Düsseldorf/Berlin. Laut einer Chancen-Studie des ifo-Institutes geht es bei der Bildung extrem ungerecht zu. In Bayern übrigens noch viel mehr als in NRW.

Wie groß sind die Bildungschancen von Kindern aus nichtakademischen und ärmeren Familien? Das ifo-Institut hat es untersucht und Erschreckendes herausgefunden.

Was wurde untersucht?

Die Studie mit dem Titel „Ungleiche Bildungschancen“ vergleicht die Wahrscheinlichkeit eines Gymnasialbesuchs für Kinder aus benachteiligten Verhältnissen mit der für Kinder aus günstigen Verhältnissen, und zwar in den 16 Bundesländern. Benachteiligt bedeutet: weder ein Elternteil mit Abitur noch ein überdurchschnittliches Haushaltseinkommen. Günstig bedeutet: Mindestens ein Elternteil hat Abitur und/oder die Familie verdient überdurchschnittlich gut.

Wie lautet das Ergebnis?

Deutschlandweit besuchen 26,7 Prozent der Kinder aus benachteiligten Verhältnissen ein Gymnasium, aus günstigen Verhältnissen sind es 59,8 Prozent. Kinder aus wohlhabenden Familien mit akademischem Hintergrund habe es also viel leichter, hohe Bildungsabschlüsse zu erreichen.

Wie schneidet NRW ab?

NRW ist daran gewöhnt, in Studien, die die Leistungen von Schülerinnen und Schülern überprüfen, auf den letzten Plätzen zu landen. In dieser Untersuchung, in der es nicht um schulische Leistungen ging, sondern um einen Chancenvergleich, landet NRW immerhin auf Platz 10, also im unteren Mittelfeld. 26,8 Prozent der Kinder aus benachteiligten Verhältnissen gehen ins Gymnasium, aus günstigen Verhältnissen sind es 60,9 Prozent. Das ist nahe am Bundesschnitt und kein Grund, die Bildungschancen an Rhein und Ruhr zu loben.

Prof. Ludger Wößmann, Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik, lobte allerdings die Bemühungen des Landes, Bildungschancen für Kinder aus prekären Verhältnissen zu verbessern: „NRW ist eines der Bundesländer, die Schul-Sozialindikatoren haben und damit auch gezielt Schulen fördern, die in herausfordernden Lagen sind.“ Gerade im Ruhrgebiet schaue man schon sehr lange auf das Problem ungleicher Bildungschancen und versuche, dagegen anzugehen.

Lesen Sie hier, wie sich eine 23-Jährige aus Gelsenkirchen, die keine guten Startchancen hatte, gegen alle Widerstände durchsetzte und heute studiert.

Wo landen andere Länder im Vergleich?

Bei allen Unterschieden ist es wichtig voranzustellen, dass die Bildungschancen dieser Studie zufolge überall in Deutschland sehr ungleich verteilt sind.

Am „wenigsten negativ“ wirkt sich ein ungünstiger familiärer Hintergrund für Kinder in Berlin und Brandenburg aus: Es ist dort etwa halb so wahrscheinlich (Berlin: 53,8 Prozent; Brandenburg: 52,8 Prozent), dass Kinder aus benachteiligten Verhältnissen ein Gymnasium besuchen wie Kinder aus günstigen Verhältnissen. Zum Vergleich: NRW kommt hier auf 44,1 Prozent.

Am unteren Ende liegen Sachsen mit 40,1 und Bayern mit 38,1 Prozent. Chancengleichheit wäre bei 100 Prozent erreicht.

Zieht man diesen Indikator „relative Bildungschancen“ heran, landen die Länder auf diesen Plätzen (1 bis 16): Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Saarland, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Thüringen, NRW, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Hessen, Bremen, Sachsen und Bayern.

Was werfen die Autoren der Studie den Ländern vor?

Einer der Haupt-Kritikpunkte ist, dass nur zwei Bundesländer – Berlin und Brandenburg – erst nach der sechsten Klasse die Entscheidung über den Besuch einer weiterführenden Schule treffen. Alle anderen schicken die Kinder schon nach der vierten Klasse in eine weiterführende Schule. „Was Berlin und Brandenburg tun, ist der Chancengleichheit zuträglich“, sagte Ludger Wößmann. International würden nur Deutschland und Österreich die Kinder schon nach der 4. Klasse separieren.

Zweitens sollten Kinder aus benachteiligten Verhältnissen möglichst gezielt und möglichst schon im frühkindlichen Alter gefördert werden. Anders gesagt: Bildungsförderung dürfe nicht – wie heute oft üblich -- mit der „Gießkanne“ ausgeschüttet werden, sondern müsse genau dort ankommen, wo sie benötigt werde. Auch aus diesem Grund gehe es in Bayern „viel ungerechter“ zu als in anderen Ländern. „Dieses Land sollte sich Gedanken darüber machen, Kinder aus benachteiligten Verhältnissen schulisch besser zu fördern“, so Wößmann.

Gibt es gute Beispiele?

Das ifo-Institut zählt eine Reihe von guten Beispielen auf. Hamburg sei nach diversen „Pisa-Schocks“ inzwischen „einige Schritte weiter“ als die meisten anderen Länder. Die Autoren loben besonders das Sprachförderkonzept in Hamburg: Dort werden schon viereinhalbjährige dahingehend geprüft, ob sie Sprachförderung benötigen.

Übrigens plant auch die NRW-Landesregierung die Einführung eines „Sprach-Screenings“ für Kinder vor der Einschulung.

Lob gab es auch für das „Chancenreich-Programm“ im westfälischen Herford: Kinder und Familien aus benachteiligten Verhältnissen würden dort gezielt unterstützt. Wenn die Familien die Kurse und anderen Förder-Angebote annehmen und ihre Kinder zu allen Vorsorgeuntersuchungen schicken, winkt eine Belohnung in Höhe von 500 Euro.

Ebenfalls aus der Sicht des ifo-Institutes vorbildlich: Das auch in NRW angebotene Projekt „impakt schulleitung“ (Fortbildung und Unterstützung für Schulleitungen an Brennpunktschulen) und das deutschlandweite Mentoring-Programm „Rock your life!“ für Jugendliche.

Nicht erwähnt wird in der Studie die in den vergangenen Jahren immer weiter ausgebaute Talentförderung in NRW mit ihrer Zentrale in Gelsenkirchen, die womöglich dazu beigetragen hat, dass NRW bei dieser Studie im Mittelfeld und nicht weit unten landet.

Zahar Audi, Lehramtsstudentin aus Gelsenkirchen mit irakischen Wurzeln, gehört zu jenen, die von der NRW-Talentförderung profitiert haben.
Zahar Audi, Lehramtsstudentin aus Gelsenkirchen mit irakischen Wurzeln, gehört zu jenen, die von der NRW-Talentförderung profitiert haben. © FUNKE Foto Services

Wie bewertet das ifo-Institut das „Startchancen-Programm“ von Bund und Ländern?

Dieser Schritt gehe zwar „in die richtige Richtung“, werde aber wohl kein Problemlöser sein, sagte Ludger Wößmann. Dazu sei der Länder-Anteil zu gering. Am Ende dürften kaum mehr als zwei bis drei zusätzliche Stellen an Brennpunktschulen dabei herauskommen.

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