Berlin. Die AfD steht vor einem internen Machtkampf – aus dem Alice Weidel als Siegerin hervorgehen dürfte. Wieder einmal. Wie macht sie das?

Alice Weidel ist im Kampfmodus. Sie beugt sich vor, legt die Arme auf den Tisch und ihre Stimme bekommt einen schneidenden Unterton. Die Parteichefin sagt, der Verfassungsschutz werde „missbraucht, um die AfD als konservativ-freiheitliche Kraft zu diskreditieren“. Und dann setzt sie nach: „Sodass jeder sich wie ein kleiner Stauffenberg fühlt, der uns dann den Koffer unter den Tisch stellt.“ Die AfD werde als Hitler dämonisiert, und sei Anschlägen von der linken Öffentlichkeit ausgesetzt.

Das ist die Erzählung von Alice Weidel in diesen Tagen. Sie spricht davon in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen kurz nach der Europawahl. Weidel trägt eine Perlenkette, hinter ihr im Regal stapeln sich Zeitschriften, alles soll seriös wirken. Sie teilt gegen linke Parteien aus, wettert gegen Migranten und deutet an, dass sie Kanzlerkandidatin der AfD werden will. Dann ist das Interview vorbei. Dass ihre Partei sich gerade intern zerlegt? Kein Thema.

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Dass der Europawahlkampf im Chaos versank und dem eigenen Spitzenkandidaten eine Art Auftrittsverbot erteilt wurde? Nicht so wichtig. Dass russische Strippenzieher wohl versuchten, Einfluss auf die AfD zu nehmen? Kein Wort von Weidel auch dazu. In dem Gespräch zeigt sich ihr Politikstil wie unter einem Brennglas. Die Botschaft der 45-Jährigen lautet stets: Ich habe die Lage im Griff. Mit mir am Steuer segelt die AfD als Flaggschiff der Opposition in Deutschland. Und interne Probleme, die gibt es praktisch nicht.

EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah verharmloste die SS

Dabei spitzt sich vor dem Parteitag am Wochenende die Lage intern zu. Der nächste Kampf um die Spitze steht bevor. Der Skandal um den EU-Spitzenkandidaten Maximilian Krah, der die SS verharmloste und dessen Mitarbeiter für China spioniert haben soll, erschüttert die Partei immer noch. Weidels Co-Chef Tino Chrupalla machte Stimmung gegen Krah und wackelt nun, weil Krahs Leute ihn attackieren. Chrupalla gilt als angeschlagen, es ist unsicher, ob er den anstehenden Parteitag politisch überlebt. 

Alice Weidel und der Co-Vorsitzende der AfD, Tino Chrupalla, kämpfen um die Macht in der Partei.
Alice Weidel und der Co-Vorsitzende der AfD, Tino Chrupalla, kämpfen um die Macht in der Partei. © DPA Images | Kay Nietfeld

Das Kraftzentrum in der AfD verschiebt sich – und Alice Weidel ist einflussreicher als je zuvor. Sie könnte die Partei künftig allein führen. Wie kann das sein? Warum ist diese Frau an der Spitze der rechtspopulistischen Männerpartei so erfolgreich – zumal sie in einer lesbischen Beziehung lebt und damit für ein Lebensmodell steht, das viele in ihrer Partei missbilligen? Und kann ihr überhaupt noch jemand gefährlich werden?

Wer Antworten auf diese Fragen sucht, betritt eine Welt voller Seilschaften und Abgründe. Manche im politischen Berlin lästern, Weidel könne sich nur halten, weil sie das intellektuelle Aushängeschild einer rechtspopulistischen Partei der Plattitüden sei. In Wahrheit ist sie wahrscheinlich die klügste rechte Populistin im deutschsprachigen Raum. Sie regiere, schildern Beobachter, unerbittlich die Partei, laut werde es dabei fast nie. Wie eine Eisenfaust im Samthandschuh.

Alice Weidel beherrscht die Machtstruktur der Partei genau

Um ihre jetzige Machtposition zu verstehen, muss man Weidels Werdegang betrachten. Weidel wuchs bei Gütersloh auf, sie hat zwei Geschwister. Zum Studium, BWL und VWL, ging sie nach Bayreuth. Immer war sie eine der Jahrgangsbesten. Dann machte sie Karriere als Bankerin und Unternehmensberaterin. Wegbegleiter beschreiben Weidel als machtbewusst. Sie bahnte sich einen Weg an die Spitze, wo sie auch war. 

Sie sei zwar mit einer Frau verheiratet, aber nicht „queer“, sagt Weidel. Sie wohne zwar in der Schweiz, aber würde sich trotzdem für Deutschland einsetzen. Weidel versucht, ihre persönliche Biografie aus ihrer Politik herauszuhalten. Gerade weil ihr Lebensstil nicht zum AfD-Weltbild passt, in dem Frauen ihren Mann zu Hause bekochen. Darauf angesprochen argumentiert sie gern, es gehe doch um ihre politischen Ansichten – nicht darum, wie sie selbst lebe. Bislang gelingt ihr dieser Spagat. Auch weil sie die Machtarithmetik der Partei besser beherrscht als die meisten anderen, die in der AfD etwas werden wollen.

Weidels Weg an die Spitze begann im Oktober 2013, als sie in die AfD eintrat und zunächst die Lage beobachtete. Die von Professoren als Anti-Euro-Partei gegründete „Alternative für Deutschland“ wurde schnell ein Sammelbecken der Rechten. Verschiedene Vorsitzende kamen nacheinander an die Macht. Von Bernd Lucke wechselte der Posten zu Frauke Petry und dann weiter zu Jörg Meuthen. Die AfD rückte bei jedem Wechsel weiter nach rechts. Aus Patriotismus wurden völkische Umsturzfantasien, aus Kritik an der Migrationspolitik offener Fremdenhass. 

Weidel: Ein Satz zu politischer Korrektheit begleitet sie bis heute

Alice Weidel schaut sich damals den Kampf um die Spitze und die Verwandlung ihrer Partei genau an. Sie merkt schnell: Die Radikalen werden immer einflussreicher. Wer sie zum Gegner hat, hält sich nicht lange. Weidel redet mit Vertretern aller Strömungen in der Partei, auch mit den ganz Rechten, und schmiedet einen Plan, um selbst an die Macht zu kommen. Und sie findet Unterstützer dafür.

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Im Jahr 2017 folgte ihr erster großer Sprung: Sie wurde Bundestagsspitzenkandidatin, in einem Team mit Alexander Gauland. Die Grundlage dafür bildete ein Satz. Er fiel in Weidels Rede bei einem damaligen Parteitag. Und er lautete: „Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte.“ Jubel im Saal, das wollten die Delegierten hören. Weidel zeigte damit, wo sie steht – und zwar nicht im Lager der Gemäßigten. Im Zweifel rechts, das war die neue Leitlinie.

Weidel übernahm den Vorsitz der Bundestagsfraktion, den sie bis heute innehat. Der Pakt mit Alexander Gauland ist der erste, den Weidel einging, um an die Macht zu kommen – in einer Zeit, in der Gauland den etablierten Parteien „Wir werden sie jagen!“ entgegenschleuderte. Weidel selbst sagte so etwas nicht. Noch nicht. 

Mit Höcke soll Weidel einen Nichtangriffspakt geschlossen haben

Im Juni 2022 beim Bundesparteitag der AfD in Riesa wird sie zur Parteichefin gewählt. Sie beherrscht jetzt nicht nur die Bundestagsfraktion sondern auch die Partei. Gemeinsam mit Tino Chrupalla, wieder ist es ein Spitzenduo. Es soll eine Art Rollenaufteilung in der Partei geben: der bodenständigene Malermeister aus Sachsen, Chrupalla, und gleichzeitig die Intellektuelle, Weidel, aus Baden-Württemberg. Eine Weile scheint das gut zu funktionieren. Dann überwirft sich Chrupalla zunehmend mit einzelnen Gruppen in der AfD. Und Weidels Netzwerk ist mittlerweile stark genug, um sie allein an der Spitze zu halten. 

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Doch da ist noch Björn Höcke, der thüringische AfD-Chef. Noch im Februar 2017 unterstützte Weidel ein Ausschlussverfahren des damaligen Bundesvorstands gegen ihn. Es knallte hinter den Kulissen – und Weidel lenkte ein: Im September 2019 besuchte sie die „Sommerakademie“ des rechten sogenannten Instituts für Staatspolitik von Götz Kubitschek, einem Höcke-Vertrauten. Und dann, im April 2023, stand Weidel beim Wahlkampf Arm in Arm neben Höcke in Erfurt. Insider beschreiben das als Nichtangriffspakt.

Die Zeit von Weidel als Kraftzentrum der AfD könnte begrenzt sein. Höcke selbst hat nie offiziell kandidiert, nur seine Vertrauten immer für Bundesspitzenpositionen antreten lassen. Er hat ein noch besseres Netzwerk als Weidel. Und er schließt keinen Pakt mit den Radikalen in der Partei – er treibt sie selbst an. Höcke hat aber bekannt gegeben, bei diesem Parteitag nicht für die Spitze kandidieren zu wollen. Die Zeit sei noch nicht reif, sagen seine Unterstützer. Doch sie glauben: Lange dauert es nicht mehr. 

NameAlice Elisabeth Weidel
Geburtsdatum6. Februar 1979
AmtAfD-Bundesvorsitzende
ParteiAlternative für Deutschland (AfD)
Parteimitglied seit2013
Familienstandeingetragene Lebenspartnerschaft, zwei Kinder
WohnortÜberlingen, Einsiedeln (Schweiz)