Düsseldorf.. Ob in der Bildung oder im Beruf – von Chancengleichheit kann in NRW keine Rede sein. Das zeigen diese Beipiele.

Bekenntnisse für eine bessere Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben gibt es reichlich. Deutschland hat schon vor 15 Jahren die UN-Behindertenrechtskonvention unterschrieben, und das Grundgesetz verbietet die Benachteiligung ausdrücklich. Doch eine echte Inklusion – frei übersetzt: Jeder Mensch gehört dazu – ist auch in NRW noch in weiter Ferne, wie aus einer Großen Anfrage der SPD an die Landesregierung hervorgeht.

Wie viele Menschen mit Behinderungen leben in NRW?

Sehr viele. Laut der Landesregierung leben im 18-Millionen-Einwohner-Land NRW mehr als 2,3 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinderung. In Dortmund und Essen sind es zum Beispiel je rund 87.000, in Düsseldorf 69.000, in Hagen 31.500.

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Welche Bildungschancen haben sie?

„Menschen mit Behinderungen haben nicht dieselben Chancen wie andere“, sagte die SPD-Landtagsabgeordnete Silvia Gosewinkel aus Unna am Freitag. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit „sozialpädagogischem Förderbedarf“ ist der „Großen Anfrage“ zufolge in den vergangenen vier Jahren um etwa sechs Prozent gestiegen: auf rund 161.000 im Schuljahr 2023/24. Etwa 70.000 von ihnen wurden an allgemeinen Schulen unterrichtet. Parallel dazu gab es 25.307 Stellen für Sonderpädagogen an den Schulen. Davon waren zuletzt aber nur 23.157 Stellen besetzt. Der Fachkräftemangel an Sonderpädagogen sei erheblich größer als der allgemeine Lehrkräftemangel, so Gosewinkel.

Etwa 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen verließen im vergangenen Sommer die Schule ohne Abschluss. Schaut man auf alle Schüler, dann liegt diese Quote bei gut zwei Prozent. Nur gut ein Prozent der Jugendlichen mit Behinderungen erreichen in NRW das Abitur. Unter allen Schülerinnen und Schülern eines Jahrgangs schaffen rund 30 Prozent das Abi.

Die UN-Behindertenrechtskonvention

Am 13. Dezember 2006, hat die UN-Generalversammlung das „Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ (UN-Behindertenrechtskonvention, UN-BRK) angenommen. In Deutschland ist die UN-BRK seit 2009 in Kraft.

Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ist demnach ein Menschenrecht, kein Akt der Fürsorge oder Gnade. Die UN-BRK stellt dies klar und konkretisiert damit grundlegende Menschenrechte für die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen. Sie erfasst Lebensbereiche wie Barrierefreiheit, persönliche Mobilität, Gesundheit, Bildung, Beschäftigung, Rehabilitation, Teilhabe am politischen Leben, Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung. Grundlegend für die UN-BRK und die von ihr erfassten Lebensbereiche ist der Gedanke der Inklusion: Menschen mit Behinderung gehören von Anfang an mitten in die Gesellschaft.

Wie sieht es im Beruf aus?

„Eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt ist in NRW ist für Menschen mit Behinderungen alles andere als selbstverständlich“, meint Anja Butschkau (SPD), Landtagsabgeordnete aus Dortmund mit Blick auf die Zahlen. Von rund 25.000 Schülerinnen und Schülern mit Behinderung, die seit 2017 an der Förderung „Kein Abschluss ohne Anschluss“ teilnahmen, seien nur vier Prozent direkt in reguläre Jobs gekommen.

Etwa 72.000 Menschen mit Behinderungen arbeiten in NRW den Daten zufolge in speziellen Werkstätten. Jährlich schafften aber nur 200 von ihnen den Sprung auf den „Ersten Arbeitsmarkt“, also auf reguläre Arbeitsplätze.

Gibt es auch gute Beispiele?

Einige wenige. So hat sich der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) das Ziel gesetzt, die Zahl der Menschen mit Behinderung in den Werkstätten für behinderte Menschen in Westfalen-Lippe bis 2030 um zehn Prozent zu senken und diese Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Der LWL möchte seine eigene Schwerbehindertenquote auf zehn Prozent hochschrauben, doppelt so viel wie vorgeschrieben.

Welchen Gefahren begegnen Menschen mit Behinderungen?

Etwa 1100 wurden in NRW im Jahr 2023 Opfer einer Straftat. Damit stiegen die offiziell erfassten Zahlen wieder auf das Vor-Corona-Niveau an. In vier von fünf Fällen sei diese Gewalt von Männern ausgegangen, ist in der Großen Anfrage zu lesen. Opfer seien etwa je zur Hälfte Frauen und Männer.

Daneben gebe es ein sehr großes „Dunkelfeld“, also Gewalttaten, die gar nicht bekannt werden, vermutet die SPD-Landtagsfraktion.

Die meisten der 70 vom Land NRW geförderten Frauenhäuser seien zudem nicht barrierefrei. Nur jedes fünfte Frauenhaus biete Mobilitätseingeschränkten Zugang. Nur in fünf Frauenhäusern fänden Frauen mit psychischen Beeinträchtigungen professionelle Unterstützung.

Fehlende Barrierefreiheit an Bahnsteigen Symbolfoto von mangelnde Barrierefreiheit am Bahnstieg des Öffentlichenpersone
Fehlende Barrierefreiheit an Bahnsteigen: Der Nahverkehr ist für Menschen mit Behinderungen oftmals hindernisreich. © imago images/Benjamin Horn | IMAGO stock

Welche Lehren zieht die Opposition daraus?

Die SPD-Landtagsfraktion ruft unter anderem nach mehr Sonderpädagoginnen und -pädagogen in den Schulen und nach mehr „multiprofessionellen Teams“, zum Beispiel mit Lehrkräften, Therapeutinnen und Therapeuten sowie Fachleuten für Sozialarbeit. Die Schuleingangsuntersuchungen sollten schon mit viereinhalb Jahren durchgeführt werden und nicht erst kurz vor der Einschulung, um früher fördern zu können.

NRW müsse eine „Inklusionsoffensive“ starten, um mehr Menschen mit Behinderungen in reguläre Jobs zu helfen. Zudem müsse die letzte „Dunkelfeldstudie“ zu Gewalt gegenüber Menschen mit Behinderungen aus dem Jahr 2019 dringend überarbeitet und methodisch verbessert werden.

Die vielen geplanten Einsparungen im Sozialen würden auch Menschen mit Behinderungen in NRW hart treffen, warnt die Opposition.

Was sagt die Landesregierung?

Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sei zwar „ein gutes Stück“ vorangekommen, dennoch bleibe noch viel zu tun und zu erreichen. NRW habe die Anforderungen der UN-Konvention längst im Landesrecht verankert. Herzstück der Inklusionspolitik der schwarz-grünen Landesregierung sei seit 2022 der „Aktionsplan NRW inklusiv“ mit mehr als 200 Maßnahmen.

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