Malmö. Der Gaza-Krieg überschattet den ESC 2024 in Malmö – und macht die angespannte Situation für die jüdische Gemeinde noch schwieriger.
Unter dem Kragen von Daniels Wollpullover sind zwei Dinge zu erkennen. Das bunte Band, an dessen Ende sein Ausweis als Freiwilliger beim Eurovision Song Contest hängt. Und die silberne Kette mit dem Davidstern. „Ich liebe Eurovision“, sagt der 23-Jährige, der in Malmö groß geworden ist. „Ich liebe die Musik, ich liebe die Show.“
Für seinen Einsatz beim Song-Wettbewerb ist er deshalb aus seinem Studienort in den Niederlanden zurückgekehrt. Doch ein unbeschwertes Event ist der ESC 2024 in seiner Heimatstadt für ihn nicht. Der Krieg im Gazastreifen wirft seine Schatten bis nach Malmö und setzt die Jüdische Gemeinde in der Stadt unter Druck. Daniel will seinen Nachnamen deshalb nicht in der Zeitung lesen – sicherheitshalber.
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Seit Monaten bereitet Malmö, zum dritten Mal nach 1992 und 2013 Gastgeberstadt des ESC, sich auf das Musik-Event vor. 37 Teilnehmerländer, mehr als 100.000 erwartete Gäste, die ganze Stadt hängt voll mit bunten Plakaten mit dem Logo des Eurovision Song Contests. Doch zwischen der offiziellen Gute-Laune-Symbolik kleben an Laternenpfosten Sticker, die zum Boykott Israels aufrufen. Ein Zeichen dafür, dass Malmö vor dem Finale am Samstagabend keineswegs so vereint ist, wie es das Motto des Wettbewerbs („United by Music“) nahelegt.
ESC: Künstlerinnen und Künstler aus mehreren Ländern fordern Ausschluss Israels
Proteste gegen Israels Teilnahme am Wettbewerb gab es auch in früheren Jahren immer wieder. Doch wohl nie war der Druck so hoch wie in diesem Jahr: Künstlerinnen und Künstler aus mehreren Ländern fordern, das Land wegen seines Vorgehens im Gazastreifen auszuschließen. Die mehr als 1000 schwedischen Musikerinnen und Musiker, die einen entsprechenden Aufruf unterzeichnet haben, verwiesen auf den Ausschluss von Russland und Belarus in der Vergangenheit. Die Europäische Rundfunkunion (EBU), die den Wettbewerb ausrichtet, hält dagegen, dass der ESC ein Wettbewerb unter Fernsehsendern ist und der israelische Sender KAN, anders als die russischen und belarussischen Sender, nicht gegen die Regeln des Wettstreits verstoße.
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Die Unterscheidung tut wenig, um die Stimmung in der Stadt zu beruhigen. Sängerin Eden Golan, die Israel vertritt, wurde geraten, ihr Hotel nur wenn nötig zu verlassen. Der Nationale Sicherheitsrat (NSC) Israels hat vor wenigen Tagen seine Risikobeurteilung für Malmö heraufgestuft und Fans aus Israel nahegelegt, einen Besuch zu überdenken.
Seit dem 7. Oktober sei es „furchtbar“, sagt Daniel. Die Attacken der Hamas feierten in Malmö schwedischen Medienberichten zufolge Hunderte bei einem Autokorso. Wenige Wochen später verbrannten Demonstranten vor der Synagoge eine israelische Flagge. Die Vorfälle hätten ihn schockiert, sagt Daniel. „Aber überrascht haben sie mich nicht.“
Malmö: „Kleine Explosion“ von Antisemitismus
Die Stadt mit 360.000 Einwohnern im Süden Schwedens kämpft seit Langem mit dem Ruf, eine Hochburg des Antisemitismus im Land zu sein. Menschen aus 186 Ländern wohnen in Malmö, darunter viele aus dem Nahen Osten, auch viele mit palästinensischen Wurzeln. Immer wieder, wenn in Israel und den palästinensischen Gebieten Gewalt eskaliert, flammt in der Folge im entfernten Malmö Antisemitismus auf.
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Seit einigen Jahren arbeiten Stadt und Zivilgesellschaft aktiv daran, den Hass zurückzudrängen. Doch die Ergebnisse dieser Arbeit werden in diesen Tagen auf eine harte Probe gestellt.
Das Problem beschränke sich nicht auf den Teil von Malmös Bevölkerung, der Verbindungen in den Nahen Osten hat, sagt Björn Westerström. Eigentlich ist er Lehrer für Schwedisch und Geschichte, seit einigen Jahren arbeitet er in einem Projekt der Stadt, das Antisemitismus an Schulen bekämpft.
Malmö, sagt er, sei nicht antisemitischer als andere Städte in Schweden. Doch weil die Stadt klein sei und alle Bevölkerungsgruppen nah beieinander lebten, sei das Problem sichtbarer. Seit dem 7. Oktober, sagt er, habe die Stadt eine „kleine Explosion“ von Antisemitismus an Schulen erlebt. Keine physische Gewalt, „aber Sachen wie Schüler, die ‚Tod den Juden‘ rufen“.
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Antisemitismus an Schulen: „Das Problem sind die Erwachsenen“
Doch im Vergleich zu früheren Eskalationen sei dieses Mal etwas anders. „Das Problem sind nicht die Schüler, es sind die Erwachsenen.“ Lehrerinnen und Lehrer, die unbedingt wollten, dass ihre Schule Position beziehe, meist propalästinensisch, manchmal proisraelisch. „Sie sind emotional so involviert, dass sie die Fähigkeit verlieren, Hass zu sehen, wenn es von ‚ihrer Seite‘ kommt“, sagt Westerström.
Die meisten dieser Lehrer seien dabei weder jüdisch noch palästinensisch: „Es sind vor allem schwedische Lehrer, ohne Hintergrund in der Region.“ Und in dieser Situation komme nun noch der ESC dazu. Der habe die Probleme zwar nicht verursacht. „Aber er macht alles schwieriger.“
Einfacher für Jüdinnen und Juden in Malmö wäre es wohl gewesen, hätte Israel seine Teilnahme am ESC abgesagt, das denkt auch Taliah Pollack. Dass es Proteste gegen die Teilnahme des Landes gibt, wundert sie nicht. Während Israel sich auf der Bühne präsentieren könne, hätten Palästinenser diese Möglichkeit nicht. „Alles, was sie haben, ist die Straße. Natürlich wird es da Demonstrationen geben.“
Und doch hält die Autorin, die in Schweden geboren wurde und in Israel aufwuchs, wenig von Boykottaufrufen. „Ich glaube an Dialog, auch wenn es schwer ist“, sagt Pollack. Sie hoffe, dass es den auch in Malmö weiterhin geben werde. Doch echter Versöhnung, sagt sie, werde man auch nach dem ESC nicht näher kommen. „Es gibt in Malmö keine Heilung, solange dieser Krieg andauert.“
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