Berlin. Nach Lage der Dinge wird die Ampel eines ihrer zentralen Projekte nicht mehr vollenden. Das wäre eine Schlappe für die Grünen.
Es sollte das zentrale familienpolitische Projekt der Bundesregierung werden. Von einem „Paradigmenwechsel“ war die Rede und von einer der wichtigsten Reformen seit vielen Jahren. Mit der Kindergrundsicherung wollte die Berliner Ampelkoalition Millionen Kinder aus der Armut holen. Die Idee: Durch das Bündeln bereits existierender Leistungen und den Abbau bürokratischer Hürden sollten Familien mit Kindern schneller an die staatlichen Hilfen kommen, die ihnen zustehen.
Doch schon bevor das Kabinett von Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch den Haushaltsentwurf für 2025 auf den Weg brachte, war klar: Der erhoffte große Wurf bleibt aus. Die Ampel dampft die ursprünglichen Pläne für die Kindergrundsicherung gehörig ein. Bis zum Ende der Wahlperiode wird das Projekt allenfalls in Ansätzen umgesetzt sein. Zu einer spürbaren Besserstellung von Bedürftigen wird es nicht kommen, dafür fehlt schlicht das Geld und in einem Teil der Koalition auch der politische Wille.
Dabei bringt der Haushaltsentwurf durchaus mehr Geld für Eltern und Kinder: Das Kindergeld soll zum Jahreswechsel um fünf Euro steigen, ebenso der Kindersofortzuschlag, den Familien mit besonders kleinen Einkommen seit 2022 bekommen (und der nicht zu verwechseln ist mit dem Kinderzuschlag, auch der eine Leistung für Familien mit wenig Geld). Auch der steuerliche Kinderfreibetrag soll zum neuen Jahr steigen. Rund drei Milliarden Euro sind dafür zusätzlich im Haushalt eingeplant, 1,1 Milliarden allein deshalb, weil inzwischen mehr Familien von ihren Ansprüchen wissen und das zur Verfügung stehende Geld auch abrufen.
Ampel-Koalition: Die Grünen üben sich in Optimismus
Der grüne Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck sieht darin eine Verbesserung: „Wichtig ist doch, dass die Versorgung sichergestellt wird, also dass das Wasser in der Vase ist“, sagte Habeck kürzlich im Hinblick auf die offizielle Einführung der Kindergrundsicherung. „Welche Farbe die Vase hat, ist mir an dieser Stelle egal.“
Fragt man in der grünen Bundestagsfraktion nach, sei all das nur der erste Schritt. „Das Geld ist gesichert, jetzt geht‘s um die künftige Struktur“, sagt Andreas Audretsch, stellvertretender Fraktionschef und Haushälter der Fraktion. Die Grünen hätten, mit Unterstützung von Familienministerin Lisa Paus, einen Vorschlag für eine Einführung der Kindergrundsicherung in zwei Stufen vorgeschlagen, sagt Audretsch. Die Einzelheiten würden derzeit im Bundestag verhandelt. „Wir werden die Kindergrundsicherung 2025 auf den Weg bringen“, sagt er.
Doch diese Einzelheiten haben es in sich. Kern der Idee von Familienministerin Paus war, dass der Staat eine „Bringschuld“ gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern hat und Eltern aktiv darüber informieren soll, welche Unterstützung vom Staat ihnen zusteht. Dafür soll der „Kindergrundsicherungscheck“ entstehen, bei dem Eltern einfach online prüfen können, was für sie in Frage kommt.
Laut Familienministerium soll der Check zunächst für alle Neugeborenen bereitstehen. Das wären etwa 700.000 Kinder im Jahr. Die Familien müssten zur Nutzung entweder ihr Einverständnis erklären oder sich aktiv anmelden, heißt es. Aber: „Sie müssen dafür kein Antragsformular ausfüllen.“ Aber wer welches Geld bekommt, hängt von vielen individuellen Einflussfaktoren ab – und längst nicht alle Daten, die dafür relevant sein können, hat der Staat überhaupt. Zudem gibt es bei der Frage nach Ansprüchen viele Schnittstellen zu anderen sozialen Unterstützungsleistungen, die beachtet werden müssen, etwa zum Bürgergeld.
Reform: FDP stemmt sich gegen „Ausweitung des Sozialstaats“
Ursprünglich war wegen der großen Komplexität des Projekts einmal von einer Behörde mit bis zu 5000 Stellen die Rede gewesen, die für die Umsetzung entstehen sollte. Von dieser Vorstellung ist die Koalition allerdings schon lange abgerückt.
Die Liberalen schließen darüber hinaus auch weitere Leistungsverbesserungen aus. „Eine Ausweitung des Sozialstaats über die Kindergrundsicherung wird es mit der FDP nicht geben“, sagte deren Fraktionschef Christian Dürr dieser Redaktion. „Das würde nur dazu führen, dass es für die Eltern weniger interessant ist zu arbeiten – und die Kinderarmut befördern.“
Sozialverbände verabschieden sich mit Bedauern vom Gedanken an eine Reform, die den Anfang vom Ende der Kinderarmut in Deutschland bedeuten sollte. „Man konnte sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen – viel ist darum nicht übriggeblieben“, sagt Michaela Engelmeier, Chefin des Sozialverbands Deutschland, dieser Redaktion. Der Verband begrüßt zwar die Erhöhungen des Kindergeldes und des Kindersofortzuschlages. „Leider werden damit allerdings viele Kinder, die in verdeckter Armut leben, nicht erreicht. Der Armutsschatten wirft sich auch auf ihre Bildungs- und Erwerbsbiografien.“
Die zusätzlichen Leistungen für Familien machen drei Milliarden Euro aus von insgesamt 481 Milliarden Euro, die die Bundesregierung im kommenden Jahr für den Haushalt eingeplant hat. 44 Milliarden Euro davon sind neue Schulden. Die Regeln der Schuldenbremse sollen aber eingehalten werden. Das war Finanzminister und FDP-Chef Lindner wichtig.
Kanzler Scholz, Vizekanzler Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatten lange um den Haushalt gerungen. Die Gespräche der Ampel-Spitzen waren so kompliziert, dass selbst ein Scheitern der Koalition möglich erschien.
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