Washington/Atlanta. Joe Biden und Donald Trump überziehen sich im TV-Duell mit Schmähungen. Trotz klarer Regeln wurde ein Ziel deutlich verfehlt.
Als Joe Biden und Donald Trump am Donnerstagabend die CNN-Zentrale in Atlanta betraten, prallten zwei noch weiter als vor vier Jahren entfernte und einander offenkundig verhasste Gegner aufeinander: hier ein mit dauer-heiserer Stimme anfällig wirkender Staatssenior, der mit 81 Jahren ein zweites Mal die Seele Amerikas retten will – vor Trump. Dort ein auf Krawall und Attacke gebürsteter Populist, der mit 78 Jahren erneut ins Weiße Haus will, um sich für die Niederlage von vor vier Jahren zu rächen.
Der auf 90 Minuten begrenzte Schlagabtausch, moderiert von den CNN-Journalisten Jake Tapper und Dana Bash, geriet über weite Strecken zu einer rückwärtsgewandeten Schlammschlacht, in der alte Zwistigkeiten dominierten und in der Trump den entschieden robusteren Eindruck vermittelte.
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Biden hat Probleme, die Attacken von Trump zu kontern
Beide Kandidaten für die Wahl im November überzogen sich fortlaufend mit ehrabschneidenden Attacken und warfen sich wechselseitig vor, die schlechtesten Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten zu sein bzw. gewesen zu sein. „Ich habe noch nie jemanden so lügen sehen wie diesen Kerl”, sagte Trump über Biden und setzte hinzu: „Alles, was er tut, ist eine Lüge.” Biden äußerte sich nahezu wortgleich. Er nannte Trump einen „Jammerlappen”. „Jedes Detail, das er nennt, ist eine Lüge.” „Ich habe noch nie so viel Quatsch und Dummheit in meinem ganzen Leben gehört”, waren mehrfach benutzte Formulierungen des 46. US-Präsidenten, der von Beginn an massive Probleme hatte, die pausenlosen Pauschalangriffe Trumps auf geeignete Weise zu kontern. „Er wirkte fast durchgängig wie ein geprügelter Hund”, sagte ein US-Kommentator.
Trump deckte Biden auf allen Politikfeldern – von Wirtschaft über Einwanderung und Abtreibung bis zu außenpolitischen Konflikten – erneut mit vernichtender Kritik ein, die teilweise schon seit Jahren als unberechtigt entlarvt ist. Niemand auf der Welt respektiere Amerika noch. Das Land ähnele einer Dritte-Welt-Nation. Wirtschaftlich herausragende Vorarbeiten, die Trump bis 2020 geleistet haben will, seien durch Biden mutwillig zerstört worden, weil er und seine Regierungsmannschaft zu „dumm” seien. Der Angegriffene schüttelte mehrfach den Kopf, sagte leise „Das stimmt einfach nicht” und versuchte mit Zahlen und Fakten den Gegenbeweis anzutreten.
Schlagabtausch wird zwischenzeitlich schmutzig
Unvorteilhaft für den Amtsinhaber wirkte sich dabei aus, dass Biden oft sehr fahrig und hastig redete. Er verhaspelte sich oft. Seine Stimme war durchweg heiser, geriatrisch; angeblich wegen einer Erkältung, wie das Weiße Haus erklärte. Oft sah der frühere Senator und Vizepräsident mit offen stehendem Mund zu, wie sein Kontrahent gegen ihn vom Leder zog. Biden wirkte manchmal entgeistert und schien mitunter den Faden verloren zu haben.
Der Schlagabtausch wurde zwischenzeitlich schmutzig und unter die Gürtellinie zielend. Etwa als Biden Trumps Sex mit einem Pornostar aufbrachte und ihn als „verurteilten Straftäter” bezeichnete. Trump bestritt die außereheliche Eskapade und konterte mit einem wütenden Seitenhieb auf Bidens Sohn Hunter, der gerade wegen eines Waffendeliktes verurteilt wurde. Er warf dem Amtsinhaber vor, selbst ein „Krimineller“ zu sein, der von China bezahlt werde und nach seinem Ausscheiden verurteilt werden könnte. Biden, so Donald Trump, lasse ihn juristisch verfolgen, weil er im November auf faire Weise nicht gewinnen könne. Dieser keilte zurück, dass er die Moral einer „Straßenkatze” besitze.
„Ziel total verfehlt”
Demokratische Parteigänger zeigten sich in ersten Stellungnahmen extrem alarmiert über den Auftritt. „Dem Eindruck, dass Joe zu alt ist für eine zweite Amtszeit, musste heute entgegengewirkt werden. Das hat überhaupt nicht funktioniert. Trumps Auftritt – Inhalt und Wahrhaftigkeit mal beiseite – hatte mehr Power“, sagt ein Abgeordneter aus Maryland dieser Zeitung. Der frühere Chefberater des demokratischen Präsidenten Barack Obama, David Axelrod, prophezeite sogar, dass es nun parteiintern „Diskussionen geben wird, ob Biden weitermachen wird”. Damit bekämen unbestätigte Gerüchte Auftrieb, die besagen, dass Joe Biden vor oder auf dem Nominierungsparteitag in Chicago im August zur Aufgabe gedrängt werden könnte.
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Nach der Schreiorgie bei der ersten TV-Debatte vor vier Jahren zwischen den beiden Antipoden sollte diesmal der Einsatz der Stummschalttaste an den Mikrofonen für eine inhaltsstärkere und zivilisierte Diskussion sorgen. Überwiegender Eindruck von US-Analysten: „Ziel total verfehlt.”
Als Hauptgrund dafür wurde die Tatsache ausgemacht, dass die CNN-Moderatoren auf jede Art von Faktencheck verzichteten. Trump konnte so unwidersprochen etwa behaupten, dass Biden Russlands Präsident Wladimir Putin zum Überfall auf die Ukraine ermutigt habe und unter ihm, Trump, der Krieg in Israel/Gaza nie ausgebrochen wäre.
Dutzende Lügen und Halbwahrheiten
Trump durfte auch ohne jeden Beleg in die Welt setzen, dass die illegale Einwanderung an der Grenze zu Mexiko zu einer beispiellosen Verbrechenswelle geführt habe: „Sie töten unsere Bürger”, behauptet er. Obwohl Statistiken belegen, dass Asylsuchende weniger kriminell sind als Normalamerikaner. Auch Trumps Aussage, dass „alle Gelehrten” und politischen Entscheider mit der Abschaffung des über 50 Jahre landesweit gültig gewesenen Rechts auf Abtreibung zufrieden seien, seit die Verantwortung dafür durch eine Entscheidung des Obersten Gerichts an die 50 Bundesstaaten gegangen ist, blieb unkorrigiert.
Tatsache ist, dass in Umfragen bis heute zwei Drittel der Amerikaner das Ende von „Roe versus Wade” als falsch beklagen. US-Medien sprachen in Blitzanalysen von „Dutzenden Lügen und Halbwahrheiten”, von denen Trump einige bereits in seinem ersten Wahlkampf 2016 gegen Hillary Clinton vom Stapel gelassen habe.
Unmittelbar nach der Debatte erklärte die Kampagnenleitung Trumps den nur drei Jahre jüngeren Geschäftsmann zum eindeutigen Sieger der Debatte. In E-Mails, Tweets, Videohäppchen bombardierte das Trump-Camp seine Anhänger in Bettelbriefen um Spenden.