Düsseldorf. 150 Seiten Koalitionsvertrag und viele konkrete Versprechen: Wie weit ist Schwarz-Grün in NRW zur Halbzeit gekommen. Die Themenanalyse.
Als CDU und Grüne vor zweieinhalb Jahren die erste schwarz-grüne Regierung der NRW-Landesgeschichte bildeten, schrieben sie in ihren knapp 150-seitigen Koalitionsvertrag allerlei konkrete Versprechen. Was ist daraus geworden? Tobias Blasius und Matthias Korfmann haben ein Barometer zur Mitte der Legislaturperiode erstellt: GRÜN = geliefert, GELB = noch in Arbeit, ROT = gebrochen.
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Windenergie: Schwarz-Grün wollte „in den kommenden fünf Jahren mindestens 1000 zusätzliche Windenergieanlagen“ installiert sehen. Zur Hälfte der Legislaturperiode sind die Zubauzahlen tatsächlich im Bundesvergleich sehr gut: Seit Herbst 2022 wurden rund 240 Windenergieanlagen in Betrieb genommen, weitere 672 sind zumindest genehmigt. Der pauschale Mindestabstand von 1000 Metern zwischen Windrad und Wohnbebauung wurde abgeschafft. Genehmigungen sind aber noch keine Installation, weil Bescheide häufig von Anwohnern beklagt werden. Außerdem könnte man das Wort „zusätzlich“ im Koalitionsvertrag auch anders verstehen. Im vergangenen Jahr standen 112 neuen Windrädern auch 91 abgebaute Altanlagen gegenüber. Das Oberverwaltungsgericht hat zudem den Versuch gekippt, einen Zubau in NRW nur noch in festgelegten fünf Vorranggebieten zu ermöglichen. GELB
Solardach-Pflicht: Der Koalitionsvertrag sah eine verpflichtende Photovoltaik-Anlage ab 1. Januar 2023 für alle neuen öffentlichen Liegenschaften, ab dem 1. Januar 2024 für alle gewerblichen Neubauten und für private Neubauten ab dem 1. Januar 2025 vor. Tatsächlich wurde im Herbst 2023 die Landesbauordnung geändert. Sie sieht eine Solardachpflicht ab dem 1. Januar 2024 bei allen neuen Nichtwohngebäuden vor, ab dem 1. Januar 2025 bei allen neuen Wohngebäuden und ab 1. Januar 2026 bei allen Bestandssanierungen mit vollständiger Neueindeckung des Daches. GRÜN
Rohstoff-Abgabe: Schwarz-Grün hatte aus Naturschutzgründen eine Rohstoffabgabe auf Kies und Sand „spätestens zum 1. Januar 2024“ angekündigt. Sie ist bis heute nicht gekommen und wird vermutlich gekippt. ROT
Lehrerversorgung: Der Koalitionsvertrag lässt eigentlich keinen Interpretationsspielraum. „Wir wollen 10.000 zusätzliche Lehrkräfte in das System Schule bringen“, heißt es dort. Die nicht sofort besetzbaren Stellen wolle man vorbürgergehend durch pädagogische Fachkräfte und unterstützendes Personal besetzen. Die Realität: Bei einem leergefegten Lehrermarkt sind nicht einmal die 6000 offenen Stellen in NRW zu besetzen, von „zusätzlichen“ Lehrkräften ganz zu schweigen. Die Landesregierung verweist darauf, dass jetzt immerhin 7000 Menschen mehr im System Schule arbeiteten - Lehrkräfte, Fachleute für Sozialarbeit und Psychologie sowie Assistenzkräfte. GELB
A13 für alle: Das teuerste Wahlversprechen lautete: „Wir werden die Eingangsbesoldung für alle Lehrämter auf A13 anheben.“ Tatsächlich verdienen jetzt auch Grundschullehrer so viel wie ihre Kollegen am Gymnasium. GRÜN
Kohleausstieg: Es war der zentrale Leitsatz für Schwarz-Grün: „Wir wollen den Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen bis 2030 umsetzen.“ Tatsächlich hat man sich im umstrittenen „Kohledeal“ mit dem RWE-Konzern eine entsprechende Zusage geholt. Da aber noch immer keine ausreichende Zahl an modernen Gaskraftwerken als grundlastfähige Reservekapazitäten für den wegfallenden Kohlestrom in Sicht ist, wird der Ausstieg 2030 immer unrealistischer. GELB
Grunderwerbssteuer: NRW wollte die auf Bundesebene vereinbarte Möglichkeit „einer flexibleren Gestaltung der Grunderwerbsteuer zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger“ unterstützen. Tatsächlich tut sich nichts und NRW leistet sich trotz Wohnungsbauflaute weiterhin mit 6,5 Prozent den höchsten Satz in Deutschland. ROT
Kommunale Altschulden: Schwarz-Grün hatte den überschuldeten Kommunen in NRW bis Ende 2023 eine Lösung klipp und klar zugesagt. Wortlaut im Koalitionsvertrag aus dem Sommer 2022: „Sollte der Bund seiner Verantwortung nicht nachkommen, bekennen wir uns dazu, im kommenden Jahr selbst eine Lösung herzustellen und dafür einen Altschuldenfonds einzurichten, der für die teilnehmenden Kommunen eine substanzielle und bilanzielle Entlastung bringt.“ Nach dem Versuch einer Mogelpackung, bei der die Kommunen ihre Altschuldenhilfe selbst bezahlen sollten, gibt es ab 2025 immerhin jährlich 250 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt. Der Bund beteiligt sich aber weiter nicht. GELB
Polizei-Taser: Schwarz-Grün wollte die umstrittenen Polizei-Taser „bis 2024 unabhängig, wissenschaftlich und ergebnisoffen evaluieren“ lassen. Die Untersuchung ist in Auftrag gegeben, das Ergebnis lässt auf sich warten. GELB
Kita-Beiträge: Eltern kleiner Kinder konnten sich 2022 über ein vollmundiges Versprechen freuen: „Wir werden auch das dritte Kita-Jahr vor der Einschulung in ganz Nordrhein-Westfalen beitragsfrei machen.“ Angesichts der Haushaltslage eine völlig unrealistische Ankündigung. ROT
Kita-Essen: Noch so ein Versprechen: „Wir streben eine kostenfreie Verpflegung in Kitas an und werden Eltern schrittweise einkommensabhängig von Essensgeldern entlasten.“ Die meisten Eltern sind wohl froh, wenn ihre vom Land unterfinanzierte Kita den Betreuungsbetrieb überhaupt aufrechterhalten kann. ROT
Landesschulden: „Wir werden Haushalte ohne neue Schulden aufstellen“, heißt es im Koalitionsvertrag, wohlweislich mit dem Zusatz: „…wie es die grundgesetzliche Schuldenbremse samt Ausnahmen für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen als Voraussetzung einer nachhaltigen und generationengerechten Haushaltspolitik vorsieht.“ NRW macht 2024 und 2025 erstmals seit Jahren wieder Milliarden-Schulden und beruft sich auf die „Konjunkturkomponente“ der Schuldenbremse. GELB
Clan-Kriminalität: Innenminister Herbert Reul (CDU) sollte auf Druck der Grünen eine neue Definition zur Clan-Kriminalität finden, „ohne Personen unter Generalverdacht zu stellen“. Bis heute heißt die Clan-Kriminalität weiter Clan-Kriminalität und ist sogar in aller Munde, weil sich neben den kriminellen türkisch-arabischen Großfamilien inzwischen auch die syrischen Clans in NRW breit machen. ROT
Abschiebungen: Schwarz-Grün hatte sich eigentlich vorgenommen, „alle humanitären und aufenthaltssichernden Bleiberechtsregelungen so auszuschöpfen, dass gut integrierte geduldete Geflüchtete eine Bleibeperspektive erhalten“. Eine harte Linie bei Rückführungen sah man kritisch: „Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit müssen vorrangig mildere Mittel als Alternative zur Abschiebehaft ausgeschöpft werden.“ Nach dem Attentat von Solingen kam die komplette Kehrtwende, sogar eine zweite Abschiebehaftanstalt soll gebaut werden. ROT
Ganztag: Schwarz-Grün wollte den kommenden Rechtsanspruch aller Grundschulkinder auf Ganztagsbetreuung gesetzlich absichern: „Durch eine schulrechtliche Verankerung und im Rahmen eines Landesausführungsgesetzes stärken wir die Qualität des Ganztags.“ Das Gesetz kommt nicht. Die OGS-Standards bleiben unverbindlich, Kommunen und Träger müssen sehen, wie sie ab 2026 klarkommen. ROT
Wahlalter: CDU und Grüne hatten sich festgelegt: „Wir werden das Wahlalter bei Landtagswahlen auf 16 Jahre absenken.“ Notwendig wäre bis 2027 ein Gesetzgebungsverfahren zur Änderung der Verfassung und des Landeswahlgesetzes. Da auch Teile der Opposition mitmachen wollen, dürfte die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag stehen. Bislang ist aber noch nichts passiert. Wackelt etwa das Versprechen, weil große Teile der Jungwähler inzwischen von den Grünen zur AfD übergelaufen sind? GELB