Berlin. Nach pro-palästinensischen Protesten in den USA werden einigen Studenten Strafen auferlegt. An der Sinnhaftigkeit gibt es Zweifel.
Würde Lisa Simpson zum Protest gegen Israels Vorgehen im Gazastreifen aufrufen – gar einen Boykott israelischer Unternehmen fordern? Oder wäre sie entsetzt über den erstarkenden Antisemitismus, über die Tatsache, dass sich einige jüdische Studenten an öffentlichen Hochschulen nicht mehr sicher fühlen und andere sich weigern, den Terror der Hamas zu verurteilen? Über diese Fragen könnten sich Studierende aus den USA dieser Tage tatsächlich den Kopf zerbrechen müssen.
Aber von vorn: Die Bilder von pro-palästinensischen Protesten an US-Universitäten gingen um die Welt – auch weil viele Protestcamps polizeilich geräumt wurden und es teilweise zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten kam. Auch in Deutschland haben pro-palästinensische Uni-Proteste längst eine hitzige Debatte ausgelöst. Denn einerseits kommt es bei den Protesten immer wieder zu antisemitischen Vorfällen, israelfeindliche Slogans werden skandiert und jüdische Studierende eingeschüchtert – ein Zustand, der nicht hinzunehmen ist.
Andererseits ist das Recht auf friedlichen Protest und freie Meinungsäußerung ein hohes Gut, das es ebenso zu schützen gilt. Und dann kommt noch etwas hinzu: Eine Universität ist ein pädagogischer Ort, manche Studenten noch minderjährig. Nachvollziehbar also, wenn Dozentinnen und Dozenten, die einen pädagogischen Auftrag haben, einen anderen Ansatz verfolgen als Proteste gewaltsam räumen zu lassen.
Pro-Palästina-Proteste: NYU ließ Camp auf Uni-Gelände polizeilich räumen
Allerdings gibt es auch Zweifel an manchen pädagogischen Maßnahmen. So berichteten der britische „Guardian“ und mehrere US-Medien zuletzt übereinstimmend über die Strafen, die Studentinnen und Studenten der New York University (NYU) nach ihrer Teilnahme an Protesten auferlegt wurden. Ein Professor für Rechtsphilosophie an der NYU, Liam Murphy, bezeichnete diese gegenüber dem „Guardian“ als: „erzwungene Geständnisse von Fehlverhalten“. Mehr als 300 Dozentinnen und Dozenten haben einen offenen Brief Murphys bereits unterzeichnet, der die Strafmaßnahmen scharf kritisiert.
Als Reaktion auf den Krieg in Nahost kam es an der NYU zu Protesten, Studenten und sogar Fakultätsmitglieder campten zeitweise auf dem Universitätsgelände. Die Uni-Leitung ließ das Camp mit Hilfe der Polizei Ende April räumen. Sie wird aber von einer Anzeige und strafrechtlicher Verfolgung absehen – sofern Protestteilnehmer gewillt sind, ein paar Strafaufgaben zu bearbeiten. Dazu gehört ein 49-seitiger Aufgabenkatalog, der sich unter anderem mit einer Folge der „Simpsons“ beschäftigt.
USA: Demonstranten sollen über eigene Werte und Moralvorstellungen nachdenken
In der Episode schummelt Lisa Simpson bei einem Test und hat anschließend Gewissensbisse. Schulrektor Skinner möchte das geheim halten, um die Finanzierung eines Stipendiums für die Schule nicht zu verlieren. NYU-Studenten sollen sich nun mit den Fragen beschäftigen: „Was hätte Lisa, unter Umständen, tun oder sich überlegen können, um bessere Entscheidungen zu treffen?“ und „Welche möglichen und tatsächlichen Konsequenzen haben die Entscheidungen von Direktor Skinner?“
Die meisten Aufgaben drehen sich darum, dass die Studenten über ihr eigenes Vorgehen, ihre Werte und ihre moralisch-ethischen Standards nachdenken sollen. Kritiker bemängeln aber, dass ein freies Nachdenken gar nicht möglich und gewollt sei. Sara Pursley, Professorin für Nahoststudien und Islamwissenschaften, sagte gegenüber der US-Nachrichtenagentur Associated Press (AP), dass den Studenten auch verboten wurde, die Aufgaben zu nutzen, um ihre Taten zu rechtfertigen oder sich kritisch mit Verhaltensregeln auf dem Campus auseinanderzusetzen.
„Den Schülern scheint es verboten zu sein, über solche persönlichen Werte zu schreiben, die hier relevant sein könnten, etwa den Glauben an die Meinungsfreiheit, die Verantwortung, sich einem Völkermord zu widersetzen, oder die Pflicht zum gewaltlosen zivilen Ungehorsam.“, zitiert sie AP.
NYU: Aufgaben verfolgen klaren pädagogischen Zweck
Ein Sprecher der NYU hält dagegen, das Disziplinarverfahren diene einem pädagogischen Zweck. „Der Zweck dieser Aufsätze besteht darin, darüber nachzudenken, wie sich die Art und Weise, wie ein Student seine Werte zum Ausdruck bringt, auf andere Mitglieder der NYU-Gemeinschaft auswirken könnte“, sagte er AP. „Wir denken, dass das ein lohnenswertes Ziel ist.“
Unabhängig wie man zu der pädagogischen Maßnahme steht, wirft sie eine Frage auf: Was passiert, wenn die Antworten der Studentinnen und Studenten nicht dem entsprechen, was von ihnen erwartet wird? Was wenn sie ihre Taten rechtfertigen – und dies möglicherweise moralphilosophisch nachvollziehbar? Setzt die Universität dann doch auf strafrechtliche Verfolgung? Im Herbst will man sich laut NYU noch einmal mit den Aufgaben auseinandersetzen, dann dürften diese Fragen vielleicht diskutiert werden.
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