Düsseldorf. Die Grenzwerte für schlechte Luft werden fast nirgendwo mehr in NRW gerissen. Sind Umweltzonen noch zeitgemäß oder können sie weg?

Während die Deutsche Umwelthilfe (DUH) vor Gericht auf ein strengeres Luftreinhalteprogramm für Deutschland dringt, werden in NRW erste Stimmen laut, die eine Abschaffung der Umweltzonen und der grünen Plaketten fordern.

FDP-Landespolitiker Dietmar Brockes: „Umweltzonen gehören auf den Prüfstand“

„Die erfreuliche Entwicklung, dass die Stickstoffdioxid-Grenzwerte in unseren Städten eingehalten werden, zeigt, dass die Maßnahmen zum Schutz der menschlichen Gesundheit wirksam sind. Es ist nun an der Zeit, eine ehrliche Bilanz zu ziehen und unnötige Restriktionen zu hinterfragen. Die Umweltzonen und Umweltplaketten haben ihren Zweck erfüllt und müssen auf den Prüfstand“, sagte Dietmar Brockes, umweltpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, dieser Redaktion.

Der Automobilclub ADAC erinnert auf Nachfrage daran, dass es in Deutschland nur noch zwei Städte gebe, in denen punktuell Schadstoff-Grenzwerte überschritten würden: Essen und München. Damit falle die Grundlage für die Umweltzonen sowie die Notwendigkeit von Umweltplaketten zunehmend weg. Erst im Juni seien die Umweltzonen Reutlingen, Tübingen, Ulm und Neu-Ulm aufgehoben worden.

Automobilclub ADAC sieht die Grundlage für Umweltzonen schwinden

Der Automobilclub geht allerdings davon aus, dass die EU die Grenzwerte künftig verschärft. Voraussichtlich ab dem Jahr 2030 müssten Bürgerinnen und Bürger dann wieder mit neuen Umweltzonen und Einschränkungen rechnen.

Warum ist das heute noch nötig? Eine Frau befestigt eine grüne Feinstaubplakette an der Innenseite einer Windschutzscheibe.
Warum ist das heute noch nötig? Eine Frau befestigt eine grüne Feinstaubplakette an der Innenseite einer Windschutzscheibe. © ddp | Volker Hartmann

Tim Achtermeyer (Grüne): „Die Realität zeigt, dass Umweltzonen funktionieren“

Der Co-Vorsitzende der NRW-Grünen, Tim Achtermeyer, kritisierte die Position der FDP am Dienstag scharf: „Es ist schon skurril, die Wirkung eines Instruments anzuerkennen und im gleichen Atemzug dessen Abschaffung zu fordern. Frei nach dem Motto: Abschaffen, was funktioniert. Nach der gleichen Logik könnten wir die Gurtpflicht in Autos, Zebrastreifen und Ampeln gleich mit abschaffen“, sagte Achtermeyer dieser Redaktion.

Die beste Prüfung, wie die NRW-FDP sie fordere, sei die Realität. Und die zeige, dass Umweltzonen funktionierten. „Seit ihrer Einführung im Jahr 2014 ging die Feinstaubbelastung stark zurück und bleibt bis heute auf niedrigem Niveau. Eine Abschaffung der Umweltzonen würde vielen Menschen in NRW gesundheitlich schaden, gerade denjenigen, die nicht im Villenviertel im Speckgürtel wohnen, sondern in der Zweizimmer-Wohnung an der Hauptstraße“, so der Landtagsabgeordnete. Es müsse mehr dafür getan werden, um Menschen vor Luftverschmutzung zu schützen. Das bestätige auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit seinem heutigen Urteil.

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittleres Ruhrgebiet möchte die Umweltzone Ruhr und die Plakettenpflicht nicht ersatzlos streichen. „Wir würden aber zugunsten der Entbürokratisierung eine Digitalisierung des ,Plaketten-Prozesses‘ begrüßen, da dieser uns nicht mehr zeitgemäß erscheint“, sagte IHK-Industrie-Fachreferent Michael Tamminga-Wessels dieser Redaktion. 

Teile der Wirtschaft würden in Umweltzonen auch Vorteile erkennen, denn sie gäben Planungssicherheit, so der IHK-Eperte. Die Politik solle die Mobilität insgesamt nachhaltiger ausrichten, zum Beispiel durch intelligente Verkehrssteuerung, mehr Investitionen in Mobilitätsmanagement und Parkraumbewirtschaftung.

Stickoxid ist eigentlich nur noch in Essen ein Problem, und dort nur an einer Stelle

Laut dem Landesumweltamt (Lanuv) gibt es in NRW seit Jahren keine Grenzwertüberschreitungen mehr beim Feinstaub. In Essen seien 2022 und 2023 Stickoxid-Grenzwerte überschritten worden, aber nur an der Kruppstraße neben der Autobahn A40. Trotz des flächendeckenden Trends zu sauberer Luft ist das Ruhrgebiet noch immer eine riesige Umweltzone mit Zufahrtsbeschränkung für bestimmte Fahrzeuge.

Am heutigen Dienstag wird ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes (OVG) Berlin-Brandenburg zu einer Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) erwartet. Die DUH fordert ein strengeres nationales Luftreinhalteprogramm. Das aktuelle Programm sei „völlig unzureichend“, verstoße gegen EU-Richtlinien und berücksichtige wichtige Faktoren, die die Luftqualität beeinträchtigten, zum Beispiel das Ende der Förderung für Elektroautos, nicht

Vielen Straßen galten früher als gefährlich für die Gesundheit

Feinstaub- und Stickstoffdioxid-Alarm war früher fast alltäglich in NRW. Noch etwa vor zwölf Jahren wurden die an Messstationen festgestellten Grenzwerte an manchen „Hotspots“ reihenweise gerissen. 2012 waren zum Beispiel die Jahres-Höchstwerte für Feinstaub in NRW schon im August erreicht worden. Die Recklinghauser Straße in Herne, die Mülheimer Straße in Oberhausen, die Kurt-Schumacher-Straße in Gelsenkirchen und die Brackeler Straße in Dortmund gehörten jahrelang zu den schlechtesten Adressen in NRW, wenn es um die Luftqualität ging.

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Und heute? Heute ist die Luft sogar an diesen Orten so sauber, dass die Grenzwerte nicht mehr überschritten werden. Luftkurort-Qualität wird dort natürlich immer noch nicht erreicht, aber es liegen eben viel weniger krank machende Stoffe in der Luft. In die damals neuen Umweltzonen durften ab dem Sommer 2013 nur noch Fahrzeuge mit grüner Umweltplakette fahren. Die Wirkung blieb nicht aus: Schon im Jahr 2014 wurden nirgendwo in NRW die Grenzwerte für Feinstaub überschritten, und das ist bis heute so geblieben, wie das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (Lanuv) erklärt.

Bei den ebenfalls gefährlichen Stickoxiden dauerte es etwas länger, bis sich Erfolge einstellten: Zwar gingen auch hier die Werte kontinuierlich nach unten, aber erst im Jahr 2020 wurde erstmals an keiner Messstelle in NRW mehr der Grenzwert überschritten. 2022 und 2023 gab es laut dem Lanuv wieder jeweils eine Überschreitung, beide Male an der Kruppstraße in Essen neben der Autobahn A40. Sogar am berüchtigten Clevischen Ring in Köln, wo es vor 15 Jahren noch an jedem fünften Tag Feinstaub-Alarm gab, ist die Luftqualität inzwischen recht gut.

Die Fahrzeug-Flotte wird elektrischer, und der Dieselskandal ist ausgestanden

Wenn also die Luft so viel sauberer ist als früher, der Dieselskandal längst ausgestanden ist und sich immer mehr Elektro- und Hybridfahrzeuge in die Fahrzeugflotte mischen – brauchen wir die Umweltzonen und die grünen Plaketten eigentlich noch? Und warum müssen Autokäufer immer noch für grüne Plaketten bezahlen, wenn doch praktisch jedes Auto die Anforderungen dafür erfüllt?

Gemessen an den heutigen Mess- und Grenzwerten könnten die Umweltzonen-Schilder tatsächlich wieder abgeschraubt und die Plaketten von den Scheiben gekratzt werden. Es gibt da allerdings einen Haken: Die aktuell in Europa geltenden Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid sind schon mehr als 20 Jahre alt und entsprechen laut dem Umweltbundesamt nicht mehr den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen über die gesundheitlichen Auswirkungen von Luftverschmutzung.

Die EU-Kommission hat daher schärfere Grenzwerte vorgeschlagen, die schon in wenigen Jahren – voraussichtlich ab 2030 -- auch in NRW der Maßstab sein könnten. Dabei orientiert sich Brüssel stärker als bisher an den strengen Grenzwerten für Luftverschmutzung, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) setzt.

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Ein Beispiel: Bei Stickstoffdioxid gilt heute ein Grenzwert von 40 µg/m3 (Mikrogramm pro Kubikmeter Luft). Laut der neuen EU-Richtlinie soll dieser Jahres-Mittelwert auf 20 µg/m3 halbiert werden. Die WHO empfiehlt sogar 10 µg/m3. Es dürfte also künftig auch in NRW wieder vielerorts Überschreitungen von Grenzwerten geben.

Das NRW-Umweltministerium erinnert daran, dass der Trend hin zu saubererer Luft das Ergebnis einer „ambitionierten Umweltpolitik“ seit den 1980-er Jahren sei. Die Landespolitik warnt vor Schnellschüssen bei den Luftreinhalte-Vorschriften, denn die Europäische Union habe ja schon zu Jahresbeginn die Verschärfung der Grenzwerte beschlossen, um den Gesundheitsschutz zu stärken.

Umweltzonen in NRW

2008 wurde in Köln die erste Umweltzone in NRW eingerichtet. Nach und nach kamen weitere Städte dazu und die Einfahrverbote nach den Umweltplaketten wurden schrittweise verschärft. Gründe dafür waren die zum Teil massiven Überschreitungen der Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid. Die zusammenhängende und erweiterte Umweltzone Ruhr, „scharf gestellt“ im Jahr 2014, erstreckt sich über Bottrop, Castrop-Rauxel, Gelsenkirchen, Gladbeck, Herten, Recklinghausen, Bochum, Dortmund, Herne, Duisburg, Essen, Mülheim und Oberhausen.

Prognosen des Landesumweltamtes Lanuv zeigen, dass weitere Luftreinhalte-Maßnahmen notwendig werden könnten, um alle Ziele, die die EU vorschlägt, einzuhalten. Selbst die modernen E-Autos haben ein – allerdings relativ kleines – Feinstaub-Problem. Bei der Herstellung fallen diese Schadstoffe an, beim Reifenabrieb und beim Bremsen.

Die absehbar strengeren Vorschriften stellen die Behörden heute schon vor besondere technische Herausforderungen. Denn die üblichen Messgeräte sind nicht empfindlich genug für viele der neuen Grenzwerte. Man könnte auch sagen: Stand heute sind viele der strengen Vorgaben von morgen noch nicht messbar.

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