Berlin. Im Asylstreit sind Kanzler Scholz und CDU-Chef Merz zu ziemlich besten Feinden geworden. Dieses Image dürften beide aus Kalkül pflegen.

Olaf Scholz benötigt gut sechs Minuten, bis er auf Hochtouren ist. Seine Regierung habe in der Migrationspolitik die „Untätigkeit konservativer Innenminister von CDU und CSU beendet“, ruft der Bundeskanzler in den Plenarsaal des Bundestags. „Sie hat das große Sprücheklopfen beendet.“ Mit Blick auf die Reihen von CDU und CSU legt Scholz nach: „Sie können es nicht, das ist die Wahrheit.“ Und dann wird er persönlich.

„Sie sind der Typ von Politiker, der glaubt, mit einem Interview in der ‚Bild am Sonntag‘ hätte er schon die Migrationsfrage gelöst“, bellt der Kanzler ungewohnt angriffslustig. In der ersten Reihe der Unionsblocks im Plenarsaal sitzt Friedrich Merz. Scholz greift den CDU-Chef mit seinem Vorwurf direkt an. Merz gehöre „zu der Gruppe von Politikern“, die direkt nach einem Interview ihre Vorschläge sofort vergessen. „Weil Sie niemals vorhatten, sich darum zu kümmern.“

Olaf Scholz und Friedrich Merz: Ihr Verhältnis hat im Asylstreit gelitten

Olaf Scholz und Friedrich Merz. Die beiden verbindet alles andere als eine politische Freundschaft. Merz glüht vor Ehrgeiz, Scholz als Kanzler zu beerben. Das schafft Reibung. Das Verhältnis zwischen Bundeskanzler und Oppositionsführer hat zuletzt aber noch einmal gelitten. Scholz und Merz sind jetzt ziemlich beste Feinde. Diese verschärfte Auseinandersetzung dürften sich beide zunutze machen wollen, doch dazu später mehr.

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Die Generaldebatte im Bundestag an diesem Mittwoch wird bestimmt von den gescheiterten Gesprächen zwischen Ampel-Koalition und der Union über eine Verschärfung der Asylpolitik. Merz hatten nach dem islamistischen Anschlag in Solingen immensen Druck auf Scholz und seine Regierung gemacht. Im Streit über rigorose Zurückweisungen an deutschen Grenzen ließ die Union die Gespräche über ein gemeinsam getragenes Paket jedoch am Dienstag platzen.

Kanzler attackiert Merz: „Sie haben sich in die Büsche geschlagen“

Scholz ist deswegen sauer auf Merz, wirft ihm eine „Theateraufführung“ vor. „Sie haben sich in die Büsche geschlagen“, kritisiert Scholz. Politiker, die reden, aber nicht handeln, sind dem Kanzler zuwider. Er ist aus seiner Sicht, natürlich, das Gegenteil. Politiker, die ein falsches Spiel spielen, sind dem Kanzler zuwider. In seiner Rede unterstellt er Merz, genau dies getan zu haben – ausgerechnet auf dem heiklen Feld der Migrationspolitik. Süffisant bietet Scholz dem CDU-Chef an, ihm das Wort „seriös“ zu buchstabieren.

In der SPD glaubt man an eine gewisse Eitelkeit bei Merz, der sich als Oppositionsführer vom Kanzler nicht ausreichend respektiert sehe. Wo Scholz zum Leidwesen seiner Partei bisweilen bis an die Schmerzgrenze kontrolliert wirkt, zittern manche in der Union vor der Impulsivität von Friedrich Merz. Das macht ihn aus Sicht der Strategen im Kanzlerumfeld zum perfekten Widersacher im Bundestagswahlkampf.

Merz kontert Scholz: «Diese Behauptung ist infam»

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    Merz beginnt den Tag mit einer Finte und überlässt Dobrindt wichtige Rolle

    Scholz setzt gezielte Nadelstiche. „Führung ist nicht, dass man auf eine Barrikade steigt, mit einer wilden Geste Forderungen erhebt“, hält der Kanzler Merz politische Schwäche vor. „Führung ist, dass man sich umdreht und die eigenen Leute zu einem Kompromiss zu bewegen in der Lage ist.“ Gönnerhaft fügt Scholz hinzu, dass er dennoch weiter zu Asylverhandlungen mit der Union bereit sei: „Sie können immer wieder kommen – trotz der schlechten Erfahrungen, die wir gemacht haben.“

    Merz gibt seine Antwort verspätet. Der Chef der CDU/CSU-Fraktion beginnt den Tag mit einer kleinen Finte. Als Oppositionsführer gebührt es ihm, die Generaldebatte zu eröffnen. Der Kanzler ist erst der zweite Redner. Doch Merz schickt den Vorsitzenden der CSU-Gruppe, Alexander Dobrindt, als ersten Redner ans Pult. So kann Merz sich Scholz in Ruhe anhören und darauf antworten, auch wenn er die Redner von AfD, Grünen und FDP abwarten muss.

    Asylpolitik: Der Pakt der demokratischen Parteien ist gescheitert

    Wer erwartet hat, dass Merz dann gereizt auf den Kanzler losgeht, hat sich getäuscht. Ganz Staatsmann erinnert der Christdemokrat zunächst an die Opfer der Terroranschläge in den USA am 11. September 2001. Dann geht er auf den Krieg in der Ukraine ein und den Angriff der Hamas auf Israel. Deutschland dürfe sich an Terror, Gewalt und Krieg niemals gewöhnen. Seine Botschaft soll sein: Ich will nicht nur Kanzlerkandidat sein, sondern ich kann Kanzler.

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    Schließlich kommt Merz auf die Migration, er schlägt weniger laute Töne an als zuletzt, beharrt aber auf der Zurückweisung von Menschen an den deutschen Grenzen, die nach EU-Recht ihr Asylverfahren in einem anderen Land durchlaufen müssten. Dann kommt der Moment, an dem Merz Scholz Kontra gibt: „Wir begeben uns mit Ihnen nicht in eine Endlosschleife von Gesprächen“, weist er das Verhandlungsangebot des Kanzlers zurück, die Pläne der Ampel-Koalition seien unzureichend. Der von beiden Seiten beschworene Asylpakt der demokratischen Parteien ist gescheitert.

    Bundestagswahl: Dieses Kalkül haben Scholz und Merz

    Dann kündigt auch Merz eine „persönliche Bemerkung“ an und blickt zum Kanzler. Scholz habe ihm in der Asyldebatte eine „Inszenierung“ nach Drehbuch vorgeworfen. Scholz nickt bekräftigend. „Herr Bundeskanzler, ich kann es nicht anders sagen: Diese Behauptung ist infam“, entrüstet sich Merz. Die Unionsabgeordneten klatschen laut, der Kanzler dreht amüsiert die Augen gen Plenarsaaldecke und scheint ein Grinsen zu unterdrücken.

    Olaf Scholz und Friedrich Merz, der Kanzler und der Oppositionsführer. Sie sind ziemlich beste Feinde. Dieses Image dürften beide bis zur Bundestagswahl weiter pflegen, beide wollen daraus Nutzen ziehen. Für die Bürgerinnen und Bürger heißt das, sie können sich zwischen zwei sehr unterschiedlichen Politikern entscheiden.