Berlin. In Wannsee hat ein konfessionsloser Friedhof den Nationalsozialismus – in Sichtweite von Goebbels – überlebt. Auch dank eines Zufalls.
Man kann es leicht übersehen, es ragt kaum über die Friedhofsmauer hinüber. Aber bei genauerem Hinschauen entdeckt man eine kleine Sensation. Im Schnittpunkt dieses christlichen Kreuzes ist ein Davidstern eingelassen – ein jüdisches Symbol. Man weiß nicht genau, seit wann dieses Zeichen für das friedliche Zusammenleben von Christen und Juden auf der Mauer des Friedhofs im Berliner Stadtteil Wannsee steht. Es hat aber zweifellos mit der Gründungsgeschichte des Friedhofs zu tun.
Der Friedhof wurde Ende des 19. Jahrhunderts für die Bewohner der neuen Villenkolonie Alsen geschaffen. Bankier Wilhelm Conrad, einer der reichsten Männer seiner Zeit, hatte die höchst exklusive Wohnanlage für Seinesgleichen gegründet. Man kannte sich aus dem „Club von Berlin“ – einem elitären Verein von Industriellen, Bankiers und Politikern, aber auch von Künstlern und Wissenschaftlern. Viele von ihnen waren der stetig wachsenden, immer unruhigeren Metropole überdrüssig.
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Sie ließen sich rund um den romantisch in den Grunewald eingebetteten See herrschaftliche Villen mit eleganten Gärten bauen. Doch wo gelebt wird, wird auch gestorben – und so erwarb Conrad ein Grundstück auf einer Anhöhe über dem See und ließ dort einen Friedhof anlegen. Dort finden sich die kunstvoll gestalteten Gräber zahlreicher Prominenter, darunter der berühmte Chirurg Ferdinand Sauerbruch, der Naturwissenschaftler Hermann von Helmholtz oder der Unternehmer Arnold von Siemens. Auch Angehörige des Malers Max Liebermann sind hier bestattet.
Promi-Friedhof geriet ins Visier der Nationalsozialisten
Weil aber zu den Bewohnern der Kolonie Alsen auch prominente Juden wie die Liebermans gehörten, sollte der Friedhof entgegen den damaligen Regeln nicht konfessionell gebunden sein. Einer der jüdischen Villenbesitzer, der Unternehmer und Kunstmäzen Oscar Huldschinsky, stellte 1902 beim zuständigen Landrat in Teltow den Antrag, „den neuen Begräbnisplatz in Wannsee auch für Juden freizugeben“. Die Antwort brauchte ein paar Monate, war aber eindeutig.
Gegen den Antrag könnten „unsererseits Bedenken nicht erhoben werden, da der Kirchhof ein kommunaler Begräbnisplatz ist, in gleicher Weise also Juden wie Christen zu dienen hat“, stellte der Landrat fest. Das war insofern bedeutsam, als zu jener Zeit der Antisemitismus auch in den sogenannten besten bürgerlichen Kreisen des Kaiserreichs durchaus verbreitet war. Die Friedhofsanlage wurde von dem ebenfalls am Wannsee lebenden, bedeutenden Architekten Johannes Otzen entworfen, dem späteren Präsidenten der Akademie der Künste.
Ob auf ihn die kleine Figur auf der Friedhofsmauer – dieses feine Mahnmal gegen den Antisemitismus – zurückgeht, ist unbekannt. Und auch, wies es während der Herrschaft der Nationalsozialisten unberührt bleiben konnte. Dabei hatten deren Behörden den Friedhof durchaus im Blick, wie ein Schreiben des Oberbürgermeisters von Berlin an den für Wannsee zuständigen Bezirksbürgermeister 1938 zeigt: „Mir ist die Frage vorgelegt worden, ob und in welchem Umfange die Grabpflege von Ruhestätten nichtarischer Personen (…) auf die Dauer der Ruhefrist übernommen werden kann.“
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Der Oberbürgermeister legte sich fest: Die Friedhofsverwaltung dürfe zwar die Blumen auf den Gräbern gießen und sie reinigen, ihre Neubepflanzung und jedweder Grabschmuck seien aber abzulehnen. Wenige Monate später, nach der Reichspogromnacht vom 9. November, wäre die Antwort vermutlich drastischer ausgefallen.
Nazis besiedelten Wannsee, doch das kleine Kunstwerk blieb
In den folgenden Jahren besiedelten die Nationalsozialisten den Villenvorort Wannsee systematisch mit hohen Funktionären. Weil dort viele Vertreter der von den Nazis verhassten Eliten der Weimarer Republik gewohnt hatten, übte der Ort eine sinistre Anziehungskraft auf die neuen Machthaber aus. Zahlreiche Dienststellen entstanden dort – das als „Wannseevilla“ bekanntgewordene Gästehaus der SS zum Beispiel, in dem 1942 die Konferenz zur „Endlösung der Judenfrage“ stattfand, aber auch die Reichsluftschutzschule, das geheime Ostforschungsinstitut oder die Radio-Abhörstation „Sonderdienst Seehaus“.
Zahlreiche der ursprünglich von Juden bewohnten Villen gelangten nach deren Vertreibung in die Hände von Anhängern der NSDAP. Propagandaminister Joseph Goebbels lebte auf der Wannseeinsel Schwanenwerder. Umso erstaunlicher ist, dass offenbar keinem dieser zahlreichen nun in Wannsee beschäftigten oder wohnenden Nationalsozialisten das kleine Kunstwerk auf der Friedhofsmauer als das aufgefallen ist – ein kleines Denkmal, aber doch mit so großer Symbolkraft.
Stattdessen stehen Kreuz und Davidstern noch heute für die Idee von Toleranz gegenüber Andersdenkenden sowie für das friedliche Zusammenleben der Religionen und Kulturen. Ein Symbol, das angesichts des heute in vielen Bereichen wieder aufbrechenden neuen Antisemitismus von ungeahnter Aktualität ist: Nur wenige hundert Meter Luftlinie vom Haus der Wannseekonferenz entfernt, das für die dunkelste Zeit in der Geschichte dieses Ortes steht, ist es ein Zeichen der Hoffnung.
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