Berlin. Ein Ex-Bodyguard soll für Kremlchef Putin die Probleme in der Kursk-Region lösen, nicht Oberbefehlshaber Gerassimow. Ein Fingerzeig?
Mit Fehlschlägen kann Wladimir Putin schlecht umgehen. Er reagiert ungehalten, lenkt von sich ab, sucht und findet stets Sündenböcke. Derzeit schiebt er die Verantwortung für die Kursk-Offensive den lokalen Behörden zu, allen voran dem Gouverneur der Region Kursk, Alexei Smirnow.
Der Vorstoß der Ukrainer war zwei Tage alt, da fragte der australische Militärexperte Mick Ryan in einem Aufsatz: „Wird das für Gerassimow der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt?“
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Armeegeneral Waleri Wassiljewitsch Gerassimow ist Chef des Generalstabs in Moskau und Oberbefehlshaber von Russlands Truppen im Ukraine-Krieg. Er bekommt gerade Putins Unmut zu spüren. Mit der sogenannten Anti-Terror-Operation in Kursk betraut er Berichten zufolge nicht Gerassimow, sondern seinen früheren Leibwächter, der aus der Region stammt: Alexei Djumin. Ein Mann seines Vertrauens. Lässt sich das über Gerassimow noch sagen?
Gerassimow hat die Lage beschönigt
Es war nicht der erste Fingerzeig. Gerassimows Stellvertreter Wadim Schamarin wurde im Mai festgenommen. Ihm wurde Bestechlichkeit vorgeworfen – schon die vierte hochrangige Verhaftung binnen eines Monats.
Viele erinnerten sich sogleich an die Demontage von Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Sie begann damit, dass einer seiner Stellvertreter, Timur Iwanow, verhaftet wurde. So geht es los: Die Einschläge kommen näher.
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Gerassimow war lange Zeit ein Hoffnungsträger. Aber er hat sich von der Ukraine überrumpeln lassen. Obendrein hat er tagelang die Lage beschönigt. Der Feind sei durch Schläge von Luftwaffe und Artillerie gestoppt worden, behauptete er. Vom Briefing des Präsidenten gibt es einen Film, den ein ukrainischer Politikberater maliziös in X eingestellt hat. Man wird den Eindruck nicht los, dass Putin dem General kein Wort glaubte und innerlich kochte.
Inzwischen hält der Einmarsch mehr als eine Woche an. Die Ukraine kontrolliert rund 1.000 Quadratkilometer, hat nach russischen Angaben (mindestens) 28 Ortschaften erobert und bedroht die Stadt Belgorod, weshalb nun dort der Notstand ausgerufen wurde. Die Bevölkerung, die Militärs und am Ende auch Putin wurden kalt erwischt.
Wie viel Wahrheit verträgt Putin?
Seit dem Zweiten Weltkrieg hat es keinen so großen Einmarsch in russisches Territorium gegeben. Laut der Agentur Bloomberg hatte der Geheimdienst zwei Wochen zuvor Gerassimow gewarnt. Doch der habe die Hinweise ignoriert und Putin nicht eingeweiht. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wollte sich dazu nicht äußern.
Putin ist ein ehemaliger Geheimdienstmann. Sein Verhältnis zum Militär ist schwierig. Schon von der Rebellion der Söldner-Gruppe Wagner wurde er überrascht. Falls seine Geduld mit Gerassimow zu Ende geht, wäre es verständlich. Die Frage ist allerdings, ob jemand ungestraft Putin die ungeschminkte Wahrheit sagen kann; ob das System zwangsläufig zu einem lückenhaften Informationsfluss führt. Es gibt nur den Mut zur Halbwahrheit.
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Die Liste der Fehleinschätzungen ist lang. Notorisch unterschätzt wird die Widerstandskraft der Ukraine und die Unterstützung des Westens. Beispiele dafür sind der Sturm auf Kiew, die Bedrohung der Krim, Rückschläge in Charkiw und Cherson sowie aktuell die Kursk-Offensive. Nach dem Rückzug aus der südukrainischen Stadt Cherson entließ Putin den damaligen Truppenchef in der Ukraine, Sergej Surowikin. Spitzname: „General Armageddon“. Nach nur drei Monaten war er seinen Job wieder los. Putin verzieh ihm nicht die Schmach.
Gerassimow stand lange hoch in der Gunst
Einen größeren Vertrauenskredit genießt Gerassimow. Er spielte 2014 eine Schlüsselrolle bei der Annexion der Krim, ist ein Vordenker der „Hybriden Kriegsführung“ und bewährte sich bei der militärischen Unterstützung für Syriens Präsidenten Assad Verlass. Nicht zufällig haben die USA direkt am Tag nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine Sanktionen gegen Gerassimow verhängt. Der Internationale Strafgerichtshof in den Haag hat Haftbefehl ihn erlassen. Der 67-Jährige ist zweifellos eine Stütze des Regimes.
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Jewgeni Prigoschin, der Chef der Söldnertruppe Wagner, hatte viele Probleme thematisiert und Gerassimow kritisiert. Er starb bei einem Flugzeugabsturz. Derweil ist die Kritik an Gerassimow auch danach nie verstummt. Die Armee sei schlecht ausgerüstet, sie leide unter chaotischen Strukturen, heißt es. Spitzenmilitärs seien korrupt und zu weit weg von der Front. Auch über Gerassimow wurde vermerkt, dass er zu selten an der Front sei. Realitätsverweigerung kann sich aber nur einer erlauben, der Chef höchstselbst, Wladimir Putin.
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