Düsseldorf. Fast 1000 Bürgerbegehren gab es bisher in NRW. In Zeiten des Populismus sei aber die Frage erlaubt: Ist direkte Demokratie gefährlich?
Manchmal geht es „nur“ um einen Radweg, manchmal um den Erhalt einer Schule, manchmal – wie aktuell im Kreis Kleve -- um große, landesbedeutsame Fragen wie die nach einem zweiten Nationalpark: Seit 30 Jahren gibt es in NRW Bürgerbegehren und Bürgerentscheide. Der Verein „Mehr Demokratie“ sieht darin eine „Erfolgsgeschichte“. Die direkte Demokratie sei in diesen 30 Jahren immer beliebter und bürgerfreundlicher geworden, sagte Vereinsvorsitzender Achim Wölfel am Mittwoch im Landtag.
Bayern ist deutschlandweit Vorbild für die direkte Demokratie
Fast 1000 Bürgerbegehren gab es bisher in NRW, rund 300 davon mündeten in Bürgerentscheide, etwa jedes dritte Begehren (29,4 Prozent) führte zum Erfolg. Das könne sich sehen lassen, resümiert „Mehr Demokratie“, allerdings gebe es noch Luft nach oben, denn in einigen anderen Bundesländern – vor allem in Bayern und in Ostdeutschland – sei die Bürgerbeteiligung mehr noch als in NRW zum Teil der politischen Kultur geworden.
Zu den ersten Bürgerbegehren in NRW zählte 1994 eines zum Erhalt des „Elsebades“ in Schwerte. Dieses von der Schließung bedrohte Schwimmbad durfte danach in Bürgerhand weiter betrieben werden und existiert bis heute. Die Themen seien auch ein „Spiegel der Gesellschaft“, erklärte Achim Wölfel. Seit einigen Jahren drehten sich viele Wahl-Aufrufe um Klima-Themen. Inzwischen habe es deutschlandweit einige Bürgerbegehren gegen Flüchtlingsunterkünfte gegeben, was die Frage aufwirft, ob die direkte Demokratie unter Umständen von Populisten missbraucht werden kann. Was ist, wenn ein Stadtrat, der über die Zulassung eines Bürgerbegehrens entscheidet, mehrheitlich von Populisten besetzt ist? In diesen Fällen schützten die Gesetze vor Missbrauch. Kein Kommunalparlament dürfe sich über geltendes Recht hinwegsetzen, betont „Mehr Demokratie“
„Demokratie ist mehr als alle paar Jahre ein Kreuzchen zu machen“
Wölfel glaubt daran, dass diese Art der Bürgerbeteiligung die Demokratie eher befriede als behindere. „Demokratie ist mehr als alle paar Jahre ein Kreuzchen zu machen. Die direkte Demokratie dient auch als Ventil für Unzufriedenheit, die dann eingefangen werden kann und unterm Strich dazu führt, dass Menschen zufriedener sind mit dem demokratischen System.“
Bürgerbegehren und Bürgerentscheid
Ein Bürgerbegehren ist der Antrag der Bürgerinnen und Bürger einer Stadt bzw. Gemeinde, eines Stadtbezirks oder eines Kreises an die Verwaltung, einen Bürgerentscheid durchzuführen, zum Beispiel für den Bau eines Radwegs. Dann folgt der Bürgerentscheid – es sei denn, der Rat, der Kreistag oder die Bezirksvertretung schließt sich dem Bürgerbegehren an.
Beim Bürgerentscheid gehen die Bürger – wie bei einer Wahl – an einem Sonntag oder innerhalb eines Abstimmungszeitraums zu den Abstimmungslokalen und geben ihre Stimme ab. Teilnehmen dürfen bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheid alle, die zu den Kommunalwahlen wahlberechtigt sind. Dies sind alle Deutschen und sonstigen EU-Bürger ab vollendetem 16. Lebensjahr.
Damit ein Kommunalparlament sich mit dem Inhalt eines Begehrens befasst, muss dieses von einer bestimmten Zahl von Bürgerinnen und Bürgern unterzeichnet worden sein. In NRW liegt die Unterschriftenhürde je nach Gemeindegröße zwischen 3 und 10 Prozent der Stimmberechtigten einer Kommune.
Am Bürgerentscheid können alle Stimmberechtigten einer Stadt oder Gemeinde teilnehmen und mit Ja oder Nein stimmen. Die Mehrheit entscheidet. Diese Mehrheit muss aber gleichzeitig je nach Gemeindegröße 10, 15 oder 20 Prozent aller Stimmberechtigten ausmachen. Hat eine Stadt 30.000 stimmberechtigte Bürger, müssen mindestens 6.000 (20 Prozent) von diesen für oder gegen das Bürgerbegehren stimmen. In einer Stadt mit 200.000 Stimmberechtigten braucht es 20.000 Ja-Stimmen (10 Prozent). (Quelle: Mehr Demokratie e.V. in NRW)
Weil keinem anderen Bundesland Bürgerentscheide so oft an den Zustimmungs-Quoren scheiterten wie in NRW, also an den Vorschriften, wie viele Stimmberechtigte sich für ein gültiges Votum beteiligen müssen, sollten diese Hürden deutlich abgesenkt werden, so der Verein. 122 Bürgerentscheide seien bisher daran zerbrochen. Gerade in Großstädten wirkten sich die strengen Regeln zur Abstimmung negativ aus.
Bürgerbegehren und -entscheide warten noch auf die Digitalisierung
Wünschenswert sei auch eine automatische Zusendung der Abstimmungsunterlagen an die Bürgerinnen und Bürger, um ihnen den Antragsweg zu ersparen. Derzeit machten das erst zehn Kommunen in Nordrhein-Westfalen.
Ebenfalls auf der Liste der Forderungen des Vereins stehen digitale Unterschriftensammlungen, vereinfachte Kostenschätzungen für Bürgerbegehren, eine zentrale Beratungsstelle für solche Initiativen auf Landesebene sowie die Überarbeitung des komplizierten „Bürgerparagrafen 26“ in der Gemeindeordnung. Juristische Laien seien mit dem Regelwerk oft überfordert.