Berlin/Beirut. Plötzlich explodieren im Libanon Hunderte Funkempfänger der Hisbollah-Kämpfer. Dahinter soll Israel stecken. Die Miliz schwört Vergeltung.
Wie aus dem Nichts sind am Dienstag die Hosentaschen zahlreicher Menschen im Libanon explodiert. Augenzeugen berichteten von Panik in den Straßen Beiruts. Zahlreiche Krankenwagen waren im Einsatz. Der Grund: Am Körper der betroffenen Menschen befanden sich sogenannte Pager, also kleine Geräte, die die Kämpfer der Hisbollah zur Kommunikation nutzen. In Folge kam es in Vororten der Hauptstadt Beiruts und im Süden des Landes zu chaotischen Szenen. In Videos von Überwachungskameras war zu sehen, wie es etwa in Supermärkten zu kleineren Explosionen kam. Teils lagen Menschen danach am Boden.
Footage of communication pagers worn by Hezbollah members exploding across Lebanon.
— Faytuks News (@Faytuks) 17. September 2024
Unprecedented incident. https://t.co/gf37usZrxC pic.twitter.com/5VNZKzxEbi
Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministers Firass Abiad gab es mindestens neun Tote und 2750 Verletzte. Etwa 200 Menschen sollen in Lebensgefahr schweben. Der Minister erklärte, die Pager seien nahezu zeitgleich detoniert - und zwar in unterschiedlichen Landesteilen. Die Hisbollah machte Israel für die Tat verantwortlich und kündigte Vergeltung an. Die USA und die Vereinten Nationen warnten vor einer weiteren Eskalation in der Region.
Am Dienstag (US-Ortszeit) veröffentlichten die „New York Times“ und der Nachrichtensender CNN ebenfalls erste Berichte unter Berufung auf Quellen in den USA und im Ausland, wonach Israel hinter dem Angriff stecke. Es habe sich um eine gemeinsame Operation des Mossad und der israelischen Armee gehandelt, berichtet CNN,
Hintergrund: Mossads Rache? Lesen Sie hier, wie Israel die Pager zur tödlichen Waffe gemacht haben könnte
Pager Explosion: Irans Botschafter verletzt – Krankenhäuser in Alarmbereitschaft
Aus Kreisen der Hisbollah hieß es, dass zahlreiche Mitglieder der Schiiten-Miliz verletzt worden seien. Außerdem hieß es, unter den Toten seien die Söhne zweier HIsbollah-Abgeordneter sowie die zehnjährige Tochter eines Hisbollah-Mitglieds.
Unter den Verletzten soll sich Medienberichten zufolge auch Irans Botschafter im Libanon, Modschtaba Amani, befinden. Der Pager habe einem Leibwächter gehört, berichtete die iranische Nachrichtenagentur Tasnim. Zur Beobachtung sei Amani in ein Krankenhaus gebracht worden, hieß es. Seine Verletzungen seien aber nur oberflächlich.
Die Hisbollah ist der wichtigste nicht-staatliche Verbündete der Islamischen Republik Iran. Auch Mitglieder der Radwan-Truppe, einer Eliteeinheit der Hisbollah, und ein hochrangiger Vertreter der Terrororganisation seien verwundet, wie eine der Miliz nahestehende Quelle bestätigte. Das libanesische Gesundheitsministerium rief alle Krankenhäuser zu höchster Alarmbereitschaft auf und forderte die Menschen auf, keine Funkgeräte zu benutzen.
Explosionen auch in Syrien
Offenbar blieb der mutmaßlich gezielte Angriff nicht nur auf den Libanon beschränkt: In Syrien soll es zu ähnlichen Vorfällen gekommen sein. Die dortige Beobachtungsstelle für Menschenrechte bestätigte, dass mehrere Mitglieder der Hisbollah durch explodierende Kommunikationsgeräte in der Nähe der Hauptstadt Damaskus verletzt wurden. Aus syrischen Sicherheitskreisen hieß es, ein Pager sei unter anderem in einem Auto in der Hauptstadt Damaskus explodiert.
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Die Terrormiliz Hisbollah kontrolliert vor allem den Süden des Libanon und die Vororte Beiruts. Im Raum stand die Vermutung, dass Israel die Geräte als Angriff auf Hisbollah-Kämpfer womöglich gezielt zur Explosion gebracht haben könnte.
Pager wohl erst kürzlich an die Hisbollah geliefert
Pager sind eigentlich ein Kommunikationsmittel aus Zeiten, als es noch keine Handys gab. Die Hisbollah nutzt die altmodischen Geräte, um nicht geortet werden zu können. Allerdings können alle Pager in einem Gebiet gleichzeitig aktiviert werden.
Das „Wall Street Journal“ berichtet unter Berufung auf nicht namentlich genannte Quellen, dass die Hisbollah die Geräte erst kürzlich erhalten habe. Die Zeitung zitiert die Quelle mit der Spekulation, eine Schadsoftware habe sie explodieren lassen.
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Israels Armee kommentierte die Vorfälle im Libanon zunächst nicht. Die USA erklärten noch am Abend, sie seien über eine bevorstehende Massenexplosion von Pagern weder vorab informiert noch daran beteiligt gewesen. Ich kann Ihnen sagen, dass die USA nicht daran beteiligt waren und dass die USA nicht im Voraus von diesem Vorfall wussten“, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, am Dienstag in Washington.
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Die Hisbollah hingegen sieht Israel in der Verantwortung für die Pager-Explosionen: Der „israelische Feind“ sei voll verantwortlich für die „kriminelle Aggression“, hieß es in einer Erklärung der proiranischen Schiiten-Organisation auf Telegram. Israel werde eine „gerechte Vergeltung“ für diese „sündige Aggression“ erhalten, hieß es weiter.
„Niemand kann vorhersagen, wann und wie die Hisbollah reagieren wird“
„Niemand kann vorhersagen, wann und wie die Hisbollah reagieren wird“, sagte Ayman Jezzini dieser Redaktion. „Die Lage ist brandgefährlich“, so der politische Analyst aus dem Libanon. Denn die Gefahr, dass sich der der Krieg über den Gazastreifen hinaus auch auf den gesamten Libanon ausweitet, sei akut. Der Libanon war in der Vergangenheit immer wieder von sicherheitspolitischen Krisen geplagt, darunter die Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri und die Detonation im Hafen von Beirut 2020. Doch die jüngsten Ereignisse übertreffen dies, so der Analyst. „Die Libanesen haben jetzt Angst, dass das, was seit fast einem Jahr in Gaza passiert, auch im Libanon passieren könnte.“
Am 7. Oktober überfiel die radikalislamistische Hamas aus dem Gazastreifen heraus Israel, tötete zahlreiche Menschen und nahm Geiseln, die sie teilweise bis heute gefangen hält. Israel begann daraufhin eine groß angelegte Militäroperation im Gazastreifen, bei der neben Hamaskämpfern auch eine hohe Zahl ziviler Opfer verzeichnet werden. Daneben spitzte sich auch der Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah zu. Fast täglich kommt es zu Zwischenfällen im Grenzgebiet. Auf beiden Seiten gab es infolge des Beschusses Tote – die meisten von ihnen waren Mitglieder der Hisbollah.
Erst am Dienstag wurden nach israelischen Angaben bei einem Angriff auf einen Ort im Südlibanon drei Hisbollah-Kämpfer getötet. Die proiranische Schiitenmiliz handelt nach eigenen Angaben aus Solidarität mit der islamistischen Hamas im Gazastreifen. Unmittelbar vor den Explosionen hatten israelische Medien über „dramatische Konsultationen“ der politischen Führung berichtet.