Berlin. Erstmals dürfen 16- und 17-Jährige bei der Europawahl mitmachen. Damit ist die Zahl der Erstwähler hoch wie nie. Das sind die Folgen.
Diesmal dürfen sie: Mehr als eine Million 16- und 17-Jährige sind aufgerufen, sich an der Europawahl am kommenden Sonntag zu beteiligen. Damit steigt die Zahl der Erstwähler auf 4,8 Millionen Menschen. Doch sind die Jugendlichen überhaupt vorbereitet auf die Wahlberechtigung? Und ist das ein Vorbild für die Bundestagswahl? Fragen und Antworten zum Thema.
Seit wann dürfen schon Jugendliche bei der Europawahl wählen?
Wie alt die Wählerinnen und Wähler mindestens sein müssen, ist Angelegenheit des nationalen Wahlrechts. Für Deutschland hat der Bundestag im November 2022 entschieden, das Wahlalter von 18 auf 16 Jahre abzusenken. Auch Belgien, Österreich, Griechenland und Malta haben 16- und 17-Jährigen erstmals das Wahlrecht eingeräumt. Durch die Absenkung des Wahlalters liegt der Anteil der Erstwählerinnen und Erstwähler in Deutschland bei etwa 13 Prozent. Insgesamt sind 350 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union aufgerufen, das Europaparlament zu wählen. Auf Deutschland entfallen 66 Millionen Wähler.
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Sind die Jugendlichen genügend auf ihr Wahlrecht vorbereitet?
„Alle Jugendlichen werden durch die Schule im Rahmen des Politik- und Geschichtsunterrichts vorbereitet“, sagte Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, unserer Redaktion. Aber ein großer Teil interessiere sich eben auch „nicht die Bohne“ für Politik. Die Bundesschülerkonferenz kritisiert, im Politikunterricht werde auf die anstehende Wahl zu wenig direkt Bezug genommen. „Zusätzlich finden wir, dass Materialien verwendet werden müssen, die besonders jugendfreundlich sind, wie beispielsweise der WahlOmat“, sagte Louisa Basner, Generalsekretärin der Schülervertretung.
Ist die Absenkung des Wahlalters geeignet, politisches Interesse zu wecken?
Lehrerpräsident Stefan Düll bezweifelt das und bezieht sich auf die große Gruppe der Nichtwähler bei der Europawahl bei Erwachsenen. Sie lag 2014 bei über 50 Prozent und 2019 bei knapp 40 Prozent. „Wenn schon bei älteren Wahlberechtigten das Interesse nicht besonders groß ist, warum sollte es bei Jugendlichen anders sein?“ Die Eurobarometer-Umfrage des EU-Parlaments bescheinigt Jugendlichen allerdings ein großes Interesse an der Wahl: Demnach erklärten 91 Prozent der 15-24-Jährigen, die Teilnahme an der Europawahl sei ihnen sehr wichtig oder wichtig. Und laut Bertelsmann-Studie „Junges Europa“ im Auftrag der Tui-Stiftung, die am heutigen Mittwoch vorgestellt wird, die Mitgliedschaft ihres Landes in der EU „eine gute Sache“. Für die Studie wurden 6000 Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland und Polen befragt. Dementsprechend rechnet der Politologe und Wahlforscher an der Berliner Freien Universität, Thorsten Faas, mit einer regen Beteiligung der Jungwähler.
Für welche politischen Inhalte interessieren sich Jugendliche?
Die Migration hat die Klimakrise als drängendstes Problem junger Menschen abgelöst, heißt es in der Studie „Junges Europa“. Auch die Studie „Jugend in Deutschland“ stellt ein gesunkenes Interesse an der Klimakrise fest sowie einer gestiegenen Sorge vor der Zuwanderung. Außerdem interessieren sich die jugen Menschen für die gestiegenen Wohnkosten und den Krieg in Europa.
Welche politischen Parteien bevorzugen junge Wählerinnen und Wähler?
Die Sorge vor der Zuwanderung hat Folgen. So hat sich laut Jugendforscher Simon Schnetzer das Potenzial für rechtspopulistische Einstellungen klar verschärft. 41 Prozent der Generation Z fürchte sich vor einer weiteren Zunahme der Zuwandererzahlen. „Dieser Wert hat sich gegenüber 2022 verdoppelt“, so Schnetzer. Die Gruppe der Unentschlossenen ist allerdings am größten: Jeder Vierte kann sich noch nicht auf eine Partei festlegen, 14,5 Prozent würden AfD wählen, gefolgt von CDU/CSU mit 13 Prozent und den Grünen mit 11,7 Prozent, die SPD bleibt unter acht Prozent.
Ist damit zu rechnen, dass auch bei Bundestags- und Landtagswahlen das Wahlalter gesenkt wird?
Das ist sehr umstritten. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sprach sich erst am vergangenen Wochenende für eine Absenkung des Wahlalters auch auf Bundesebene aus. Zuvor hatte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) gegenüber unserer Redaktion erklärt, es tue der Demokratie gut, wenn bei der Europawahl 16-Jährige wählen dürfen. „Wir sollten mit der Bundestagswahl und den Landtagswahlen nachziehen.“ CDU und FDP sprechen sich dafür aus, wie bisher das Wahlalter an die Volljährigkeit anzuknüpfen. Dem schließt sich auch Lehrerpräsident Düll an: „Die Bereitschaft, wählen zu gehen, wird nicht automatisch durch die Wahlberechtigung gefördert“.
Und die Jugendlichen selbst – wollen sie überhaupt schon wählen?
Sie sind ebenfalls gespalten. 56 Prozent sind laut Studie „Junges Europa“ für eine Absenkung des Wahlalters. Die Bundesjugendkonferenz aber, bei der sich am vergangenen Wochenende 200 junge Menschen aus ganz Deutschland versammelten, endete mit einem klaren Auftrag an die Bundesregierung: Sie solle ein Gesetz für mehr Teilhabe jüngerer Menschen auf den Weg bringen. Auch Verbände machen Druck: Schülersprecherin Louisa Basner ist überzeugt, dass die Absenkung des Wahlalters das politische Interesse fördere: „Sie erleben somit direkten Einfluss und Teilhabe auf die Demokratie.“ Schärfer formuliert es Sarah Dehn von der Jugendorganisation des Sozialverbandes Deutschland. Sie sagte der dpa: „Wir haben es satt, dass die Weichen für unsere Zukunft von Menschen gestellt werden, die davon kaum oder gar nicht mehr betroffen sein werden.“
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