Düsseldorf. Der Auftritt eines bekannten Predigers in Mülheim schlägt weiter Wellen. Jetzt wird klarer, warum die Behörden nicht einschritten.

Diese Osteransprache beschäftigt auch Wochen später noch die Landespolitik. Warum konnten vor vier Wochen in einer ansonsten für Hochzeiten und Abibälle bekannten Eventhalle in Mülheim-Heißen behördenbekannte islamistische Hassprediger unbehelligt vor Hunderten knienden Männern auftreten?

Der Innenausschuss des NRW-Landtags tastete sich am Donnerstag zu einer Antwort vor, was zwischenzeitlich wie ein Staatsrechtsseminar wirkte. Was war geschehen? Am Ostersonntag hielt im privaten Veranstaltungsort „The Address“ unter anderen der Salafist „Abu Alia“ eine Rede. Filmsequenzen des Auftritts machten in den sozialen Netzwerken Karriere.

Der Mann ist für die NRW-Sicherheitsbehörden ein alter Bekannter. Der Prediger, ein deutsch-griechischer Konvertit aus Mönchengladbach mit bürgerlichem Namen Efstathios T., sei seit Jahren im extremistisch-salafistischen Spektrum in NRW aktiv und verfüge über einen hohen Bekanntheitsgrad in der Szene, so das Innenministerium.

,,Abu Alia“ mischte bereits bei dem im Jahr 2010 aufgelösten salafistischen Missionierungsnetzwerk „Einladung zum Paradies“ mit und trat später bei dem 2021 verbotenen Verein „Ansaar International“ in Erscheinung. „Er gilt auch gegenwärtig als einflussreicher Akteur im extremistischen Salafismus in Nordrhein-Westfalen und pflegt Kontakte zu anderen reichweitenstarken, extremistisch-salafistischen Predigern“, listet das Innenministerium auf.

„Abu Alia“ ist für die NRW-Sicherheitsbehörden ein alter Bekannter

Obwohl das alles bekannt war, durfte der Mann in Mülheim problemlos sprechen. Anders als in der Schweiz. Dort war bereits am Karsamstag ein Auftritt in einer Moschee geplant, doch die Schweizer Bundespolizei schaffte den Prediger vorher außer Landes.

NRW-Verfassungsschutzchef Jürgen Kayser erklärte den Abgeordneten am Donnerstag, warum man die Gefährlichkeit von Leuten wie „Abu Alia“ keineswegs unterschätze und von der Mülheimer Veranstaltung alles andere als überrascht wurde, aber dennoch nichts ausrichten konnte.

„Eine Veranstaltung einfach mal nur so zu verbieten, weil sie extremistisch ist, das ist nach unserer derzeitigen Rechtslage eben nicht möglich“, sagte Kayser. „Abu Alia“ habe bislang keine strafrechtlich relevanten Äußerungen innerhalb seiner Vorträge getätigt. Das mag verwundern, wenn man die Filmausschnitte der Mülheimer Zusammenkunft sieht. „Die Forderung nach einer Gesellschaftsordnung in der Form der Scharia ist per se erstmal nicht strafbar und das kann jemand auch öffentlich äußern“, sagte Kayser und ließ durchblicken, dass der Grat zur Volksverhetzung schmal ist, aber eben erstmal überschritten werden muss. „Das ist die Frage: Wer definiert, was extremistisch ist?“ Die unterschwellige Botschaft des obersten „Schlapphuts“ in NRW: Wenn der Staat die Grenzen der Meinungsfreiheit zu eng absteckt, kann es auch wieder gefährlich werden.

Veranstalter wollte mit Salafisten-Auftritt in Mülheim offenbar Geld verdienen

Den Vorwurf der Blauäugigkeit im Vorfeld der Mülheimer Veranstaltung wollen die Sicherheitsbehörden jedenfalls nicht auf sich sitzen lassen. Verfassungsschutz und Polizei seien in engem Austausch gewesen. „Wenn es keine Hinweise gibt für konkrete Gefahren, für Gewalt, die von der Versammlung ausgeht, dann reicht eben allein die Möglichkeit, dass da vielleicht sich jemand extremistisch äußern könnte, nicht aus, um die Veranstaltung nach der geltenden Rechtslage im Vorfeld zu verbieten“, betonte Kayser.

Die Firma, die mit der Vermietung ihrer Halle auch an solch zweifelhafte Kunden Geld verdienen will, ließ offenbar nicht mit sich reden. „Natürlich ist im Vorfeld mit der Eventfirma gesprochen worden. Da standen aber durchaus fiskalische Interessen im Raum. Wenn dann der Betreiber sagt, ich mache das aber trotzdem, dann sind die Möglichkeiten begrenzt“, so Kayser.

Jürgen Kayser, Leiter des Verfassungsschutzes (links), und NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU).
Jürgen Kayser, Leiter des Verfassungsschutzes (links), und NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). © dpa | Oliver Berg

Innenminister Herbert Reul (CDU) treibt erkennbar die Tatsache um, dass Leute wie „Abu Alia“ überhaupt Hunderte Anhänger mobilisieren können. Die Aktivitäten von Predigern haben nach dem Ende der Corona-Pandemie allgemein zugenommen. Der Mülheimer Auftritt wurde vorab im Internet intensiv beworben. „Abu Alia“ verfügt über mehrere Tausend Follower auf Social Media.

„Das Netz ist die Radikalisierungsmaschine der Islamisten. Was auffällt ist, dass die Prediger mit ihren mittelalterlichen Vorstellungen hier den coolen Influencer machen, natürlich um besonders Jugendliche anzusprechen“, sagte Reul. Es sei bereits von „Pop-Islamismus“ die Rede. „Das ist irgendwie absurd, aber im Grunde extrem gefährlich“, so der Innenminister.

Vor zehn Jahren gab es in Deutschland noch eine Handvoll Moscheen, die als Brutstätten des Islamismus galten. Dort verkehrten aber keine Kinder. Heute seien die Jungen für radikale Prediger, die ihren Hass als eine Art Lifestyle präsentieren, viel besser per Handy erreichbar. Der Landesregierung sind überdies insgesamt 14 extremistisch-salafistisch beeinflusste Moscheevereine bekannt. Welche Sogwirkung sie und ihre Protagonisten auf junge Menschen entfalten, lässt sich selten so öffentlich beobachten wie bei der denkwürdigen Osteransprache von Mülheim.