Berlin. CDU-Chef Friedrich Merz fordert nach Solingen härtere Asylgesetze. Doch sind seine Forderungen umsetzbar? Ein Verfassungsrechtler erklärt, was möglich ist.
Der Anschlag von Solingen hat die Debatte um Geflüchtete erneut angefacht. CDU-Chef Friedrich Merz trat am Sonntag für einen härteren Asylkurs ein. Seine Kernforderungen:
- Keine neuen Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan
- Flüchtlinge, die ihre Heimat besuchen, verlieren ihr Aufenthaltsrecht
- Dauerhafte Grenzkontrollen mit konsequenten Zurückweisungen entsprechend der Dublin-Regelung
- Zeitlich unbegrenzte Abschiebehaft für ausreisepflichtige Straftäter
Name | Joachim-Friedrich Martin Josef Merz |
Geburtsdatum | 11. November 1955 |
Amt | CDU-Vorsitzender, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion |
Partei | CDU |
Parteimitglied seit | 1972 |
Familienstand | Verheiratet, drei Kinder |
Größe | 1,98 Meter |
Wohnort | Arnsberg |
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert winkte bereits ab. Viele der Vorschläge seien rechtlich nicht umsetzbar, teils sogar verfassungswidrig. Doch stimmt das? Verfassungsrechtler Ferdinand Weber von der Universität Göttingen ordnet die Forderungen von Friedrich Merz für unserer Redaktion ein.
Aufnahmestopp von Flüchtlingen? Alle Anträge müssen geprüft werden
Die Forderung nach einem Aufnahmestopp für Geflüchtete aus bestimmten Herkunftsländern klingt für Weber nach Kontingenten oder sogenannten Resettlementprogrammen. Dies findet laut Weber derzeit nicht statt. Die Anträge von Menschen, die nach einem Grenzübertritt Asyl beantragen, müssen laut dem Verfassungsrechtler geprüft werden. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs sogar bei illegalem Aufenthalt.
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Aber wäre es nicht möglich, das in Artikel 16a des Grundgesetzes verankerte Recht auf Asyl einfach abzuschaffen? Grundsätzlich ja, laut Weber hat sogar das Bundesverfassungsgericht bereits betont, dass der Artikel abgeschafft werden könnte. Nach Einschätzung des Verfassungsrechtlers würde das aber in der Praxis kaum einen Unterschied machen.
Warum die Abschaffung des Asylrechts wenig ändern würde
Denn zum einen greift weiterhin Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Dieser kann aufgrund der Ewigkeitsklausel des Artikels 79 des Grundgesetzes auch nicht geändert werden und würde auch für Geflüchtete gelten: „Es gäbe kein deutsches Grundrecht auf Asyl als subjektives Recht, sondern nur noch das Verbot der menschenunwürdigen Behandlung für die Bundesrepublik. Dazu zählt auch das Zurückweisungsverbot bei Todesgefahr“, erläutert Weber.
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Der zweite Punkt, warum die Abschaffung des Asylrechts wenig ändern würde: Es gilt nur, wenn jemand direkt auf dem Land- oder Seeweg nach Deutschland reist, ohne über andere EU-Mitgliedstaaten zu kommen. Ein Fall, der kaum auftritt. Kommen Geflüchtete über EU-Mitgliedstaaten, gilt hingegen EU-Asylrecht. Weber stellt fest: „Würde Artikel 16a des Grundgesetzes abgeschafft, würde das wenig ändern an den flüchtlingsrechtlichen Pflichten der Bundesrepublik.“
Aufenthaltsrecht aberkennen und lange Abschiebehaft? Nur mit erheblichen Rechtsänderungen
Dass Merz anerkannten Flüchtlingen die Aufenthaltsgenehmigung nach einem Urlaub im Heimatland entziehen will, ist laut Weber nach aktuellem Recht nicht möglich. „Anerkannte Flüchtlinge verlieren ihren Flüchtlingsstatus derzeit nach dem Asylgesetz nur, wenn sie sich in ihrem Heimatland (dauerhaft) niederlassen“, erklärt der Jurist. Doch könnte das Asylgesetz entsprechend geändert werden? Theoretisch schon.
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Eine Gesetzesänderung auf Bundesebene würde allerdings nicht ausreichen. Denn auch im europäischen Recht und in der Genfer Flüchtlingskonvention ist diese Regelung verankert, diese müssten angepasst werden oder Deutschland müsste das Abkommen verlassen. „Der Punkt zeigt, dass erhebliche Rechtsänderungen (oder Vertragskündigungen) auch auf europäischer und internationaler Ebene erforderlich wären“, fasst Weber zusammen.
Ähnliches gilt für die geforderte zeitlich unbegrenzte Abschiebehaft: „Die deutschen Regelungen setzen auch die EU-Rückführungsrichtlinie um, die eine Höchsthaftdauer von sechs, unter Umständen höchstens zwölf Monaten vorsieht“, erläutert Verfassungsrechtler Weber die Problematik. „Eine alleinige Änderung des deutschen Aufenthaltsgesetzes würde damit nicht ausreichen.“
Flüchtlinge gar nicht erst hereinlassen? Ein umstrittenes Thema
Doch was ist mit der Forderung nach Zurückweisungen an den deutschen Grenzen unter Berufung auf die Dublin-Regelungen? Diese sieht eigentlich vor, dass derjenige EU-Staat für die Geflüchteten zuständig ist, in den sie zuerst in die EU eingereist sind. Da es kaum möglich ist, von Nordafrika nach Deutschland zu kommen, ohne vorher EU-Boden zu betreten, würde das die Zahl der neuen Flüchtlinge hierzulande massiv reduzieren.
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Doch ob es rechtlich gestattet ist, Flüchtlinge aufgrund der Dublin-Regelungen gar nicht erst nach Deutschland hereinzulassen, ist laut Weber umstritten. Es gäbe aber die Hoffnung auf den sogenannten „Dominoeffekt“, so der Verfassungsrechtler weiter. Das würde bedeuten, dass ein an der Grenze abgelehnter Flüchtling immer weiter zurückgewiesen würde, bis er wieder im eigentlich zuständigen EU-Staat oder sicheren Drittstaat angekommen wäre.
Wer ist zuständig für die Geflüchteten in Deutschland?
Und was ist mit den Geflüchteten, die bereits im Land sind? Eine Rücküberstellung von bereits eingereisten Flüchtlingen an den nach den Dublin-Regeln zuständigen EU-Staat muss laut Weber in der Regel innerhalb von sechs Monaten erfolgen. „Hieran scheitern die meisten Rücküberstellungen praktisch, sei es, weil der eigentlich zuständige Mitgliedstaat gar nicht antwortet, oder weil die deutschen Behörden die Rücküberstellung nicht fristgerecht schaffen, etwa weil der Betroffene nicht auffindbar ist.“
So war es beim Attentäter von Solingen der Fall. Laut Regierungssprecher Steffen Hebestreit sollte Issa al H. gemäß Dublin-Regeln nach Bulgarien abgeschoben werden. Doch die Behörden trafen den Syrer nicht an und ließen die sechsmonatige Frist verstreichen. Laut einem Bericht der „Welt“ tauchte Issa al H. vier Tage nach Ablauf dieser Frist wieder auf. Nun war die Bundesrepublik für ihn zuständig.
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Um die Forderungen von Merz umzusetzen, wären laut Verfassungsrechtler Weber also teils massive Gesetzesänderungen und der Ausstieg aus der Genfer Flüchtlingskonvention notwendig. Zumindest Deutschland würde aber kaum neue Flüchtlinge aufnehmen müssen, wenn die Dublin-Regeln entsprechend Merz‘ Wünschen eingehalten würde. Weber fasst zusammen: „Wenn wirklich alle das geltende Recht wieder konsequent anwenden, wäre viel erreicht.“