Düsseldorf. Interessenvertreter von Firmen und andere Einflüsterer wollen Mächtige manipulieren. Ein Experte sagt, wie leicht sie es in NRW haben.

Die Organisation Transparency International  Deutschland e.V. hat Verbesserungsbedarf bei der Lobbykontrolle in den Ländern festgestellt. NRW liegt in ihrer Rangliste auf Platz sechs von 16. Experte Norman Loeckel erklärt im Gespräch mit Matthias Korfmann, wie NRW im Detail abschneidet.

Herr Loeckel, in der Länder-Rangliste der Transparenz liegt NRW auf Platz sechs, also im oberen Mittelfeld. Ist NRW also recht gut gegen Lobbyismus geschützt?

Loeckel: Mittelfeld bedeutet nur, dass es eine Reihe von Ländern gibt, die sich fast gar nicht vor Lobbyismus schützen. NRW macht ein bisschen, viele andere fast nichts. In manchen Bereichen kann NRW etwas zufrieden sein. Zum Beispiel mit den Transparenzregeln zu den Nebeneinkünften von Abgeordneten. Was den klassischen Lobbyismus betrifft, steht NRW mit Blick auf die Transparenz sehr schlecht da.

Was meinen Sie mit klassischem Lobbyismus?

Loeckel: Ein Beispiel für Lobbyismus sind Karenzzeiten. Wenn einem Minister in Aussicht gestellt wird, dass er nach dem Ausscheiden aus seinem Amt eine gut bezahlte Stelle in einer Firma oder einem Verband bekommt, ist das problematisch. Bestes Beispiel ist Gerhard Schröder, der ja sicher nicht ohne Hintergedanken Gas-Geschäfte mit Russland zum Ende seiner Amtszeit auf den Weg gebracht hat.

Klassischer Lobbyismus heißt aber vor allem, dass ein Interessenvertreter auf einen Regierungsvertreter oder einen Parlamentarier zugeht, und für sein Anliegen wirbt. Das muss nicht illegitim sein, aber es sollte transparent sein. Und da gibt es eben Interessenvertreter, die nicht möchten, dass die Öffentlichkeit von diesen Gesprächen erfährt. In kleinen Bundesländern ist diese Art der Kontaktaufnahme nicht so verbreitet, aber NRW ist ein großes und wirtschaftlich für Lobbyisten sehr interessantes Bundesland. Daher ist es schade, dass gerade in NRW keine Transparenz herrscht. Es gibt kein Lobbyregister und keinen legislativen Fußabdruck.

„Was den klassischen Lobbyismus betrifft, steht NRW mit Blick auf die Transparenz sehr schlecht da“: Norman Loeckel leitet bei Transparency Deutschland die Arbeitsgruppe „Transparente Verwaltung“.
„Was den klassischen Lobbyismus betrifft, steht NRW mit Blick auf die Transparenz sehr schlecht da“: Norman Loeckel leitet bei Transparency Deutschland die Arbeitsgruppe „Transparente Verwaltung“. © Transperancy | Recep

Was ist ein legislativer Fußabdruck?

Loeckel: Das bedeutet volle Transparenz beim Entstehen eines Gesetzes. Wenn ein Ministerium einen Gesetzentwurf erstellt, kommen die Ideen dazu nicht einfach aus der Luft zugeflogen. Eine Regierung informiert sich im Vorfeld. Es gibt offene Anhörungen, aber auch Gespräche, die im Verborgenen laufen. Lobbybisten werden eingeladen oder gehen aktiv auf ein Referat zu. Das ist nicht verboten, und das kann auch im Interesse der Bevölkerung sein. Es sollte aber offengelegt werden, an welchen Stellen in einem Gesetzentwurf es diese Einflussnahmen gab.

Dass sich große Verbände, die die Interessen vieler Unternehmen vertreten, an solchen Diskussionen beteiligen, ist normal. Wenn es aber ein einzelnes Unternehmen ist, das seine eigenen Vorteile durchsetzen möchte, ist es nicht mehr normal. Wenn zum Beispiel ein Finanzdienstleister Einfluss nehmen möchte auf Regulierungen von Finanzanlagen. In NRW hat es sicher oft in der Vergangenheit den Versuch von Kohleunternehmen gegeben, die Gesetzgebung zu beeinflussen.

Ein legislativer Fußabdruck kann vorbeugend verhindern, dass Ministerien auf Sonderwünsche eingehen, weil sie wissen, dass die Kontakte offengelegt werden und die Bevölkerung solche Deals kritisch sieht.

Und ein Lobbyregister gibt es in NRW auch nicht?

Loeckel: Nein. In einem Lobbyregister sollte detailliert über Art und Umfang der Interessenvertretung in einem Land informiert werden. Einige Bundesländer behaupten zwar, sie hätten Lobbyregister, aber die sind, was Art und Umfang angeht, kaum transparent. Da muss zum Teil nur die Identität offengelegt werden und nicht einmal die Identität aller Lobbisten. Im Saarland müssen sich zum Beispiel nur Verbände für das Lobbyregister registrieren lassen, einzelne Auftragslobbyisten wie eine Agentur oder eine Anwaltskanzlei aber nicht.

Nur drei Länder gehen bei ihren Lobbyregistern weiter: Thüringen, Bayern und Baden-Württemberg. Deren Lobbyregister haben Hand und Fuß. NRW hat nicht mal ein Alibi-Lobbyregister.

Besserung in Sicht?

CDU und Grüne haben sich in ihrem Koalitionsvertrag in NRW mehr Transparenz vorgenommen: „Mit einem Lobbyregister beim Landtag und mit einem handhabbaren und unbürokratischen legislativen Fußabdruck möchten wir für Transparenz im Gesetzgebungsprozess sorgen.“

Aber NRW hat immerhin eine Karenzzeit für Regierungsmitglieder, oder?

Loeckel: In dieser Hinsicht zählt NRW zu den besseren Ländern. Kritisch sehen wir aber auch hier die Länge der Karenzzeit. Ein Jahr ist einfach zu kurz, das schreckt niemanden ab. Hier geht es manchmal um schwerste Interessenkonflikte wie zum Beispiel im Fall Gerhard Schröder.

Im Bund beträgt die Regel-Karenzzeit ein Jahr beziehungsweise 18 Monate für schwere Fälle. Eine Ausnahme ist Thüringen mit 24 Monaten Karenzzeit, und angesichts des geringen wirtschaftlichen Gewichtes dieses kleinen Landes ist das ordentlich bemessen. Im wirtschaftlichen Schwergewicht NRW müssten hingegen dieselben Maßstäbe angelegt werden wie im Bund. Wir plädieren sogar für eine Karenzzeit in schwersten Fällen von bis zu drei Jahren im Bund und in NRW.

Müssen in NRW Abgeordnete Nebentätigkeiten offenlegen?

Loeckel. Ja, aber es gibt hier zwei große Lücken. Erstens gibt es in NRW keine echten Sanktionen bei Verstößen. Zweitens darf ein Abgeordneter in seinem eigenen Bundesland auch gleichzeitig Lobbyismus betreiben. Ein Abgeordneter ist gewählt, um seinen Wahlkreis, mindestens aber das Allgemeinwohl zu vertreten. Das verträgt sich nicht mit Nebentätigkeiten für konkrete Unternehmen. Der Bund, Bayern und Schleswig-Holstein haben die Lobbyarbeit von Abgeordneten vollständig verboten. In NRW ist das nicht der Fall.

Wie sieht es bei den Regierungsmitgliedern aus?

Loeckel: NRW hat hier eine Sonderstellung. Hier dürfen Regierungsmitglieder Nebentätigkeiten ausüben. Im Bund dürfen sie es nicht, selbst Ehrenämter sind dort verboten. In NRW darf ein Minister kommerzielle und ehrenamtliche Nebentätigkeiten ausüben.

Welche Bundesländer machen es besser als NRW?

Loeckel: Drei Länder sind zum Beispiel wirklich engagiert: Thüringen, Bayern und Baden-Württemberg. Die waren in den vergangenen Jahren schon recht gut und haben nochmal nachgelegt.

Warum Bayern?

Loeckel: Bayern hat aus gutem Grund seine Transparenzregeln verschärft. Bayern war praktisch in jeden Transparenzskandal der letzten fünf Jahre verwickelt. Denken wir an den Masken-Deal und Wirecard. Das schlug damals stark auf Wähler-Umfragen durch, zuungunsten der CSU. Die Staatsregierung verschärfte daraufhin die Regeln. Ohne diese CSU-Skandale wäre das dort wohl so nicht konsequent passiert.

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