Berlin. Im ersten Interview als Bewerber für den Grünen-Vorsitz teilt Felix Banaszak gegen die CSU aus – und lästert über den Kanzler.

Nach den verlorenen Landtagswahlen im Osten war Schluss für Ricarda Lang und Omid Nouripour an der Spitze der Grünen. Jetzt will der Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak – zusammen mit Wirtschaftsstaatssekretärin Franziska Brantner – die Verantwortung übernehmen. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt Banaszak, wie er den Negativ-Trend umdrehen will und warum er Anrufe von Stahlarbeitern bekommt. 

Herr Banaszak, was können Sie besser als Ricarda Lang?

Felix Banaszak: Dat und wat sagen, ich komme aus dem Ruhrgebiet. (lacht) Wir sind unterschiedliche Menschen – alles andere müssen andere bewerten.

Wie ist die Wahl auf Sie gefallen?

Banaszak: Ich hatte gerade von der Rücktrittsentscheidung des Bundesvorstands erfahren, da war schon mein Name in der Presse. Ganz ehrlich? Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch gar nicht, dass ich kandidiere. Dann kamen sehr viele Anrufe. Manchmal muss man in solchen Momenten den Sprung wagen – also bin ich gesprungen.

Wie vertraut sind Sie mit Robert Habeck?

Banaszak: Wir arbeiten seit vielen Jahren in unterschiedlichen Konstellationen zusammen. Robert Habeck und ich haben ein gutes Verhältnis.

Manche sehen die Grünen auf dem Weg zum BRH, zum Bündnis Robert Habeck. Völliger Quatsch?

Banaszak: Die Grünen waren immer ein Ort pluraler Führung und werden es auch bleiben. Und natürlich wird Robert Habeck eine zentrale Rolle in unserem Wahlkampf spielen.

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Als Kanzlerkandidat?

Banaszak: Sie müssen sich etwas gedulden. Wir werden auf dem Parteitag im November über den Bundesvorstand und über die personelle Zuspitzung zur Bundestagswahl entscheiden. 

Elf Prozent in den Umfragen führen selten ins Kanzleramt.

Banaszak: Als Olaf Scholz sich zum Kanzlerkandidaten ausgerufen hat, hielten das viele für Autosuggestion. Das politische System hat sich in einer Weise dynamisiert, dass sich in kurzer Zeit alles ändern kann. Diese Partei kann sehr viel mehr aus sich herausholen, als wir es derzeit tun. Der Geist muss sein: Wir können wieder zu alten Höhen kommen, also ran an die Arbeit. Ich werde das Jahr bis zur Bundestagswahl nutzen, wenn mir die Delegierten dafür das Vertrauen geben. 

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Rechnen Sie mit einer Kampfkandidatur beim Parteitag? 

Banaszak: Ich bin in meinen 15 Jahren bei den Grünen immer wieder erfolgreich aus Kampfkandidaturen herausgegangen. Es ist schön, wie viele positive Rückmeldungen ich jetzt bekomme – selbst von Stahlarbeitern bei Thyssenkrupp, die gar nicht Mitglied bei den Grünen sind. Das bedeutet mir viel. 

Die Grüne Jugend, die Sie einmal geführt haben, verlässt in Scharen die Partei. Ist das ein Alarmzeichen? 

Banaszak: Mich lässt so was nicht kalt und ich verstehe, dass einige mit der realen Politik in einer schwierigen Koalition hadern. Aber die Entscheidung, die Grünen zu verlassen, halte ich für grundfalsch. Ich bin davon überzeugt, dass es außerparlamentarische Bewegungen braucht, die nach Veränderung gieren. Aber es braucht auch eine Partei mit einer realen Machtperspektive, um die Dinge umzusetzen – und wenn es Schritt für Schritt ist. Politischer Wandel ist ein evolutionärer, kein revolutionärer Prozess. 

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Was ist dran an dem Vorwurf der Parteijugend, dass die Grünen zu viele Kompromisse machen?

Banaszak: Der Kompromiss ist das Wesen der Demokratie. Selbst eine Partei, die von 50 Prozent der Menschen gewählt wird, kann nicht 100 Prozent ihres Programms umsetzen. Wichtig ist, dass die Kompromisse, die man eingeht, in der Substanz gut sind und die Bilanz unterm Strich positiv ist. Das sehe ich bei der Ampel so. Was in den vergangenen drei Jahren passiert ist, hätte vermutlich keine andere Bundesregierung geschafft. Nur ein Beispiel: Wir haben mit SPD und FDP die Energiewende vom Kopf auf die Füße gestellt.

Klingt nicht, als würden die Grünen radikaler, wenn Sie an der Spitze stehen. 

Banaszak: Ein Versprechen kann ich meiner Partei geben: Ich setze mich mit allem, was ich habe, für meine Überzeugungen ein. Mit Konflikten kann ich umgehen und auch damit, nicht von allen gemocht zu werden. Aber ja, ich bin ein grundpragmatischer Mensch, weil es mir um die Sache geht.

Die Grünen sind für viele regelrecht zum Hassobjekt geworden. Wie wollen Sie das ändern?

Banaszak: Es gibt eine große Sehnsucht danach, dass eine politische Partei glaubwürdig den Eindruck vermittelt, dass sie das Ganze über das Kleine stellt – und zugleich für die Werte eintritt, die sie hat: Solidarität, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit. Meine Tochter und auch ihre Kinder sollen einen lebenswerten Planeten vorfinden. Wir müssen weg von den Bullshit-Debatten der Union, ob Grillen weiter erlaubt sein soll oder nicht – als gäbe es da zwei Meinungen. Für so einen Quatsch stehe ich nicht zur Verfügung. Wenn der Oppositionsführer die Probleme theatralisch beschreibt und der Bundeskanzler sie in aller Ruhe bestaunt, braucht es auch jemanden, der sie löst. Das ist der Raum für uns Grüne. 

Beispiel Wirtschaft: Wie findet Deutschland aus der Stagnation?

Banaszak: Wirtschaftspolitik ist Geopolitik. In einer Phase, in der um uns herum alle massiv investieren, sollten wir das VWL-Lehrbuch von 1995 im Regal lassen und uns der Wirklichkeit öffnen. Ich werbe für eine Wirtschaftspolitik, die eine aktive Rolle des Staates vorsieht. In dem Wachstumspaket der Ampel stecken gute Impulse für den Wohlstand der nächsten Jahre.

Was soll dieser aktive Staat noch leisten? 

Banaszak: Wir sollten es nicht dem Zufall überlassen, welche Branchen, Industrien und Technologien wir in Deutschland halten und ansiedeln, wenn wir uns nicht von anderen abhängig machen wollen. Zu einer guten und aktiven Wirtschaftspolitik gehören deshalb auch gezielte Subventionen. Wir müssen einen zweistelligen Milliardenbetrag pro Jahr investieren, damit die Transformation zur klimafreundlichen Produktion gelingt und beispielsweise die Stahlindustrie im Ruhrgebiet auf grünen Wasserstoff umsteigen kann. Mit den engen Regeln der Schuldenbremse verlieren wir auf kurz oder lang den Anschluss. 

Also weg damit?

Banaszak: Wir wollen die Schuldenbremse nicht abschaffen, aber reformieren, damit sie Zukunftsinvestitionen – auch in unsere Verkehrsinfrastruktur – stärker als bisher ermöglicht. Millionen Bahnfahrer werden sich über Fahrpläne freuen, die nicht nur eine grobe Orientierung geben. Die Verkürzung von Generationengerechtigkeit auf einen ausgeglichenen Haushalt wird uns teuer zu stehen kommen.

Wollen Sie auch die Steuern erhöhen?

Banaszak: Viele Menschen stehen richtig unter Druck, gerade Familien. Sie sorgen sich, dass es in diesem Land nicht mehr gerecht zugeht. Diese Sorge teile ich. Wir müssen verhindern, dass sich unsere Gesellschaft weiter entsolidarisiert. Es gibt auf der anderen Seite nämlich genug Menschen, die es kaum merken, ob die Inflation bei zwei oder bei sieben Prozent steht. Gerechtigkeit heißt, dass jeder seinen fairen Beitrag leistet.

Sprechen Sie von der Vermögensteuer, der Einkommensteuer oder von beiden?

Banaszak: Es geht nicht um eine konkrete Maßnahme, sondern um eine Haltung: In unserer Verfassung steht der Grundsatz, dass Deutschland ein Sozialstaat ist – und dass Eigentum verpflichtet.

Die Menschen treibt noch ein anderes Thema um: Migration. Ihr Parteifreund Cem Özdemir hat in einem sehr persönlichen Zeitungsbeitrag geschildert, wie seine Tochter von „Männern mit Migrationshintergrund unangenehm begafft oder sexualisiert“ wird. Özdemir plädiert für eine harte Kehrtwende in der Migrationspolitik. Unterstützen Sie ihn dabei?

Banaszak: Lassen Sie mich darauf persönlich antworten: 2017 ist an meiner ehemaligen Schule in Duisburg ein 14-jähriges Mädchen aus dem Unterricht heraus nach Nepal abgeschoben worden – in ein Land, in dem sie vorher noch nie war. Ich konnte gemeinsam mit der Schulgemeinschaft und vielen Menschen in Duisburg dazu beigetragen, dass die Familie nach Deutschland zurückkehren konnte. Heute hat sie ihr Abi in der Tasche und studiert. Meine Sorge ist, dass die Debatte über Migration aus dem Ruder läuft. Wir reden über Menschen. Gerade nach dem islamistischen Terroranschlag von Solingen ist es wichtig, zu unterscheiden: zwischen den vielen, die hierhin gekommen sind, um ihr Glück zu suchen – und denen, die hier sind und das Glück anderer zerstören.

Welche Antwort haben die Grünen auf Terror, der von Migranten ausgeht?

Banaszak: Es ist doch klar, dass wir für mehr Sicherheit sorgen und hart gegenüber islamistischen Gefährdern auftreten müssen. Das Grundgesetz ist kein Vorschlagskatalog, sondern festes Regelwerk. Aber eine Politik, die diese Unterscheidung nicht mehr schafft und Menschen mit Migrationsgeschichte pauschal als Problem identifiziert, ist nicht meine. 

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Bedeutet für Abschiebungen und Grenzkontrollen? 

Banaszak: Das Problem ist doch, dass seltener der untergetauchte Gewalttäter abgeschoben wird als die integrierte Auszubildende. Mein Vorschlag: Mehr Härte gegenüber den Gegnern unserer freiheitlichen Gesellschaft – mehr Angebote für die, die Teil von ihr werden wollen. Bei den Grenzkontrollen sollten wir keine falschen Erwartungen wecken, dass ein abgeschottetes Land dauerhaft ein sicheres und lebenswertes ist. So sehen es übrigens auch die Polizeigewerkschaften. 

Mit welchem Koalitionspartner wollen Sie diese Politik durchsetzen? Die CSU schließt ein Bündnis mit den Grünen schon aus.

Banaszak: Ich kann so was nicht ernst nehmen. Wenn das der Geist ist, können wir einpacken in diesem Land. Parteien im demokratischen Spektrum müssen miteinander koalitionsfähig sein, so anstrengend die Gesprächspartner sein mögen. Wer die Grünen verteufelt, während Faschisten und Putin-Fans auf dem Vormarsch sind, sollte Politik anderen überlassen.