Berlin. Die Bundesregierung zieht Konsequenzen aus dem Anschlag von Solingen. Einen Fehler darf die Regierung jetzt aber nicht machen.

Die Bluttat von Solingen hat auf so vielen Ebenen Entsetzen ausgelöst. Es darf nicht passieren, dass friedlich feiernde Menschen Opfer eines brutalen Messerangriffs werden. Es macht wütend, dass der mutmaßliche Täter ein Syrer ist, der aufgrund des Bürgerkriegs in seinem Heimatland bei uns Aufnahme gefunden hat. Es macht fassungslos, dass der Mann Deutschland eigentlich längst hätte verlassen müssen. Es macht ratlos, dass sich der Messerangreifer offensichtlich von deutschen Behörden unbeobachtet radikalisierte und mit der Terrormiliz IS in Verbindung stand.

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Im Eiltempo versucht die Politik nun, Antworten zu finden. Auf die konkreten Fehler, die der Anschlag offenbart hat. Aber auch auf grundlegende Probleme etwa im Bereich Zuwanderung, die nicht erst seit dem Anschlag in Solingen oder seit dem Mord an einem Polizisten in Mannheim durch einen Afghanen Ende Mai diskutiert werden. Es geht in den aktuellen Debatten um Abschiebungen, um Leistungskürzungen für Asylsuchende, um Messergewalt und den Kampf gegen den Terrorismus. All diese Debatten müssen geführt werden, für sinnvolle Lösungen müssen sie aber auch sauber getrennt werden.

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Messergewalt: Koalition will Verbot auf Volksfesten und in Zügen

Die Bundesregierung nennt vor Beratungen mit den Ländern und der Union als größter Oppositionskraft in der kommenden Woche drei Bereiche, in denen sie handeln will. Die Koalition will die irreguläre Migration begrenzen, dazu gehören einfachere Abschiebungen, Grenzkontrollen und die Kürzung von Leistungen für Asylbewerber, die nach den EU-Regeln eigentlich in einem anderen Land versorgt werden müssten. Hinzu kommen Abschiebungen von Schwerkriminellen und Gefährdern nach Syrien und Afghanistan, die Scholz bereits nach dem Messermord von Mannheim angekündigt hatte.

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    Zudem plant die Koalition eine Verschärfung des Waffenrechts als Reaktion auf die zahlreichen Fälle von Messergewalt, die zuletzt an vielen Orten in Deutschland Schlagzeilen machten. Ein gezielter Anschlag lässt sich nicht durch das Verbot bestimmter Messer, durch ein Messerverbot auf Volksfesten und in Zügen oder den Fokus auf polizeibekannte Personen verhindern, darüber macht sich wohl niemand Illusionen. Es muss aber der Druck auf die Klientel steigen, die es für normal hält, mit einem Messer in der Tasche um die Häuser zu ziehen – und dieses bei Konfrontationen auch einzusetzen.

    Den Dschihadismus müssen wir weit vor der Tat bekämpfen

    Kommentarfoto Jan Dörner
    Jan Dörner ist Chefreporter Politik in der FUNKE Zentralredaktion. © Reto Klar | Reto Klar

    Terrorismus und Islamismus müssen wir begegnen, bevor der Täter den Entschluss zum Töten gefasst hat. Die Koalition will deswegen die Sicherheitsbehörden stärken – dafür wird es höchste Zeit. Der Dschihadismus organisiert sich im Netz und wirbt dort um Gelder, betreibt Internet-Propaganda, wirbt potenzielle Attentäter in Chatgruppen an und radikalisiert junge Menschen hierzulande via Online-Betreuung. Den Ermittlern mehr Zugriffsrechte in der digitalen Welt zu geben, ist ein überfälliger Schritt.

    Die Beratungen über die Konsequenzen nicht nur aus Solingen, sondern auch aus den Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre ist damit nicht beendet. Manche Maßnahmen kommen spät, andere zu spät. Die Koalition zeigt kurz vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen jedoch: Wir haben erkannt, dass wir handeln müssen. Das „Solingen-Paket“ ist eine gute Vorlage für die weiteren Gespräche mit der Union und den Ländern. Die Ampelpartner sind dazu bereit, ihre jeweilige politische Komfortzone zu verlassen. Die Ampel-Koalition hat allerdings die Tradition, mühsam gefasste Vereinbarungen in kürzester Zeit zu zerreden. Dazu darf es diesmal nicht kommen.