Berlin. Immer wieder treten Politiker zurück, weil sie keine Kraft mehr haben. Ein Experte sagt: Wer sich erschöpft fühlt, muss folgendes machen.

Burn-out, sagt der Psychologe Thorsten Kienast, sei kein Krankheitsbild. Es ist ein Risikofaktor. So wie das Rauchen ein Risiko für eine Krebserkrankung darstellt. Und doch ist die schwere Erschöpfung durch körperliche und vor allem emotionale Überlastung aktuell stark im Gespräch. Ein Grund dafür ist der Rücktritt von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. In einer Erklärung sagte er, dass er nicht gesund sei. Und dass ihm die Energie für die Politik fehle.

Das, was Kühnert erlebt, passiert vielen Menschen in Deutschland. Laut einer Untersuchung der Barmer-Krankenkasse betrifft die Diagnose Depression in Deutschland mehr als 146 von 1000 Frauen, bei den Männern sind es 82 von 1000. Mehr als ein Drittel der Menschen in diesem Land zeigt demnach zumindest Symptome von Burn-out. Nicht alle erkranken. Und doch ist die Zahl der schweren Fälle beachtlich. Die Versicherung Pronova-BBK hat Anfang des Jahres errechnet, dass sich 13 Prozent aller Arbeitnehmenden mit Burn-out krankmeldeten, vor allem unter jungen Menschen ist die Zahl hoch.

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    Experte Kienast, der auch an der Hamburg Medical School und der Charité in Berlin lehrt, rät: „Wichtig ist vor allem eins: Der Mensch braucht mehrere Säulen, auf denen sich das Leben stützt. Dazu gehören: Gesundheit, Familie, Freunde, Hobbys und der Job.“ Und er hat weitere Tipps, um sich besser vor dem Abgleiten in ein Burn-out zu schützen. Was genau er sagt, lesen Sie im Interview.

    Michael Roth, Peter Tauber, jetzt Kevin Kühnert – mehrere Politiker mussten sich in der vergangenen Zeit eine Auszeit nehmen. Befeuert das politische Geschäft heutzutage den Burn-out?

    Thorsten Kienast: Zunächst müssen wir unterscheiden. Burn-out ist für uns als Therapeuten kein Krankheitsbild, Burn-out ist ein Risikofaktor – so wie das Rauchen ein Risikofaktor für eine Krebserkrankung sein kann. Es gibt Menschen, die sind eher anfällig für Burn-out, andere haben einen besseren Schutz – oder sorgen besser für sich. Ganz gleich, ob sie Politikerin oder Manager sind. Zugleich sehe ich im Alltag von Politik-Profis Mechanismen, die sich negativ auf die psychische Gesundheit von Politikerinnen und Politikern auswirken können: Da ist der Zwang, sich zu beweisen. Da ist der Einsatz von Ressourcen über das eigene Leistungsvermögen hinaus, das notwendig erscheint, um im politischen Berlin zu bestehen. Da ist der Konkurrenzdruck, einmal aus den eigenen Reihen, einmal durch andere Parteien. Und da sind die Drohungen und Anfeindungen vor allem in den sozialen Netzwerken, denen Menschen in der ersten politischen Liga ausgesetzt sind.

    Zog sich für einige Zeit aus der Politik raus, weil sie erschöpft war: Sahra Wagenknecht.
    Zog sich für einige Zeit aus der Politik raus, weil sie erschöpft war: Sahra Wagenknecht. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

    Woran merken Menschen, dass sie nicht nur müde sind – sondern ernsthaft krank?

    Herbert Freudenberger hat schon in den 1970er-Jahren ein Stufenmodell entwickelt, das bis heute gute Anhaltspunkte für die Risiken einer psychischen Erkrankung durch Burnout liefern. Es fängt an mit hohen Erwartungen an die eigene Leistungsfähigkeit im Beruf, das ist die Anfangsstufe. Und das steigert sich, über den Verlust von sozialen Kontakten und den Bindungen zu Freunden, zur Familie oder den eigenen Kindern, weil nur noch die Arbeit das Leben bestimmt. Wer an Heiligabend E-Mails verschickt, der steckt schon tief in einer ungesunden Arbeitsbeziehung. Am Ende der Skala steht Stufe 12 mit schweren psychischen und körperlichen Symptomen wie die völlige Erschöpfung. Das Stufenmodell ist ein guter Anhaltspunkt, wo man steht. Am besten ist, wenn ein guter Freund auf die Skala schaut und einen Menschen einordnet.

    Kühnert ist noch relativ jung, gerade Mitte 30.

    Gerade bei 25 bis 40 Jahre alten Menschen sehen wir einen „Kult der Selbstvernachlässigung“, wenn es um das Streben nach beruflichem Erfolg geht. Die Menschen drängen nach der Schule oder dem Studium in den Arbeitsmarkt, sie wollen sich etablieren und Karriere machen. Wer Spitzenpolitik macht, ist durch das enge Nadelöhr durchgedrungen. Allein das kostet Kraft. Zugleich stecken junge Menschen viel ein, und der Ausgleich bei der Familie, bei Hobbys, im Sport steckt zurück. Der Stress, den viele erleben, ist nicht so sehr die lange Arbeitszeit, vor allem ist es der emotionale Stress. Wenn Menschen ein Harmoniebestreben haben, aber im Job immer wieder Konflikte und Streit erleben. In vielen Fällen kommen toxische Arbeitssituationen hinzu, Mobbing und Konkurrenzkampf. Wenn Leistungsträger im Beruf merken, wie sie privat ihren eigenen Erwartungen etwa in der Familie und bei der Erziehung der Kinder nicht mehr gerecht werden. Und klar ist: Politik ist ein Zeitfresser, der Wahlkampf, Abendtermine, lange Sitzungen. Zugleich ist der mentale, vor allem aber emotionale Druck enorm. Es geht ja auch darum, die eigenen Ideen und Ziele in der Politik durchzusetzen – damit das gelingt, braucht es viel Zeit und mentale Stärke.

    Was können Menschen tun, um nicht ins Burnout zu geraten – egal ob Politikerin oder Manager?

    Wichtig ist vor allem eins: Der Mensch braucht mehrere Säulen, auf denen sich das Leben stützt. Dazu gehören: Gesundheit, Familie, Freunde, Hobbys und der Job. Doch die Arbeit ist nur ein Fundament von vielen. Werden Freunde weniger, oder zieht sich ein Mensch von der Familie zurück, vernachlässigt er dann noch die Hobbys, dann wackelt das stabile System. Bricht dann die berufliche Karriere weg, fallen vor allem die Menschen in ein Loch, die keinen anderen Anker der Stabilität haben. 

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    Das heißt: Diese Säulen sind auch der beste Schutz vor einem Burn-out?

    Ja. Es hat sich gezeigt, dass jene Personen resilienter sind, die neben dem aufreibenden Beruf noch einen anderen erfüllenden, gut gepflegten Lebensbereich besitzen, der ihnen Lebenslust, Selbstbestärkung, Stärke und positive Emotionen vermittelt. Diese fünf Säulen von Familie bis Beruf sind ein grober Kompass, der auch in schwindelerregenden Arbeitssituationen die richtige Richtung weisen kann – und vor allem auch vorbeugend eingesetzt werden kann. 

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    Wie meinen Sie das?

    Stellen Sie sich eine Person vor, die in einer schwierigen Situation am Arbeitsplatz weiß, dass sie – wenn sie vorbei ist – nach Hause zu einer wohlwollenden Familie zurückkehren oder aber mit tollen Freunden zu einer Runde Squash antreten kann. Solche Personen haben genau den Tick mehr Gelassenheit, der es ihnen erlaubt, die Stresssituation besser zu bestehen. Im Vorteil ist immer die Person, die weiß, was wirklich wichtig in ihrem Leben ist. Im Übrigen bedarf es für die effektive Pflege der verschiedenen Säulen erstaunlich wenig Zeit. Und noch ein Tipp: Wer sich chronisch erschöpft fühlt, muss seinen Alltag entrümpeln, auch hier gilt die Daumenregel: 10 bis 15 Prozent des Workloads lassen sich bei gleichbleibender Effizienz auf kluge Weise immer reduzieren. Und: Wer Freunde und Sport vernachlässigt, sollte mal seinen besten Freund anrufen oder sich wieder aufs Rennrad schwingen. 20 Minuten schwitzen am Tag sind eine sehr gute Vorsorge vor psychischen Erkrankungen, in Absprache mit dem Hausarzt natürlich.