffsicherheit des Sozialstaats“. „Konkret werden wir eine neue Diskussion über weitere Maßnahmen im Bürgergeld führen müssen“, forderte er.
Ob die Ampel für das Schließen der Löcher die Kraft hat, erscheint zunehmend fraglich. Die nächsten drei Wochen könnten damit zum Endspiel für die in Umfragen chronisch unbeliebte Koalition werden. Am 14. November findet im Haushaltsausschuss die sogenannte Bereinigungssitzung. Sie bildet den Schlusspunkt der Beratungen, an ihrem Ende steht die finale Fassung des Haushaltsplans für das kommende Jahr, der dann zwei Wochen später vom Bundestag verabschiedet werden würde. Vorausgesetzt, man kann sich auf eine Fassung einigen. Sollte das nicht gelingen, wäre es wohl das Ende der Koalition.
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