Washington. Kritiker des Ex-Präsidenten fürchten eine fast „feudale Machtfülle” für Trump – und appellieren an Wähler, das Ärgste zu verhindern
Nach dem historischen Donald-Trump-Urteil des Obersten Gerichtshofes in Washington wächst in Amerika die Angst vor einem „Todesstoß” für die Demokratie und vor einer fast „feudalen Machtfülle” künftiger Präsidenten – von denen der nächste wieder Trump heißen könnte. Sonya Sotomayor, eine von drei liberalen Richterinnen, die den in US-Medien teilweise als „Persilschein für Trump” bezeichneten Entscheid der sechs konservativen Top-Juristen ablehnte, schrieb in ihrer vernichtend formulierten Minderheits-Meinung, dass der Präsident künftig ein „König über dem Gesetz ist”.
Ihren Kollegen warf sie vor, für Trump auf „nicht zu rechtfertigende” Weise eine strafrechtliche Immunität geradezu „erfunden” zu haben. Mit Kopfschütteln reagierte auch Joe Biden auf das Urteil, das US-Präsidenten de facto einen Freifahrtschein ausstelle. Bei einem Aufritt im Weißen Haus sagte der 81-Jährige: „Es gibt keine Grenzen mehr für das, was ein Präsident tun kann“.
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Biden, derzeit wegen eines vermasselten TV-Auftritts in schwerer Bedrängnis, deutete an, dass er und die Demokraten das Urteil als scharfe Wahlkampf-Munition einsetzen werden. Hintergrund: Trump hatte für den Fall seiner Wiederwahl angekündigt, mit Hilfe eines politisierten Justizministeriums in dikatorischer Manier unter anderem gegen Andersdenkende, illegale Einwanderer und Staatsbedienstete vorzugehen. Durch das Supreme Court-Urteil, so demokratische Abgeordnete, „würde sich Trump zusätzlich angespornt fühlen, den Autokraten zu geben.“
Donald Trump: Urteil macht „Monarchen-ähnliche” Zugeständnisse
Unterdessen geht die Empörung links der politischen Mitte über die Untiefen des in der amerikanischen Geschichte beispiellosen Vorgangs weiter. Beispiel: Der für die Mehrheitsmeinung zuständige Vorsitzende Richter John Roberts stellte fest, dass Trump für sein detailliert dokumentiertes Bedrängen des damaligen Vize-Präsidenten Mike Pence, den Wahlsieg Joe Bidens am 6. Januar 2021 nicht zu beurkunden, nicht belangt werden könne. Sein Agieren falle in die Kategorie „offizielles Regierungshandeln”.
Das gleiche gelte für Trumps wiederholt ausgeübten massiven Druck auf die damalige Spitze im Justizministerium, alles zu unternehmen, um Bidens Wahlsieg abzuerkennen. Obwohl ihm hochrangige Vertreter des DOJ mehrfach signalisierten, es gebe keinerlei Anzeichen von Wahlbetrug, piesackte Trump laut Gerichsakten die Spitzenvertreter über viele Wochen, sie sollten Ermittlungen gegen Biden und die Demokraten aufnehmen.
Etliche US-Kommentatoren merken geradezu erschüttert an, dass der Supreme Court in Fach-Chinesisch verpackt im Kern legalisiert habe, dass ein Präsident, der nach einer Wahlniederlage partout nicht weichen will, sondern diese mit Verfahrenstricks zu revidieren versucht, nicht strafgerichtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Berechtigt sei darum die Frage, wie man Trump belangen könnte, falls er sich nach einem Wahlsieges im November dem regulären Abdanken 2028 verweigern und dafür einen „offiziellen” Vorwand geltend machen würde. Ruth Marcus von der „Washington Post“: „Gott schütze uns vor diesem unehrenhaften Gericht.“
Trump fordert Einstellung sämtlicher gegen ihn laufenden Verfahren
Jedweder Akt eines Präsidenten könne nun nachträglich mit dem Label „offiziell” beklebt und somit strafverfolgungsfrei gestellt werden, warnte der frühere Richter Neal Katyal. Er sieht das über 200 Jahre austarierte Gefüge der Gewaltenteilung akut bedroht. Als erstes Anzeichen wird die Tatsache gewertet, dass Trump die am 11. Juli anstehende Entscheidung über das Strafmaß im New Yorker Schweigegeld-Prozess um einen Porno-Star seit gestern aktiv torpediert. Seine Anwälte fordern im Lichte des Urteils aus Washington eine Verschiebung. Trump ist hier bereits einstimmig wegen Betruges verurteilt worden.
Der renommierte Verfassungsrechtler Lawrence Tribe machte darauf aufmerksam, dass Donald Trump womöglich niemals wegen des Sturms auf Kapitol in Washington zur Rechenschaft gezogen wird. Wenn Bundesrichterin Tanya Chutkan demnächst vor der Aufgabe steht, offizielle Amtshandlungen Trumps vor und während des Umsturzversuchs (nicht strafverfolgungsfähig) von privaten Aktionen (strafverfolgungsfähig) zu trennen, könnten Trumps Anwälte gegen diesen Befund Berufung einlegen. Was wiederum – zeitverzögernd – vor dem Supreme Court landen würde. Eine Sankt Nimmerleins-Spirale.
Donald Trumps Nichte Mary, eine seiner schärfsten Kritikerinnen, wandelte einen Leitsatz von Sonya Sotomayor ab, die geschrieben hatte: „Aus Angst um unsere Demokratie, ich widerspreche.” Mit Blick auf den 5. November schrieb sie: „Aus Angst um unsere Demokratie, ich wähle.” Dagegen zeigten sich etliche Republikaner außerordentlich zufrieden mit dem Urteil: „Das ist ein guter Tag für Präsident Trump und für Amerika”, erklärte stellvertretend der konservative Senator Lindsey Graham. Trump selber sprach von einem „großen Sieg” und forderte die Einstellung sämtlicher gegen ihn laufenden Verfahren.
Bei den Demokraten setzte nach dem Urteil eine Mischung aus Fatalismus und Hoffnung ein. „Nun ist klar, dass am 5. November allein das amerikanische Volks darüber entscheidet, ob Donald Trump zur Verantwortung gezogen wird oder nicht”, sagte ein Abgeordneter aus Maryland.
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