Düsseldorf. Blüht die Kriminalität wegen der Cannabis-Freigabe in NRW auf? Bisher ist das nur eine Vermutung, aber der Innenminister warnt.
Seit sechs Monaten ist Cannabis teilweise legal. In NRW tobt weiter ein Streit über das Cannabisgesetz. Die Warnungen nehmen sogar zu, denn Sicherheitskräfte vermuten einen Zusammenhang zwischen der Freigabe der Droge und den eskalierenden Konflikten unter Drogendealer-Banden.
Welche Zwischenbilanz ziehen die Landesregierung und Polizisten?
„Wenn ich könnte, würde ich das Cannabis-Gesetz wieder zurücknehmen“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) dieser Redaktion. Er gehörte von Beginn an zu den schärfsten Kritikern der Legalisierung und sieht seine Befürchtungen jetzt bestätigt: „Wir stellen fest, dass dadurch der Konsum insgesamt gestiegen ist. Aber es fehlen die legalen Anbaustrukturen, um diese neue Nachfrage zu decken. Das ist ein gefundenes Fressen für Drogenkriminelle aus den Niederlanden, die die neuen Kunden mit Kusshand nehmen.“
Steht womöglich die jüngste Anschlagserie im Rheinland mit Explosionen, Schüssen und einer Geiselnahme im Zusammenhang mit dem laxeren Umgang mit Cannabis? Belegen lässt sich das nicht, aber Reul deutet diese Möglichkeit an: Der Drogenmarkt werde in NRW jedenfalls immer umkämpfter.
Oliver Huth, NRW-Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), sieht es ähnlich. Cannabis sei zwar nun teilweise legal, aber die Konsumenten hätten praktisch keine Chance, legal an die Droge zu kommen. „Für den Nachschub sorgen zum allergrößten Teil immer noch Dealer. Was die Politik nicht geschafft hat, übernehmen weiter brutale Banden, die damit Geld verdienen“, so Huth. Auch die Justiz habe seit Monaten alle Hände voll mit der Prüfung von Cannabis-Altfällen und der Abmilderung von Strafen zu tun. Insgesamt, meint Huth, sei das eine schlechte Bilanz nach sechs Monaten.
Anbau und Konsum (in Grenzen) erlaubt
Mit dem Cannabisgesetz wird der private Eigenanbau durch Erwachsene zum Eigenkonsum sowie der nicht-gewerbliche Eigenanbau von Cannabis in Anbauvereinigungen (Cannabis-Social-Clubs) legalisiert. Die Vereine dürfen maximal 25 Gramm Cannabis pro Tag und 50 Gramm pro Monat an ihre bis zu 500 Mitglieder abgeben. In Bielefeld wurde am Montag der erste Cannabis-Club in NRW genehmigt. Rund 80 Vereine warten noch auf eine Zulassung.
Cannabis darf unter Auflagen von Erwachsenen in der Öffentlichkeit konsumiert werden, auch der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis steht nicht mehr unter Strafe.
Welche Erfahrungen machen die Städte?
Sie haben zu wenig Personal, um den Cannabis-Konsum konsequent zu kontrollieren. „In der Praxis läuft das auf Stichproben hinaus, ähnlich wie bei Kontrollen eines allgemeinen Rauchverbots oder bei den Corona-Regeln“, erklärt Christof Sommer, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW.
Es werde noch ein bis zwei Jahre dauern, bis die Städte und Gemeinden einschätzen könnten, was die Cannabis-Legalisierung für sie bedeute. Alarmsignale sendeten die Kommunen bisher nicht, sagt Sommer.
Die Stadt Dortmund hat bisher 67 Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. 62 wegen Cannabiskonsums in Verbotszonen, fünf wegen des Konsums in der Nähe von Minderjährigen. Die Stadt verzichtet aber bisher auf die Verfolgung von Frauen und Männern, die möglicherweise mehr als die erlaubten 25 Gramm Cannabis bei sich haben. „Bis heute fehlen dafür gänzlich die Ausführungsvorschriften des Landes“, so ein Stadt Sprecher. Es sei derzeit unmöglich, Menschen, die bei Kontrollen auffielen, gerichtsfest zu bestrafen. Dafür benötige man geeichte Messgeräte wie zum Beispiel Feinwaagen.
Der Dortmunder Ordnungsdienst lege jedenfalls „bis dato keinen Schwerpunkt auf Kontrollen des Konsumcannabisgesetzes“.
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Wie bewertet eine Suchthilfe-Expertin die Folgen des Gesetzes?
„Es gibt aktuell keine Hinweise darauf, dass durch die Teillegalisierung wesentlich mehr Cannabis konsumiert wird“, sagt Angelika Schels-Bernards, Referentin für Suchthilfe im Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln, und widerspricht damit der These vom größer gewordenen Markt. Schon vorm Inkrafttreten des Gesetzes habe der Konsum zugenommen, es gebe aber keinen Ausschlag nach oben durch das neue Gesetz.
Das Teillegalisierung sei „in der Sache gut“, meint Schels-Bernards. Mit dem Gesetz sei das Thema Cannabis „aus der Sphäre des Illegalen“ getreten, und damit nehme die Bereitschaft der Menschen zu, offen über Cannabis zu reden. Sucht sei immer sehr schambehaftet, wenn es um illegale Drogen gehe.
Die Beratungsstellen registrierten immer mehr Anfragen zu Cannabis. „Das sind aber keine neuen Fälle, sondern Angehörige von Konsumenten oder Konsumenten selbst, die durch die offene Kommunikation überhaupt eine Beratung in Betracht ziehen.“
Die Experten der Caritas für Suchtprävention würden angesichts des gestiegenen Interesses am Thema Cannabis inzwischen häufig von Firmen oder auch von Schulen eingeladen -- eine erfreuliche Entwicklung, findet Schels-Bernards.
Das Cannabisgesetz habe aber handwerkliche Mängel, weil es viele Fragen offenlasse. „Wir werden zum Beispiel gefragt, ob Bewohnerinnen und Bewohner von Seniorenheimen Cannabis auf ihren Fensterbänken anbauen und im persönlichen Wohnraum konsumieren dürfen oder ob die Unterstützung beim Cannabiskonsum eine Assistenzleistung bei Menschen mit Behinderung sein kann.“ Die Berater benötigten Rechtssicherheit, um die richtigen Antworten geben zu können. Das Gesetz verunsichere also wegen seiner Unschärfe.
Die Empörung mancher Cannabiskonsumenten über Verbote im öffentlichen Raum oder auf Volksfesten kann Schels-Bernards nicht nachvollziehen: „Wie beim Nichtraucherschutz ist natürlich darauf zu achten, dass Menschen nicht unfreiwillig Cannabis konsumieren.“
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